Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
geben
ahd. geban, mhd. geben, gemeingermanisch, etymologisch wohl zu der indogermanischen Wurzel von lat. habere, aber in der Bedeutung abweichend; 2.und 3. Sg. Indikativ und Imperativ bis 1901 auch giebst, giebt, gieb geschrieben (statt des jetzigen, schon vor 1900 von Bayern verlangten gibst, gibt, gib). ⇓ "S026" Die älteste Bedeutung des Wortes ist ›etwas mit der Hand jmdm. hinreichen, der es in Empfang nimmt und in dessen Besitz es dadurch übergeht‹. Es kann aber auch einerseits eine Besitzübertragung ohne ein sinnliches Hinreichen bezeichnen, andererseits ein Hinreichen, das nicht als Besitzübertragung gemeint ist. Der Gegensatz ist ↑ "nehmen", was aber ein aktives Verhalten desjenigen, dem gegeben wird, voraussetzt; ⇓ "S115" verhält sich derselbe nur passiv, so müssen andere Verben ("bekommen", "erhalten", "kriegen") gewählt werden. Den Entschluß, die Bereitwilligkeit zum geben bezeichnet "bieten". Die Übergabe in den Besitz eines anderen kann ganz freiwillig sein; dann berührt sich geben mit "schenken", welches in diesem Fall meist vorgezogen wird. Häufiger wird geben gebraucht für eine Besitzabtretung, die nach Verpflichtung, Vertrag oder unter Zwang erfolgt (er gab ihr ihren Lohn, gab ihr Kredit). Auch beim Kauf wird geben verwendet. Der Verkäufer sagt: ich gebe die Ware für fünf Mark, ich kann sie nicht billiger geben. Der Käufer gibt für das Stück eine Mark. Häufig gebraucht in übertragener Bedeutung: ich gäbe viel darum, wenn ich dabei sein könnte. Auf etwas geben (auch "drangeben", draufgeben) wurde vom Käufer gebraucht, wenn er nicht den ganzen Kaufpreis, sondern nur eine Anzahlung gab. Die Verbindung ist noch sehr häufig in übertragener Bedeutung ›Wert auf etwas legen‹: ich gebe viel/ nichts auf sein Urteil, auf diese Nachricht. Veraltend bei Übergabe in die Obhut einer Person oder Institution: jmdm. die Tochter zur Frau, jmdn. in die Lehre, die Kinder auf eine Schule geben. Reichlicher entfaltet ist die Verwendung von gebenohne Eigentumsübertragung: einen Brief auf die Post geben, jmdm. die Hand, einen Kuß, einen Schlag, den Ball in die Mitte, dem Kind die Flasche geben usw. Zahlreich sind die Möglichkeiten übertragener Verwendung, z. B. jmdm. ein Beispiel, Interview geben, einen Strafstoß, Vorgeschmack geben, die Stimme geben, das Ja-Wort geben; Anstoß, Auskunft, Bescheid, Gelegenheit, Mut, Nachricht, Raum, Ruhe, Schwung, Zeichen geben; in ⇓ "S073" Funktionsverbgefügen z. B. etwas in Arbeit, Umlauf, Verwahrung, zu Protokoll, zur Kenntnis geben. Häufig im 18. Jahrhundert ist Besuch (Visiten) geben als Gegensatz zu Besuch empfangen. Ich hab's ihm gegebenhabe ihm die Meinung gesagt‹, ›habe ihn verprügelt‹ (Fischart; L059 DWb), (vgl. L264 Daniel Sanders). Im Telefongespräch: geben Sie mir bitte Frau X. In Schuld, Recht, Unrecht geben bedeutet es ›zuerkennen‹. Mit reflexivem Dativ erscheint es in sich Mühe geben, sich eine ↑ "Blöße" geben. Weiter noch entfernt es sich von dem ursprünglichen Sinn, wenn nicht mehr eine Person vorhanden ist, der gegeben wird, sondern statt dessen eine Sache oder eine Zustands- oder Eigenschaftsbezeichnung, z. B. seinen Worten Nachdruck, seinen Erdichtungen einen Schein von Wahrheit geben. Vollends, wenn auch das Subjekt keine Person mehr ist: der Baum gibt uns Schatten, der Ofen gibt Wärme, sein Auftreten gab allen andern Mut, ein Wort gibt das andere. Nicht anders verhält es sich, wenn das Subjekt zwar eine Person, das Geben aber nicht ihr Willensakt ist; so kann man z. B. ohne seinen Willen Anlaß zur Klage geben. Von der Dreiheit, die zum Akt des Gebens gehört, 1. dem Gebenden, 2. dem Gegebenen, 3. dem, welchem gegeben wird, bleiben 2 und 3 häufig unausgedrückt, beide z. B. in er gibt gern oder beim Kartenspiel wer gibt? Sehr häufig wird an 3 dann auch gar nicht mehr gedacht, so gewöhnlich in ein Fest, Essen, Theaterstück, eine Vorstellung geben u.dgl., noch weniger in eine Gesellschaft geben. Gar kein Dativ mehr üblich ist bei von sich geben; ferner bei Feuer geben (›ein Gewehr abschießen‹), Gas geben (›eine Maschine beschleunigen‹), den Ausschlag geben (ungewöhnlich mit Richtungsbezeichnung: die auf einmal den Ausschlag so völlig auf seine Seite gibt Lessing); hier nähert sich daher gebenhervorbringen, veranlassen‹. Hierher gehören auch Wendungen wie zwei mal zwei gibt vier, die Abhandlung gibt zwei Bogen (siehe "ergeben"), er wird einen guten Soldaten geben(siehe "abgeben"). Auch der Geber kann unausgedrückt bleiben (Was gibt es zu essen?) und die Vorstellung von ihm ganz schwinden (Was gibt's Neues?). Dies ist auch möglich bei passivischer Ausdrucksweise: mir ist es nicht gegeben, mich so zu verstellen. Bei mathematisch-philosophischer Anwendung von gegeben (18. Jahrhundert; L059 DWb) fehlt zugleich die Vorstellung von einem, dem gegeben wird: gegebene Größen, unter den gegebenen Umständen. Außer der passivischen kommt die unpersönliche Ausdrucksweise in Betracht. Die Entstehung derselben liegt klar. Den Übergang bilden Sätze wie wenn du hingehst, so gibt es ein Unglück; hier bezieht sich es auf die Umstände, die in dem vorangehenden Teilsatz angegeben werden, wobei gibt sich wie in den oben angegebenen Beispielen ›bringt hervor‹ nähert. Man sagt aber auch einfach es gibt ein Gewitter, eine gute Ernte usw., und wenn sich es auch ursprünglich in solchen Wendungen auf die vorliegende Situation bezog, so wird das doch nicht mehr empfunden. Nicht bloß, daß etwas entsteht, wird durch diese Wendung (es gibt) ausgedrückt, sondern weiterhin auch, daß etwas schon vorhanden ist (dafür besonders südwestdeutsch es hat, vgl. L066 Jürgen Eichhoff, Karte 106): in diesem Bach gibt es viele Forellen, gibt es einen Gott? Einige besondere Bedeutungsentfaltungen hat sich geben gehabt:1auf Widerstand verzichten, sich ergebenMädchen und Burgen müssen sich geben (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Faust I,898).
2 Daran anschließend Wendungen wie
das gibt sichläßt nach, hört auf‹ (18. Jahrhundert; L059 DWb) daß es die Liebe ist… das gibt sich aber bald in der Ehe (E.T.A.A127 Ernst Theodor Amadeus Hoffmann, Goldener Topf 250).
3 Ganz verschieden davon sind solche wie wenn sich die Gelegenheit gibt (›bietet‹), das Übrige wird sich geben (›finden‹); diese berühren sich nahe mit dem unpersönlichen es gibt.
4sich zeigen, sich benehmen‹: er gibt sich, wie er ist.
5 In älterer Zeit ist es auch ›sich begeben‹, z. B. wer aber hinaus sich gibt (A180 Martin Luther, Jeremia 21,9), er gab nicht gern sich in Gefahr(Wieland); hierher wird auch sich zufriedengeben zu stellen sein. In einigen Fällen findet sich neben geben ein prädikatives Adjektiv: freigeben, verloren geben; mit dem Reflexivum: sich gefangen geben. Ableitungen ⇑ "Gabe", "Gift"; ferner gäbe (↑ 1"Gang") und "ausgiebig", "ergiebig", nachgiebig (↑ "nachgeben"). Weitere Zusammensetzungen ⇑ "abgeben", "angeben", "aufgeben", "ausgeben", "begeben", "beigeben", "ergeben", "hingeben", "nachgeben", "preisgeben", "übergeben", "umgeben", "vergeben", "vorgeben", "wiedergeben", "zugeben"; "achtgeben" (↑ 2"acht"), draufgeben (↑ "darauf"), "eingeben", "herausgeben" (↑ "heraus"), "stattgeben" (↑ "Statt"), sich zufriedengeben (↑ "zufrieden"); ferner bekanntgeben, dazugeben, durchgeben, fortgeben, freigeben, hergeben, herumgeben, herübergeben, mitgeben, weggeben, weitergeben, zurückgeben.
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