Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
Form
mhd. forme< lat. forma;1Gestalt‹, ursprünglich nur und bis ins 17. Jahrhundert auch vom Menschen: ir schone forme, die sie truc (L059 DWb), dann auch allgemeiner diu sunne ist ain form… der varb (Megenberg; L059 DWb), bei A075 Johann Wolfgang von Goethe mit Betonung von Festigkeit: Geprägte Form, die lebend sich entwickelt(Urworte, Dämon); dazu Übertragungen, seit dem 15. Jahrhundert (vgl. L059 DWb) auf sprachliche Strukturen: Form und Regel darnach zureden (L105 Georg Henisch), Redeform (L308 Kaspar Stieler), die formen der alten sprache waren reiner und reicher (L059 DWb), in literaturtheoretischem Sinn lyrische, freie Form; im Sinne von ›Art und Weise‹, rechtlich nach der besten form umb enthaltung willen des gemeinen frides ewige urfehde thun (16. Jahrhundert; L059 DWb), die form des vertrags (L059 DWb), dann auch auf gesellschaftliche Einrichtungen – Regierungsform, Staatsform (18. Jahrhundert; vgl. L059 DWb) – bzw. seit dem 18. Jahrhundert auf Verhaltensweisen bezogen: Leuten, die ein wenig mit der großen Welt bekannt sind und unter Menschen von allerlei Formen und Ansehn gelebt haben (A163 Adolf Freiherr von Knigge, 1Umgang 32; 3Umgang 93), dazu formelhaft etwas in höflicher, schroffer Form ablehnen, in aller Form seinen Abschied erhalten, von daher auch die pejorative Entwicklung der Form wegen einen Abschiedsbesuch machen (Goethe; L264 Daniel Sanders); nach dem Gebrauch in der Mystik eine einvaltige forme… , nach der du dich rihtest (L320 Trübner) ›Muster‹; dann
2 auf das Gefäß bezogen, eine Masse in eine bestimmte Gestalt zu bringen: Inn ein andere forme gießen (L105 Georg Henisch), Wenn die Glock soll auferstehen, / Muß die Form in Stücke gehen (A222 Friedrich Schiller, Glocke), dazu die festeren Wendungen Form geben, in eine Form gebracht (beide vgl. L200 Josua Maaler), in Form von,
aus der Form geraten, seit dem frühen 20. Jahrhundert in Form seinin guter Verfassung sein‹: Höfgen war blendend in Form (K.Mann; L337 WdG), besonders im Sport ›leistungsfähig, fit‹ (vgl. L320 Trübner),
groß in Form; seit der Entwicklung der Kunstkritik im 18. Jahrhundert
3 Fachwort der Ästhetik, bei A280 Johann Joachim Winckelmann als Verkörperung der Idee gedeutet: stufenweise Absonderung… , bis die Form dergestalt verfeinert wird, daß nur allein der Geist in derselben gewirkt zu haben scheint (1776 Geschichte der Kunst des Altertums 407); daneben auch Gegensatz zu "Stoff": Das Genie kann nur reichen Stoff zu Produkten der schönen Kunst hergeben;… die Form erfordert ein durch die Schule gebildetes Talent (I.A152 Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft §47), Gegensatz besonders zu "Inhalt", so bei I.Kant und besonders bei A222 Friedrich Schiller: In einem wahrhaft schönen Kunstwerk soll der Inhalt nichts, die Form aber alles thun (Ästhetische Erziehung, 22.Brief); vgl. noch B.Brecht: In der Kunst spielt die Form eine große Rolle. Sie ist nicht alles, aber sie ist doch so viel, daß Vernachlässigung ein Werk zunichte macht (›Was ist Formalismus?‹); in der modernen Architektur die Programmatik der einfachen Form: Exakt geprägte Form… klare Kontraste und Einheit von Form und Farbe(1916 Gropius, in: H.M.Wingler, Das Bauhaus, 30).
formlos mhd. formelos, dann erst wieder bei L169 Matthias Kramer 1700 und im L059 DWb; ›ohne Gestalt‹: rückte die pfeife in die ecke des formlosen mundes (Jean Paul; L059 DWb); übertragen auf den Umgang bezogen er ist sehr formlos, positiv im Sinne von ›ungezwungen‹; institutionell ›ohne vorgeschriebene Gestalt‹: jede formlose Willenserklärung genügt (Savigny; L059 DWb);
Formenlehre (L218 Muret/ Sanders) wohl erst seit dem späteren 19. Jahrhundert ⇓ "S208" sprachwissenschaftlich ›Morphologie‹, also die Lehre von Deklination, Konjugation und Komparation: Formenlehre… Lautlehre… Wortbildungslehre.. Flexionslehre (1875 C.F.Koch, Deutsche Grammatik XVIIf);
formal (1678; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt) < lat. formalis; zunächst religiös im Sinne von ›strenggläubig‹: ein formaler Pietist (1721), formale Herrenhuter (1741; beide L081 FWb), allgemeiner ›die äußere Form betreffend‹, im Gegensatz zu ›inhaltlich‹: eine bloß formale Zweckmäßigkeit, d. i. eine Zweckmäßigkeit ohne Zweck (I.A152 Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft §15), dazu formale Logik von I.A152 Immanuel Kant (Kritik der reinen Vernunft) im Sinne der klassischen und im Gegensatz zur transzendentalen Logik auf die Form der Erkenntnis bezogen; heute vor allem rechtlich: die formale Gleichstellung von Frau und Mann, abwertend ›äußerlich, ohne Bezug auf den Inhalt‹: Vorschriften formal anwenden;
Formalie (17. Jahrhundert; L081 FWb), zumeist Plural Formalien < lat. Plural Neutr. formalia, von L004 Johann Christoph Adelung ins »gemeine Leben« verlegt, »die äußern außerwesentlichen Umstände«: Er wurde mit allen Formalien empfangen (L004 Johann Christoph Adelung); daneben im 18. Jahrhundert auch gleichbedeutend mit
Formalität (1694; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt) < mittellat. formalitas: Formalien und Formalitäten, Förmlichkeiten (L033 Joachim Heinrich Campe), so heute veraltet; daneben ›unwesentliche, überbewertete Sache‹: man musz sich formalitäten gefallen lassen, die die sachen in die länge ziehen (Weisze; L059 DWb), so heute vor allem institutionell, abschwächend eine bloße Formalität.
Format 16. Jahrhundert < lat. formatum; ursprünglich ⇓ "S054" druckersprachlich ›Höhe und Breite eines Buches‹ (vgl. L160 Heinrich Klenz): in groß/ in klein Format gebunden (L308 Kaspar Stieler), Die gewöhnlichsten Formate sind Folio, Quart, Octav und Duodez (L004 Johann Christoph Adelung), eine Ausgabe im Taschen-Format(Lessing; L264 Daniel Sanders), dann auch allgemeinere Größenbezeichnung eine Laute in kleinem Format (Goethe; L059 DWb); um 1930 übertragen »Tüchtigkeit, hervorragende Leistung« (L056 Duden 111934), vor allem in der festen Wendung eine Frau/ ein Mann von Format; seit ca. 1980 in der ⇓ "S043" EDV ›Aufbau und Anordnung eines Datensatzes in einem Speichermedium (z. B.Diskette)‹ < engl. format, dazu
formatieren"S043"Daten auf einem Datenträger strukturieren, d. h. mit bestimmten Steuerzeichen versehen‹ (L053 Duden FWb 1982) < ⇓ "S059" engl. to format.
Formel 16. Jahrhundert formul< lat. formula, eigentlich Diminutiv zu forma, aber unabhängig in das Deutsche entlehnt; ursprünglich rechtssprachlich, Eidesformel (L308 Kaspar Stieler), allgemeiner auf Sprache bezogen ›vorgeschriebene oder eingeführte Worte‹ (vgl. L004 Johann Christoph Adelung), Gebetsformel, Schlußformel eines Briefes (L004 Johann Christoph Adelung); speziell »nicht vor 1747« (L320 Trübner) in der ⇓ "S130" Mathematik, später auch Chemie und Physik, danach in der Philosophie: der Satz des Widerspruchs ist die erste Formel aller Verneinung (I.Kant; L320 Trübner), verallgemeinert im Sinne von ›Satz‹: die formel wird oft zum toten buchstab (L059 DWb),
etwas auf eine einfache Formel bringen, auch abwertend, daher Formelgeschwätz, Formelwesen, das leere formelwesen (alle L059 DWb);
formell (18. Jahrhundert; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt) < franz. formel ( < lat. formalis); »förmlich« (L033 Joachim Heinrich Campe) ›streng nach Vorschrift‹; nach Form(1) auf den gesellschaftlichen Umgang übertragen eine formelle Verbeugung, abwertend es geht dort sehr formell zu, im Sinne von ›distanziert‹: waren die Beziehungen… immer formeller geworden (S. Zweig; L337 WdG);
formen (mhd. ) ›äußere Gestalt geben‹: Den Teig zu Brot formen (L004 Johann Christoph Adelung), so auch bei A075 Johann Wolfgang von Goethe: Hier sitz' ich, forme Menschen/ Nach meinem Bilde (Prometheus), häufig im Partizip Prät. : wes antlütz… wol geformet (Konrad von Megenberg; L059 DWb), abstrakt eine menge menschen, die sich zu einem gemeinen wesen unter politischen gesetzen formten (I.Kant; L059 DWb); übertragen ›prägen, beeinflussen‹: dies unbefangne herz geformt von der natur (Gotter; L059 DWb);
formieren (mhd. ), ursprünglich gleichbedeutend mit formen, so noch bei L308 Kaspar Stieler Ein Bild aus Wachs formiren, dann ⇓ "S136" militärisch Die Soldaten formiren sich (L004 Johann Christoph Adelung) ›stellen sich der Ordnung nach auf‹, so auch allgemein zur Bezeichnung einer geordneten Menschengruppe: Die Jugend… formierte sich zum Spalier (Lenz; L097 GWb), übertragen ›organisieren‹: Die deutschen Gewerkschaften formierten sich… neu (Fraenkel; L097 GWb);
-förmig (15. Jahrhundert), auch formig; zunächst selbständig: nichts ist ohn ein form, also auch die krankheit… sind formig (Paracelsus; L059 DWb), dann nur noch Wortbildungselement, das in den Zusammensetzungen "einförmig", gabelförmig, gleichförmig, kegelförmig, kugelförmig, "unförmig" »und tausend andern üblich ist« (L004 Johann Christoph Adelung);
förmlich mhd. formelih; ›in ordentliche, gehörige Form gebracht‹: er trieb den rohen Zeug [›Stoff‹] in förmliche Gestalt(Günther), einer förmlichen Wissenschaft (I.Kant), seinen förmlichen Abschied (Goethe), sie wollte keinen feierlichen förmlichen Festzug (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Wahlverwandtschaften 20,156,2); jetzt abgeschwächt es besteht ein förmlicher Krieg zwischen ihnenetwas, was man einen Krieg nennen könnte‹, dabei wird förmlich dem zugehörigen Substantiv im Ton untergeordnet (↑ "ganz"); entsprechend adverbial ›regelrecht‹: man muß ihn förmlich zwingen, du hast ihn förmlich bezaubert, Er erkannte sie förmlich, alle diese Sekündchen (A215 Rainer Maria Rilke, Aufzeichnungen 869); in neuerer Zeit auf Umgangsformen bezogen: jmdn. steif und förmlich empfangen; die Grazien fliehen alles Gezwungene, Steif-förmliche (Wieland; L264 Daniel Sanders);
Formular Anfang des 16. Jahrhunderts< lat. formularium; ursprünglich ›vorgeschriebene Formauß den selben Formularien des brieff dychtens (1532; L081 FWb), auch noch bei L033 Joachim Heinrich Campe auf Sprache bezogen »eine wörtliche Vorschrift, etwas wörtlich Vorgeschriebenes«; ⇓ "S010" mit zunehmender Institutionalisierung seit dem 19. Jahrhundert »Formblatt«, »Vordruck« (L273 Otto Sarrazin 1886) für handschriftliche Einträge: ein Formular ausfüllen (vgl. D.Cherubim/ K.J.Mattheier, Voraussetzungen und Grundlagen der Gegenwartssprache 1989,147);
formulieren um 1850 < franz. formuler; zunächst noch eng an Formel(s. oben) angelehnt »in eine Formel oder eine bestimmte Ausdrucksform fassen, formelmäßig ausdrücken oder abfassen« (L111 Johann Christian August Heyse 131865), dann allgemeiner »in eine bestimmte Ausdrucksform fassen« (L266 Daniel Sanders FWb): Er wollte noch etwas fragen, aber im gleichen Moment bemerkte er, daß er es nicht mehr formulieren konnte(Ch.A117 Christoph Hein, Tangospieler 24).
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