Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
ge-
Abgeschwächt aus ursprünglich ga-, alte Präposition, die aber schon urgermanisch nur noch in Zusammensetzungen gebraucht wurde.1 In nominalen Zusammensetzungen: Zunächst ist ge-Bezeichnung für ein Zusammensein, z. B. in "Gebrüder", "Gefährte", "Gehilfe", "Gemahl", "Geselle", "Gespann", "Gespiele", "Gevatter"; in ausgedehnter Verwendung erscheint ge-in Kollektivbildungen (alle Neutr. ), die im Mittelhochdeutschen auf -eausgehen (althochdeutsch -i), das im Neuhochdeutschen meist abgefallen ist, z. B. "Gebein", "Gebilde", "Geflügel", "Gehirn", "Gerippe", "Gestein", Getier, Gezweig, ferner Geäder, Geäst, "Gebälk", Geblüm (poetisch), "Geblüt", Gebüsch, Gedärm, "Gefälle", "Gehäuse", "Gehege", "Gehölz", Gehörn, "Gelände", Gelüft (poetisch), "Gelüst", Gemäuer, "Gemüse", "Gemüt", "Gepäck", "Gerät", "Geschütz" (zu "Schuß"), "Gespött", "Gespräch", Gesträuch, "Gestühl", Gestüt, Getäfel, "Getränk", "Gewässer", Gewölk, "Gewürm", Gewürz, ferner "Gebirge", "Gefieder", "Gefilde", Genist, {{link}}Gestirn;{{/link}} zu manchen ist das Grundwort verloren, z. B. "Gekröse", "Geländer", "Gelenk", "Gestade", "Gesinde", manche sind direkt an das Verb angelehnt, z. B. "Gespött", v. a. wenn ein zugrundeliegendes Substantiv verloren ging, z. B. "Gebäck" (zu mhd. bac Mask. ), "Gedicht" (zu mhd. tihte Fem. ), "Gelächter" (zu mhd. lahter), "Getöse" (zu mhd. doz), "Getümmel" (zu mhd. tumel, oder wenn das Verb formell näher stand, z. B. "Gedeck" (ursprünglich zu "Dach"), oder wenn das Kollektivum in der Bedeutung dem Verb näher blieb, z. B. "Gedränge" (eigentlich zu "Drang"), "Gesetz" (zu "Satz"), "Gestell" (zu "Stall"), und wieder "Gedeck"; Geläut (wie auch "läuten") spezialisiert, wogegen dem Grundwort "Laut" die allgemeinere Bedeutung erhalten blieb; aus Verben abgeleitet (wobei ein Ergebnis des durch das Verb bezeichneten Vorgangs ausgedrückt wird): Gebräu, "Gebinde", "Gefüge", Gepräge, "Gericht", "Gerüst", "Geschenk", "Geschick", "Geschiebe", "Geschirr", "Geschmeide", "Geschmeiß", "Gewächs", "Gewinde", "Gewölbe", mit einem d-Suffix "Gebäude", "Gelübde", "Gemälde", "Getreide", "Gewerbe" ist Umbildung aus älterem gewerp; ebenfalls aus Verben abgeleitet (wobei zu Vorgangsbezeichnungen geworden): Gebrüll, "Geflüster", "Gefühl",Geheul, "Gehör", "Geleit", Gepränge, "Gericht", "Geschrei", "Geschwätz", "Gewühl",Gezänk; spätestens seit dem 18. Jahrhundert (vgl. L004 Johann Christoph Adelung) läßt sich aus jedem Verb eine derartige Bildung ableiten (meist verächtlich), z. B. Gefluche,Gefrage, Gelaufe, "Gerede", Gesinge,Getue usw., die sich von den älteren Bildungen durch Beibehaltung des Wurzelvokals unterscheiden und das auslautende e bewahren, abgesehen von den Ableitungen aus Verben auf -eln, -ern; außer den ursprünglich auf -eausgehenden Bildungen erscheinen auch eine Anzahl von Ableitungen aus Verben, die ursprünglich Vorgangsbezeichnungen waren, mit ge-zusammengesetzt, z. T. neben den einfachen Wörtern, z. B. "Gebet", "Gebiß", "Gebot", "Gebrauch", "Gebühr", "Geburt", "Gedanke" (mhd. gedanc), "Geduld", "Gefahr", "Gehalt", "Geheiß", "Gelaß", "Gemach", "Genuß", "Gesang", "Geschichte", "Geschmack", "Geschoß", "Gestank", "Gesuch", "Gewalt", "Gewand", "Gewinn"; bei den Adjektiven ist der ursprüngliche Sinn besonders deutlich in "gemein", weitere Beispiele: "gefügig", "geheim", "geläufig", "gelehrig", "gemach", "gemäß", "genau", "genehm", 1"gerade", "geraum", "gescheit",geschlacht, "gesund", "gewahr", "gewiß", "gewohnt", auch "gleich" (s. unten); in einigen Fällen steht (oder stand) das einfache Wort neben der Zusammensetzung ohne merklichen Unterschied der Bedeutung: "gelind", "gering", geruhig,geschlank, "geschwind", "gestreng",getreu, differenziert sind "recht" und "gerecht".
2 In verbaler Zusammensetzung liegt die ursprüngliche Bedeutung noch vor bei "gerinnen", "gefallen", "gestehen"; schon urgermanisch hat ga- bei Verben die Funktion, momentanes Geschehen zu bezeichnen, so daß entweder das Geraten in einen Zustand oder der Abschluß eines Vorgangs ausgedrückt werden (diese Funktion ist z. T. auf ↑ "er-" übergegangen), zu einigen ist das einfache Wort untergegangen: "gebären", "gebühren", "gedeihen", "gelingen", "genesen", "geschehen", "gestatten", "gewähren", "gewinnen", "gewöhnen", doch wo noch einfaches Wort und Zusammensetzung nebeneinander stehen, hat sich in der Regel ein weiterer Bedeutungsunterschied herausgebildet: "gebieten", "gebrechen", "gefrieren", "gehören", "gehorchen", "gelangen", "geleiten", "geloben", "gereichen", "geraten", "gestehen", weniger scharf ist der Unterschied bei "gedenken", getrauen, ganz gleich stehen sich "ziemen" und "geziemen".
3 Die angegebene Funktion hat ge-ursprünglich auch im Partizip Perfekt, in dem es allmählich notwendig geworden ist. Am spätesten haben es einige Verben angenommen, denen an sich der Bezug auf einen einzigen Moment zukommt, darunter worden. Außerdem ist ge- nicht hinzugetreten bei einigen adjektivisch gewordenen Zusammensetzungen wie "hausbacken", "willkommen", "wahnschaffen". Dagegen haben die Fremdwörter auf -ierenund auch die analog aus deutschen Stämmen gebildeten Verben ("hausieren" usw.) in der neueren Sprache das ge-wieder verloren, das im Mittelhochdeutschen und noch im Frühneuhochdeutschen üblich war (mundartlich z. T. noch vorhanden; Iffland gebraucht die Umgangssprache nachahmend geordiniert, gerequiriert, ausgestudiert). Veranlassung zu der Bildung ohne ge- war hier jedenfalls die Betonung. Die Fremdwörter haben sich nach den Zusammensetzungen gerichtet, weil die erste Silbe wie bei diesen unbetont war; ähnlich verhält es sich mit anderen Verben, z. B. Zusammensetzungen mit miß-, vgl. noch A075 Johann Wolfgang von Goethe Ich habe schimpflich mißgehandelt (Faust II,11836); wird derselbe sehr gemißbraucht(46,280,17); vgl. auch das Verhältnis von betontem und unbetontem Präfix: durchbróchendúrchgebrochen. Wo übrigens eine alte Zusammensetzung als solche nicht mehr empfunden wurde, ist gleichfalls ge- eingetreten, vgl. gefressen, geblieben, gegönnt. Von einigen Verben, die aus Substantiven abgeleitet sind und bedeuten ›mit dem versehen, was das Substantiv bezeichnet‹, sind nur die Partizipien üblich, vgl. "geblümt", "gefiedert", "geflügelt"; danach hat man solche Partizipialbildungen auch direkt aus Substantiven abgeleitet, z. B. geharnischt, gelaunt, "gesittet", gespornt, gestiefelt, "gewillt", wonach manche andere gelegentlich, besonders von Dichtern, gebildet werden, z. B. weitgeästet (Voß), den viergebeinten Leib (Wieland), ein langgehalster Schwan (Wieland), gut gekopft (Auerbach) (vgl. die entsprechenden Bildungen mit be-[5]). Diese haben z. T. ältere einfachere Bildungen ohne Partizipialendung verdrängt, vgl. gefreund, gefreundet. Der Vokal von ge- ist in manchen Fällen geschwunden, vor Vokal z. T. schon in sehr alter Zeit (z. B. "gönnen"); jünger ist der Ausfall in dem Partizip gessen, wofür später gegessen; ferner findet sich der Schwund vor l, r, n, vgl. "Glaube", "glauben", "gleich", "Gleis"/ Geleis, "Glück", 1"gerade"/ grade, "Gnade", "begleiten", "begnügen", "Vergnügen". Allgemein ist der Schwund in den oberdeutschen Mundarten. Indem dann vielfach Assimilation des g an den folgenden Konsonanten eintritt, entsteht der Schein, als ob gar kein ge- vorhanden sei.
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