Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
Gedanke
ahd. githanc, mhd. gedanc, Verbalabstraktum zu "denken".1 Bis ins 16. Jahrhundert (L320 Trübner, L138 HWbPh) auch allgemein ›Seele, Geist‹; heute werden Gedanke und "Gefühl" meist unterschieden: Der Gedanke war so unerträglich, daß er sofort von einem Gefühl verdrängt wurde, bei dem mir dann leichter war (A102 Peter Handke, Brief 176).
2Das Denken, der Vorgang des Denkens‹; vnd wenn einer des nachts auff seinem Bette rugen vnd schlaffen sol / fallen jm mancherley Gedancken für (A180 Martin Luther, Sirach 40,5), Sorglos schlummert die Brust und es ruhn die strengen Gedanken (A131 Friedrich Hölderlin, Die Musse); schon der (bloße) Gedanke (daran) macht mich wütend.
3.1Das Gedachte, das Ergebnis des Denkens‹; Die letzten Gedanken sind immer reifer als die ersten(L004 Johann Christoph Adelung), Der schöpferischen Gedanken… sind nicht so viele, als daß sie nicht wie die Gestirne des Himmels fixierbar wären (A154 Hermann Kasack, Stadt 89); in zahlreichen Wendungen: ein neuer, vernünftiger, einleuchtender Gedanke, einen (klaren) Gedanken fassen, seinen Gedanken nachhängen, ein Gedanke geht durch den Kopf, ganz in Gedanken (verloren, versunken) sein, einen Gedanken äußern, jmds. Gedanken erraten/ lesen;
⊚⊚ sich Gedanken (über jmdn. / wegen etwas) machensich um jmdn. / etwas sorgen‹ (1. Hälfte des 17. Jahrhunderts; L059 DWb), jmdn. auf andere Gedanken bringenjmdn. ablenken‹ (bei L169 Matthias Kramer 1700 in der Form »jemand von seinen Gedancken bringen / distogliere«).
3.2 Speziell ›Einfall, Plan, Absicht‹, ›Idee‹; Denn die gedancken des Herrn wollen erfüllet werden wider Babel (A180 Martin Luther, Jeremia 51,29), Bleib bey den Gedanken, du wirst wohl dabey fahren (Gellert; L004 Johann Christoph Adelung), Ich kam auf den Gedanken, ihn in unseren Kindergarten zu bringen (A208 Ulrich Plenzdorf, Leiden 49); ein rettender, aufrührerischer, befremdlicher, bestechender Gedanke, einen Gedanken aufgreifen, fassen, hegen, fallenlassen;
⊚⊚ mit dem Gedanken spielenerwägen, etwas zu tun‹ (wohl frühnhd.; L059 DWb), auf dumme Gedanken kommen (umgangssprachlich) ›sich zu Dummheiten verleiten lassen‹ und sich mit einem Gedanken tragenbeabsichtigen, etwas zu tun‹ wohl erst 20. Jahrhundert; der gedanke der deutschen einheit (L059 DWb), der großdeutsche Gedanke (L320 Trübner), der [tragende] Gedanke eines vereinten Europa (L097 GWb); Freiheitsgedanke, Grundgedanke, Hintergedanke, Selbstmordgedanken.
3.3 Ferner speziell ›Meinung, Ansicht, Vorstellung‹; seine eigenen Gedanken haben über etwas, ein schrecklicher, gewöhnungsbedürftiger Gedanke.
4 (umgangssprachlich) ›eine Kleinigkeit‹; Ihre Gedanken sind um einen Gedanken zu langsam gewesen (A104 Peter Handke, Publikumsbeschimpfung 24), der Rock könnte (um) einen Gedanken länger sein; hierfür oft auch "Idee" oder "Spur". Zu Gedanke(2) und (3)
Gedankenaustausch L059 DWb1878,
Gedankenfreiheit"S032" wesentlich geprägt durch A222 Friedrich Schiller, Karlos 3,10; 1776 Hannoverisches Magazin (Fullenwider, L224 NM 77,332f.), zuvor Denkfreiheit 1739 (L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt),
Gedankengang L033 Joachim Heinrich Campe 1808,
Gedankenstrich"S189" ich mache nicht gern Gedankenstriche (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Werther 19,123,23), gebucht L003 Johann Christoph Adelung 1775,
Gedankenübertragung L218 Muret/ Sanders 1905; ferner
gedankenlos 1755 (L059 DWb),
Gedankenlosigkeit L003 Johann Christoph Adelung 1775, sowie
gedanklich L059 DWb1878.
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