Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
fort
ursprünglich nord- und mitteldeutsch, mhd. vortvorwärts, weiter‹ (das ahd. framverdrängt), altsächs. forthweg‹, germanische Ableitung von ↑ "vor" (Komparativ dazu ⇑ "fürder", "fördern"); ursprüngliche Bedeutung daher ›vorwärts‹; als Gegensatz zu dem Verbleiben an einem Punkt, nicht mehr als Gegensatz zu "rückwärts", wie im Mittelhochdeutschen: vort unde wider, daher Synonym von "weg" geworden, so in er ist fort, er will, muß fortusw.; imperativisch als Aufforderung sich zu entfernen: Es heißet endlich mit uns allen: Fort! (L308 Kaspar Stieler), Fort mit dir, du Unverschämter!(L004 Johann Christoph Adelung); in zahlreichen Verbindungen mit verschiedenen Verben, mit denen es meist zusammengeschrieben wird: forteilen, fortschaffen usw.; desgleichen in Zusammensetzungen mit Verbalsubstantiven: Fortfall, Fortzug usw. Doch gibt es auch Verbindungen, in denen noch der Begriff ›vorwärts‹ liegt, dann auch übertragen auf die Vorstellung des Gedeihens wie bei "fördern": fortbewegen, fortbringen, fortgehen (s. unten), fortkommen, fortrücken, fortsetzen (s. unten) u. a., namentlich fortschreiten, Fortschritt (s. unten), Gegensatz rückschreiten, "Rückschritt"; auf die Zeit übertragen bezogen auf die Richtung in die Zukunft, in der älteren Sprache ›ferner, von jetzt an‹, so häufig bei Luther: wir glauben nun fort nicht um deiner Rede willen, auch später noch: daß dich fort nicht mehr erschrecke deines Feindes Ungestüm (P.Gerhard), jetzt noch in "hinfort" (eigentlich ›von hier vorwärts‹), in den neueren Bibelausgaben meist anstelle des einfachen fort; daneben frühneuhochdeutsch häufig, im 18./ 19. Jahrhundert vereinzelt forthin, ferner fortan (↑ "an"), auch in "immerfort"; ursprünglich ferner in Verbindung mit Verben und Verbalsubstantiven als Synonym von "weiter", drückt also aus, daß etwas, was bereits in Gang ist, fortgesetzt wird: er schlief in einem fort (Wieland; L320 Trübner); Und Ihr, mein Herr, Ihr reist so immer fort? (A075 Johann Wolfgang von Goethe Faust I,3085); sehr gut! sehr brav! nur fort, erzähle weiter! (Schiller; L059 DWb); fortarbeiten (A075 Johann Wolfgang von Goethe Wanderjahre 24,186,26), fortdauern (Fortdauer), fortfahren, fortleben, fortwähren; hierher auch fort und fort, (und) so fort, verschieden von ↑ "sofort".  fortan (A180 Martin Luther), von dem tage / vnd fort an(1.Samuel 18,9), heute gehoben ›künftig‹;
fortfahren bei Luther zunächst
1verfahren‹: wider dieselben wollen wir, das… nach form und gestalt des banns… fortgefaren werden solle (L059 DWb), so noch bei Schiller; daneben zeitlich noch mit Anschluß an die ursprüngliche Bedeutung von fort
2 Er feret fort mit seinem thun jmerdar (A180 Martin Luther, Psalm 10,5), häufig auf das gesprochene Wort bezogen nach einer Zwischenfrage mit dem Vortrag fortfahren; seit dem 17. Jahrhundert
3 von der räumlichen Bewegung: Mit dem Wagen, mit dem Schiffe fortfahren (L004 Johann Christoph Adelung), transitiv den Wagen, Holz fortfahren;  
fortgehen (frühnhd.), konkret im Sinne von einer räumlichen Entfernung: Und hurre, hurre, hopp, hopp, hopp! / Ging's fort in sausendem Galopp (G.A.A032 Gottfried August Bürger, Lenore); bis ins 19. Jahrhundert daneben übertragen noch in ausgedehnterem Gebrauch mit Anschluß an die ursprüngliche Bedeutung von fort im Sinne von ›fortschreiten‹: daß man in der Unterweisung von dem Leichteren auf das Schwerere fortgehen müsse (Lessing), Schiller geht mit seinem Wallenstein sachte fort (Goethe, Briefe), noch allgemein wenn das so fort geht; biblisch ›vonstatten gehen, ausgeführt werden‹: befiehl dem Herrn deine Werke, so werden deine Anschläge fortgehen (Sprüche 16,3), entsprechend
Fortgang mhd. vortganc: die Sache hat guten Fortgang.
fortpflanzen (frühnhd.), reflexiv ›biologisch vermehren‹: Das Unkraut pflanzet sich leichtlich fort (L308 Kaspar Stieler), metaphorisch: [die Kirche] wirt auch mit blut begossen, beschneitelt, fortgepflantzet (Luther, Tischreden); übertragen ›sich ausbreiten‹: der schall, das licht pflanzt sich fort (L059 DWb), ›übermitteln, tradieren‹ (Kenntnisse usw.);
Fortsatz (L308 Kaspar Stieler), jetzt ›körperliche Verlängerung‹, ähnlich wie "Ansatz"; früher auch ›Fortsetzung‹, von einem Vorgang, Unternehmen: bei dem Fortsatz der Vernunftübungen(Leibniz).
Fortschritt ursprünglich
1 auf konkrete Bewegung bezogen, zunächst noch nach der Präsensform von ↑ "schreiten" gebildet: des Himmels runder Lauf, der Fortschreit der Planeten (1631 P.Fleming, Auf Herrn Johann Michels sein Doctorat), Fortschreitung auch noch bei Schiller und A075 Johann Wolfgang von Goethe: alles, was Bildung und Fortschreitung heißt (Maximen und Reflexionen 42.1,187,23);
2 abstrakter Begriff der Weiterentwicklung seit Mitte des 18. Jahrhunderts (Wieland) als ⇓ "S125" Lehnübertragung von franz. progrès, vgl. I.A153 Immanuel Kant: Die Natur unserer Erdkugel hat in dem Fortschritte ihres Alters.. nicht eine gleiche Stufe erreicht (AA 1,200); ist… der Fortschritt.. durch die ehrsüchtigen Absichten derselben [Staaten] ziemlich gesichert (I.A153 Immanuel Kant, AA 8,27); bei L003 Johann Christoph Adelung 1775 noch nicht verzeichnet, gebucht Kinderling 1795: »uneigentlich… Vermehrung der Einsichten, der Erfahrung, des Muts, der Fertigkeit im Guten oder auch im Bösen« (L086 GG2,386); bei Goethe seit 1786, meist auf individuelle (geistige, künstlerische) Entwicklung bezogen (L092 GoeWb); seit dem späten 18. Jahrhundert zunehmend geschichtsphilosophisch verstanden (L086 GG2,387; L138 HWbPh 2,1032ff.), wohl von der Naturgeschichte her übertragen, vgl. A121 Johann Gottfried Herder: der ganzen Naturordnung in ihrem unermeßlich langsamen Fortschritt (Briefe zur Beförderung der Humanität, 322), im Idealismus im Sinn einer notwendigen Entwicklung: Die Weltgeschichte ist der Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit -… den wir in seiner Notwendigkeit zu erkennen haben (A113 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Die Vernunft in der Geschichte, 40); entsprechend nach etwa 1820 politisches ⇓ "S192" Schlagwort (vgl. Ladendorf, in: L360 ZDW 10,235; 24,60ff.; Saeculum 4,340): Man nennt aber dieses absichtliche Hindern des Fortschritts des Bessern… Reaction (1827; L086 GG 2,413), unbedingter Fortschritt (1854; L086 GG410); marxistisch vereinnahmt: die große bewegende Kraft des geschichtlichen Fortschritts (1894; A186 Karl Marx/ A186 Friedrich Engels 22,479), und so Leitbegriff in den »marxistischen Erbfolgeländern und -parteien« (L086 GG2,420). ⇓ "S207" Seit etwa 1900 wird Fortschritt zunehmend der Begriffskritik unterzogen und im Sinne des Kulturpessimismus neu bewertet: Kritik des Fortschritts… Der geist des fortschritts… gibt vor, die welt wirklich zu besitzen und hat sie ganz verloren (1910, Nietzsche; L086 GG2,422); Motto der ›Philosophischen Untersuchungen‹ A282 Ludwig Wittgensteins: Überhaupt hat der Fortschritt das an sich, daß er viel größer ausschaut, als er wirklich ist (Nestroy); Und nennen Fortschritt ihre Schneckenspuren (A215 Rainer Maria Rilke, Buch von der Armut und vom Tod); entsprechend nach 1945: Der Fortschritt droht das Ziel zunichte zu machen, das er verwirklichen solldie Idee des Menschen(M.Horkheimer, Zur Kritik der instrumentellen Vernunft [1967] 13); euer Fortschritt… nur ein Fortschreiten von der Menschheit weg (B.A025 Bertolt Brecht, Galilei; 3,1340). Die Gegenposition erscheint eher ironisch: Technischer Fortschritt is heute die Zukunft (A169 Franz Xaver Kroetz, Maria 100). Vgl. noch P.Schmitter, Fortschritt. Zu einer umstrittenen Interpretationskategorie in der Geschichtsschreibung der Linguistik und der Semiotik. In: Geschichte und Geschichtsschreibung der Semiotik, 1986,39ff.
fortschrittlich"S071" L033 Joachim Heinrich Campes ⇓ "S124" Lehnübersetzung von progressiv.
fortsetzen zunächst
1 wie ›versetzen‹ auf den räumlichen Ortswechsel bezogen (vgl. L105 Georg Henisch); daneben im Sinne von ›fortpflanzen‹: ein Kraut fortsetzen (L105 Georg Henisch), so noch bei L004 Johann Christoph Adelung, danach wie heute v. a.
2 »figürlich, in einer Handlung fortfahren«: Eine Arbeit… seinen Weg fortsetzen (L004 Johann Christoph Adelung), häufig im Partizip Prät. ›dauernd‹: seine fortgesetzte aufmerksamkeit(Goethe; L059 DWb), eine Rede, eine Erzählung fortsetzen, dazu die Fortsetzung dieser Geschichte (Wieland; L264 Daniel Sanders) und Fortsetzungsroman, von Gutzkow bespöttelt die Fortsetzung-folgt-Romane (L264 Daniel Sanders).
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