Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
gar
ahd. garo(flektiert garawer), mhd. gare, gar (flektiert garewer, garwer), altgermanisches Wort (altnord. gorr, engl. yare), vielleicht < erschlossenem ga-arwa zu altnord. orr, altsächs. aru ›rasch‹, frühneuhochdeutsch zuerst L037 Petrus Dasypodius (1536), auch in der Form garb(Sachs; L059 DWb), verwandt mit ↑ "gerben";1 Adjektiv, bis ins 18. Jahrhundert ›bereit, fertig (zur Verwendung)‹: sind meine schuhe schon gar?(Heynatz; L059 DWb); übertragen: Ich bin noch nicht gar mit ihm (L308 Kaspar Stieler 1691);
2 Adjektiv ›fertig gekocht, gebraten usw.‹ (seit dem 14. Jahrhundert belegt; L059 DWb): Iß was gahr ist / Trinck was klar ist / Sag was wahr ist (L105 Georg Henisch 1616); gleich ist der Kaffee / Gar (A316 Johann Heinrich Voß, Luise 1,339); in verschiedenen ⇓ "S220" technischen Fachsprachen: gares Leder, gares Salz, gare Kohlen(L004 Johann Christoph Adelung); Die leicht flüssigen Eisensteine am Harze geben gares Eisen (L004 Johann Christoph Adelung); Die Kohlen werden im Meiler gar (L004 Johann Christoph Adelung); übertragen: Bei Madchen, die durch Liebesungluck gebeitzt sind, wird ein Heirathsvorschlag bald gar (A074 Johann Wolfgang von Goethe, 8,85 LH);
3 Adverb ›vollständig, ganz, alle(s)‹, »Gentzlich« (L200 Josua Maaler 1561): do waren gar gestorben die Guntheres man(Nibelungenlied; L059 DWb); Er hat alles gar aufgegessen (L004 Johann Christoph Adelung); Gar recht! Du hast dich nicht geirrt! (A074 Johann Wolfgang von Goethe, 11,141 LH); der Verneinung früher oft nachgestellt: das er nicht gar heil ist (Luther; L059 DWb); Es waren nicht gar zehen Thaler (L004 Johann Christoph Adelung); so noch oft bei A074 Johann Wolfgang von Goethe: Wir haben nicht gar drey Jahre zusammen gelebt (10,132 LH); besonders auch in der verneinten Antwort: Wieland. Das hab' ich alles auch. Euripides. Nicht gar (A074 Johann Wolfgang von Goethe, 33,277 LH); in dieser Bedeutung schon im 18. Jahrhundert selten, allgemein üblich noch in Verbindung mit gleichbedeutend ↑ "ganz" in ganz und gar (schon 16. Jahrhundert): Sy ziehend gantz vnnd Gar ab von der rachten leer und wyßheit (L200 Josua Maaler 1561); Dann habe sie es überwunden, ganz und gar (Th.A183 Thomas Mann, Zauberberg 425); sowie im Sinne von ›überhaupt‹ als Verstärkung der Negation (dabei dieser vorangestellt): gar nicht (schon Luther, L037 Petrus Dasypodius 1536), gar nichts (Luther; L059 DWb) usw.: Vnd durfft sich gar niemand mercken lassen / das er ein Jüde were (A180 Martin Luther, 2.Makkabäer 6,6); Er ist gar nicht reich, gar nicht groß, gar nicht berühmt u. s. f. (L004 Johann Christoph Adelung); es wäre mir nichts, aber auch gar nichts geschehen (B.A247 Botho Strauß, Sieben Türen 175); auch hier (bis ins 19. Jahrhundert) mit einer gewissen Freiheit der Wortstellung: es ist gar mein Bild nicht (A074 Johann Wolfgang von Goethe 20,162 LH); was dient bei hof am meisten? der kopf? nicht gar! die zunge (Logau; L059 DWb); mundartlich auch in der Bedeutung ›zu Ende, vorbei‹: ist die schule schon gar? (Heynatz; L059 DWb), vgl. südostdeutsch der Zug ist gar, sogar das Brot ist gar (dafür norddeutsch ↑ alle); hierher auch garausganz aus, ganz bis zu Ende‹: hastu es nicht gar aus mit jnen gemacht (A180 Martin Luther, Nehemia 9,31); der Agent schrieb den Briefperioden gar aus (Jean Paul); dazu Garaus (s. unten); aus der Bedeutung (3), ähnlich wie bei ↑ "ganz", schon mittelhochdeutsch Abschwächung zu
4"S080" Gradpartikel ›sehr‹, mit Stellung entweder direkt vor dem Bezugsadjektiv oder -adverb oder vor dem zugehörigen Artikel, heute besonders österreichisch und süddeutsch (vgl. L066 Jürgen Eichhoff, Karte 3–55; L099 3GWb), ↑ "sehr": es ist gar ein klein ding (Luther; L059 DWb); Gar alt, Gar bhend, Gar fromb, Gar groß, Gar kurtz / Mit gar kurtzen worten, Gar langwirig (L200 Josua Maaler 1561); Er ist ein gar gelehrter Mann (L004 Johann Christoph Adelung); Gar schone Spiele spiel' ich mit dir (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Erlkönig); Beide [Eltern] sind gar zornig sehr, / haben nichts zu essen mehr (H.A300 Heinrich Hoffmann, Struwwelpeter); hierher auch die Verbindungen gar sound gar zu (allzu ↑ "all"): dasz der edle mann… uns gar so sehr den professor zeigt! (Klinger; L059 DWb); Es horte sich ihr gar so gut zu (A074 Johann Wolfgang von Goethe, 25,348 LH); Opitz, deütscher sprach erretter, / muste gar zu frü davon (1646 Rist; L059 DWb); Die Mutter ist gar zu genau (A074 Johann Wolfgang von Goethe, 12,160 LH); besonders häufig in gar zu gern (z. B. A074 Johann Wolfgang von Goethe, 26,19 LH); daraus ↑ "sogar", zunächst ›so sehr‹, später im Sinne von ›in höherem Maße bzw. anders, als erwartbar war‹, dafür
5 (spätestens seit dem 18. Jahrhundert) auch einfaches gar: Die Freundschaft, die so leicht Parteylichkeit des Herzens und wohl gar Selbstliebe wird (Gellert; L004 Johann Christoph Adelung); Heiße Magister, heiße Doctor gar (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Faust I,360); eine Minute oder gar ganze sieben(Th.A183 Thomas Mann, Zauberberg 94); auch im Sinne von ›vollends, geradezu‹: und wenn die welt voll teufel wär / und wollt uns gar verschlingen (Luther; L059 DWb); ebenfalls im Sinne von ›erst‹, ›in erwartbarer Weise noch mehr‹: die Männer sind in diesem Punkt empfindlich, und gar ein Nobelpreisträger(A045 Friedrich Dürrenmatt, Meteor 67); Und welche kaum ermeßliche Fülle von Betonungen und Anspielungen erlaubt gar das undeutliche Partikel »Hm«(B.A254 Botho Strauß, Paare 89); ironisch zustimmend und darum in Wirklichkeit skeptisch-ablehnend in der rhetorischen Frage warum nicht gar? (L004 Johann Christoph Adelung): Merkulo. Hier in diesem [Kasten] ist der Gesang, der lieblichste Gesang der Vogel verborgen Mana. Warum nicht gar? (A074 Johann Wolfgang von Goethe, 14,21 LH), ähnlich lieber gar, ich dächte gar (L059 DWb).
Gare Fem. , ahd. garawi, mhd. garweZubereitung, Zurüstung‹, seither ›Garsein, Fertigsein, Zubereitetsein‹, z. B. des Kupfers in der Schmelze (1712 Hübner; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt), der »Sohle, im Salzwesen« oder der »Häute bey den Gärbern« (L004 Johann Christoph Adelung), in der Landwirtschaft ›günstige Bodenbeschaffenheit, Besserung durch Düngung und Bearbeitung‹ (1731 Zinck; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt): Die Kohlenmeiler haben die rechte Gare, wenn sie genug gebrannt haben (L004 Johann Christoph Adelung), dazu garen, ↑ "gerben", ferner ↑ "gären".
Garaus Mask. (bis ins 20. Jahrhundert auch Neutr. ) ›völliges Ende, Untergang‹, substantivisch aus gar ausganz aus, vorbei‹; wohl nach dem die letzte Stunde des Tages anzeigenden Ruf Gar aus! (1498; L164 Friedrich Kluge) der Nürnberger und Regensburger Nachtwächter, der später auf den entsprechenden Glockenschlag übertragen wurde: wenn es auf der groszen uhren, wie zu Nürnberg und anderstwo bräuchlich, nach der tagläng… abends den garaus schlägt, soll man sich erinnern, dasz auch mit uns allen… ja mit der ganzen welt letztlich der garausz kommen werde (Kirchhof; L059 DWb); nicht mehr üblich den Garaus machender letzte Trunk sein‹ (1537; L109 Moriz Heyne), den Garauß sehen »Vltima cernere« (L200 Josua Maaler 1561), den Garaus (›das letzte Lied‹) singen/ spielen (L305 Christoph Ernst Steinbach) (vgl. "Kehraus" [2"kehren"]), woraus (mit) jmdm. den/ das Garaus spielenjmdn. zugrunde richten‹ (L308 Kaspar Stieler s. v. aus, L004 Johann Christoph Adelung); heute nur üblich in
etwas/ jmdm. den Garaus machen (Fischart; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt); ›etwas beenden, jmdm. das Ende bereiten‹ (16. Jahrhundert; L059 DWb): die Füße derer, die ihnen den Garaus machen werden, stehen schon vor der Tür (Th.A183 Thomas Mann, Zauberberg 560).
Garküche (1540 Alberus garküch; 1517 Trochus Jarkuchen; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt; L037 Petrus Dasypodius 1536 gartkuchen »offne Kuchin«) ›öffentliche Küche, in der fertige Speisen bereitstehen‹; übertragen in: Aber das Spektakel, wenn die Köpfe der Rebellen in die Garküche des Henkers fliegen? (A222 Friedrich Schiller, Fiesko 3.7).
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