Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
fern
Das Adjektiv ahd. fer, mhd. verre ist aus dem Adverb ahd. ferrofern, weitab‹ (got. faírra Adverb) entstanden aufgrund häufiger prädikativer Verwendung des Adverbs, so daß durch die Berührung mit adjektivischer Funktion die Bildung adjektivischer Formen erfolgte; urverwandt griech. péra ›weiter‹, lat. porro ›vorwärts‹.1 Gegensatz zu "nahe", bei Luther und literarisch auch noch ferne (mhd. verne ist mitteldt. gegenüber oberdt. verre). Fern bezieht sich zunächst auf räumliches Getrenntsein und konkurriert dabei mit einer Funktion von ↑ "weit", wobei aber immer der Unterschied bleibt, daß es nicht wie dieses mit Maßbestimmungen verbunden werden kann: die Frembden / die aus fernen Landen komen (A180 Martin Luther, 5.Mose 29,22); ferner Osten < engl. far east (1616; L229 Suppl. OED), bei Goethe noch nicht speziell auf China und Japan bezogen: Attila… aus dem fernen osten (L059 DWbs. v. Osten), häufig mit nah verbunden ›überall‹: Jubelt Millionen fern und nah! (A131 Friedrich Hölderlin, Hymne an die Göttin der Harmonie), dagegen kontrastieren A075 Johann Wolfgang von Goethe Ich bin ihr nah und wär ich noch so fern(Faust I,3332) und A215 Rainer Maria Rilke Nah ist nur Innres; alles andre fern (Die Insel), feste Wendung mit Heimat: Allzufrüh und fern der Heimat mußten sie ihn hier begraben (Platen; L320 Trübner), so produktives ⇓ "S048" Bestimmungswort seit dem 19. und vor allem dann seit dem 20. Jahrhundert, vgl. Fernbedienung, Ferngespräch, Fernheizung, Fernverkehr, Fernzug, fernmündlich usw. Sodann vom Raum auf die Zeit übertragen, auf Vergangenheit wie auf Zukunft bezogen, ferner auf Verhältnisse, die analog zur räumlichen Anschauung aufgefaßt werden: er steht mir fernich habe keine (innere) Beziehung zu ihm‹; es liegt mir fern, daran zu denken; ich habe nicht von fern daran gedacht; häufig bei Luther das sei ferne; kühnere Verwendung: in fern nachahmenden Zügennicht nahe kommenden‹ (Schiller), soll zwischen uns kein fernster Zwist sich regennicht der geringste Zwist‹ (Goethe). Hieher gehören auch einige Verschmelzungen mit relativen und interrogativen Adverbien: wiefern, jetzt gewöhnlich "inwiefern", ursprünglich wie wieweit, "inwieweit", aber abgeblaßter, so daß es sich mit "wieso" berührt; ähnlich "insofern"; "sofern" und insofern sind zu Konjunktionen geworden (↑ "so"), die sich mitunter einfachem "wenn" nähern; dafern (seit dem 17. Jahrhundert) und wofern scheinen dem sofern nachgebildet zu sein, da sie in ihre Bestandteile aufgelöst keinen Sinn geben. Der Komparativ ist als Adverb im räumlichen Sinn jetzt nicht üblich (bei Luther daß ihr nicht ferner ziehet), dafür "weiter". Häufig ist bei ferner wie bei weiter hinzuzuverstehen ›über den Zeitpunkt hinaus, bis zu dem man schon gekommen ist‹ (ausgedrückt ist dieser in fernerhin), es bedeutet daher ›von nun an, künftig‹: ich werde auch ferner dabei bleiben, ich stehe von ferneren Versuchen ab. Entsprechend verhält es sich mit fernerbei Aufzählungen (›außerdem‹): Ferner sind allhier zu finden / Vier, die allerschönsten Frauen (Goethe; Ch.L042 Christa Dill).
2Frühneuhochdeutsch und noch südwestdeutsch ›im vorigen Jahre‹ (↑ "firn"), auch fernt, fert (verwandt griech. pérysi), daraus abgeleitet ein Adjektiv fernig (heurige und fernige Luther), ferndig (Auerbach, Mörike). Substantiv
Ferne (16. Jahrhundert), fest in dem geflügelten Wort Wozu in die Ferne schweifen, sieh, das Gute liegt so nah (nach ⇓ "S074" Goethe, Erinnerung, 1,67,8; L027 Büchmann), zeitlich gefaßt das Eine… / Das du suchst in aller Zeiten Ferne (A131 Friedrich Hölderlin, An die Unerkannte), bei A010 Gottfried Benn 1927 im Plural: Aus Fernen, aus Reichen (Gedichttitel). Einfaches
fernen bei Luther ›fern sein‹ und ›fern machen‹, auch sich fernen, dann bei Klopstock und unter seinem Einfluß poetisch statt ↑ "entfernen"; fernen auch als Fachausdruck der Malerei ›fern wirkenwelche gar malerisch fernten (Goethe), auch ›den Eindruck der Ferne hervorrufendie Tusche fernt ganz vortrefflich (Goethe).
Fernfahrer (L056 Duden 121941) ›Fahrer der Fernlastzüge‹.
Fernglas mit zwei Rohren 1643 Harsdörffer, für den 1608 in Holland erfundenen verrekijker mit einem Rohr schon 1636 Schwenter Holländisch- oder Ambsterdamisches Fernglas; dafür
Fernrohr zuerst 1676.
Fernlaster (L056 Duden 121941) Kurzform für Fernlastkraftwagen.
Fernsprecher 1875 von ⇓ "S071" H. v.Stephan für Telephon (↑ "Telefon") eingeführt; ⇓ "S155" 1795 von Wolke schon für den optischen Telegraphen vorgeschlagen, für den Jean Paul und Campe
Fernschreiber gebrauchen, der erst im 20. Jahrhundert zum heutigen Fernschreiber wird.
fernsehen analog fernsprechen, nach 1920 (L320 Trübner); substantivisch
Fernsehen, ⇓ "S131""S149" vgl. im Titel W.Friedel, Elektrisches Fernsehen, Fernkinematographie und Bildfernübertragung (1925); die zu erwartende Verwirklichung des Fernsehens (R.Woldt, Die Arbeitswelt der Technik, 1926, 171); erklärt als ›Bildfunk‹ (L298 Sprach-Brockhaus 1935); als Institution: Sie wollte immer schon zum Fernsehen; ⇓ "S195" schweizerisch Television; Zusammensetzungen mit Fernseh-: Fernsehsprechverkehr, Fernsehsender, Fernsehstube (alle L056 Duden 121941), Fernsehspiel, Fernsehdienst, Fernsehzelle (alle L062 DWG1943); verbreitet seit Anfang der 1950er Jahre, umgangssprachlich synonym Heimkino, Pantoffelkino; weiter Fernsehantenne, Fernsehfilm, Fernsehprogramm, Fernsehzuschauer (L337 WdG);
Fernseher im 17. Jahrhundert ›Fernrohr‹, jetzt kurz für
Fernsehgerät (1943 L062 DWG2,391) Ein Fernsehgerät wollen wir, wer will das nicht, schließlich wollen wir doch Fußball sehen (M.v.d.A093 Max von der Grün, Irrlicht 83) ⇓ "S111" , ursprünglich Fernsehempfangsgerät bzw. Fernsehempfänger (Fernsehen und Tonfilm 6/ 1935,15).
Fernsteuerung L056 Duden 111934.
Fernweh junge Gegenbildung (L056 Duden 121941) zu "Heimweh".
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