Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
führen
ahd. fuoren, mhd. vüeren, ⇓ "S107" Bewirkungswort zu ↑ "fahren", diesem in seiner allgemeinen Bedeutung entsprechend.1 Ist das Objekt ein lebendes Wesen, so liegt in führen gewöhnlich nicht das Hervorbringen oder Veranlassen der Bewegung, sondern nur die Bestimmung der Richtung (synonym "leiten").
1.1 Es kann dabei ein Schieben oder Ziehen stattfinden (an der Hand, am Arm, am Seil führen) oder
1.2 bloß ein Weisen mit Gebärden oder Worten: Ein Kriegsvolk furen(L308 Kaspar Stieler), Der Klassenlehrer führt einige Jahre eine Klasse (L320 Trübner), so ⇓ "S147" heute häufig auf das öffentliche Leben bezogen im Partizip Präsens ein führender Politiker, an führender Stelle.
2 Seit der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts im ⇓ "S205" Sport ›Erster sein‹: beim Wettrennen führte der Hengst Ali (L264 Daniel Sanders), danach »neuerdings… zur Bezeichnung der ersten Stelle in Wissenschaft, Handel und Gewerbe« (L320 Trübner) ein führendes Unternehmen.
3 Auch eine Straße, ein Zweck usw. führt (mit Richtungsbezeichnung): Es führt kein andrer Weg nach Küßnacht (A222 Friedrich Schiller, Tell 4,3); übertragen: das Theater sei zu gar nichts nütze, und könne zu gar nichts führen (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Dichtung und Wahrheit, 26,166,10); das würde zu weit führen (L059 DWb).
4 Von Gedankengängen: Das führet mich wieder auf den vorigen Gegenstand (L004 Johann Christoph Adelung); auch ›jmdn. in der Richtung seines Handelns bestimmenfüre vns nicht in versuchung (A180 Martin Luther, Matthäus 6,13); Ein edler Mann wird durch ein gutes Wort / Der Frauen weit geführt (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Iphigenie 214).
5 Ist das Objekt eine Sache, so liegt auch die direkte oder indirekte Hervorbringung der Bewegung in führen; die Bewegung braucht nicht immer in Hinsicht auf den Gegenstand gemacht zu sein, sie braucht nur den anderswie bestimmten Bewegungen des Subjekts zu folgen, vgl. bei sich führen (nicht sehr verschieden von bei sich haben), mit sich führen, einen Namen, Titel führen;
etwas im Schilde führenetwas Übles beabsichtigen‹ (↑ "Schild").
6 Der Transport kann Zweck der Bewegung sein: Der Rhein führt mehr Wasser als der Main (L004 Johann Christoph Adelung); oder die Bewegung wird zu einem bestimmten Gebrauch einer Sache bzw. als Mittel zu einem Zweck gemacht: das Schwert, den Besen, Pinsel, die Feder führen (Federführung), Einem Kinde die Hand führen(L004 Johann Christoph Adelung); hierher auch Was führen Sie da für Reden? (L004 Johann Christoph Adelung); etwas im Munde führen; du sollst den Namen Gottes, deines Herrn nicht unnützlich führen (Luther);
sich etwas zu Gemüte führen »im Scherze, es zu sich nehmen« (L004 Johann Christoph Adelung), ›einprägen und beherzigen‹.
7 Nicht ein Fortbewegen, sondern ein Verlängern, Erhöhen usw. nach bestimmter Richtung bezeichnet führen in eine Mauer (um die Stadt), eine Straße führen (Straßenführung).
8 Schriftsprachlich nicht mehr üblich ist führen in der spezialisierten Bedeutung ›transportieren‹ von transitiv "fahren", auf Personen oder Sachen bezogen: da er sahe die Wagen, die ihm Joseph gesandt hatte, ihn zu führen (Luther); führte Herr… v. Stein mich im Wagen bis Thal (L092 GoeWb); getragen und geführt (Uhland) (vgl. L171 Paul Kretschmer 20, 598).
9 Eine Ware führen stammt aus der Zeit, als der Kaufmann damit im Land herumzog, jetzt ›vorrätig haben‹.
10 Häufig wird führen auch mit einer Tätigkeitsbezeichnung als Objekt verbunden: Auf unmittelbar sinnlicher Anschauung beruhen einen Schlag, Stoß führen usw., abgeblaßter in Wendungen, die als Umschreibungen eines Verbalbegriffs angesehen werden können (führen als Funktionsverb): Krieg, Klage führen, ein Amt, Gespräch, einen Beweis, Prozeß, eine Unterhaltung, Verhandlung, die Regierung; ein gottlos Leben führen (L308 Kaspar Stieler); Gedenken Sie mit ihr eine zufriedene Ehe zu führen? (L004 Johann Christoph Adelung). Anderer Art sind Wendungen, in denen wieder die Vorstellung eines Ziels in den Vordergrund tritt: eine Arbeit, Erzählung usw. zu Ende führen; hierzu ⇑ "ausführen"(3), "durchführen".
11 Seit dem späteren 18. Jahrhundert sich führensich betragen‹, dazu ↑ "aufführen", Führung(2). Weiter ⇑ "abführen", "anführen", "einführen", "verführen", "vollführen"; entführen, fortführen, hinführen, vorführen, zuführen.  
Führung (15. Jahrhundert),
1 v. a. ›Leitung, Lenkung‹, in Zusammensetzungen häufig zu führen(10): Amtsführung, Beweisführung, Buchführung, Geschäftsführung, Rechnungsführung.(alle L092 GoeWb), Führungskraft, Führungsrolle, Führungsanspruch (z. B. der SED);
2 jünger und besonders auch schulsprachlich (sogenannte Kopfnote im Zeugnis) ›Betragen, Verhalten‹ entsprechend älterem Aufführung; dazu Führungszeugnis »zeugnis über aufführung und betragen« das führungszeugnis des angeklagten wurde verlesen (L059 DWb 1866).
Führer ahd. vuorariLastträger‹;
1 führer, der einen bey der hand hat (1686; L059 DWb), im Sinne von ›LenkerFührer eines Schiffes (L004 Johann Christoph Adelung), heute amtssprachlich für "Fahrer": der Führer dieses Pkws; im Geistigen ›Erzieher, Leiter‹, in ⇓ "S170" pietistischem Sprachgebrauch auch auf Gott bezogen (L092 GoeWb); meiner jugend freund und führer (Uhland; L059 DWb), entsprechend in der Jugendbewegung: Keiner konnte dem anderen etwas befehlen… Es gab keinen Kommandeur, nur einen Führer. Und der wirkte… durch das Beispiel (1922; zitiert nach A157 Werner Kindt 40); seit dem 18. Jahrhundert speziell als Bergführer, Reiseführer, Stadtführer u.dgl., metonymisch für ein Buch mit entsprechender Funktion (L092 GoeWb): Museumsführer, Reiseführer;
2 militärisch und politisch »Oberster« (L105 Georg Henisch), der herr got ist ewer fürer, er selb streit für euch (1483; L059 DWb), Einem Jungen Führer im Ersten Weltkrieg (Gedichttitel bei S.A067 Stefan George); im ⇓ "S145" Nationalsozialismus in Anlehnung an gleichbedeutendes italienisch faschistisches duce verwendet, seit Anfang der 20er Jahre personalisiert: Als Redner war unser Führer Hitler erschienen(Völkischer Beobachter 13.9.1922; L015 Cornelia Berning s. v. Führer), ab 1934 offiziell Führer und Reichskanzler, ab 1939 nur noch der Führer und in der Anrede Mein Führer, dazu die Ergebenheitsformel Führer befiehl, wir folgen. Aus dem Exil und u. a. auch im Flüsterwitz wird die Demontage des Begriffs betrieben: Der Führer versichert, daß das Dritte Reich Dreißigtausend Jahre dauern wird (1939 B.A024 Bertolt Brecht, Gedichte 4,130); Das elende Subjekt, das sich noch Deutschlands Führer nennt (1945 Th.A183 Thomas Mann, Rundfunkreden 31.1.); Das deutsche Volk besteht aus dem Führer und den Angeführten (H.-J.Gamm, Der Flüsterwitz im Dritten Reich. 1963,129). ⇓ "S236"
Führerschein zu Führer(1) ⇓ "S138"amtliche Fahrerlaubnis‹ (L056 Duden 111934); synonym "Fahrerlaubnis" (↑ "fahren"), landschaftlich auch Fahrausweis (↑ "ausweisen"), ↑ "Patent" und ↑ "Billett", umgangssprachlich ↑ "Lappen" und Fleppen (vgl. L066 Jürgen Eichhoff, Karte 3–48).
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