Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
fein
mhd. fin, im 12. Jahrhundert aus dem Französischen entlehnt;1 Adjektiv ursprünglich ›vollkommen in seiner Art, von bester Qualität‹: feine Ware, feines Goldmöglichst von fremden Bestandteilen frei, gediegen‹; feine Arbeitmöglichst sorgsam und geschickt ausgeführte‹, so von allen Erzeugnissen menschlicher Tätigkeit als Gegensatz zu "grob"; die Sorgfalt einer Arbeit bzw. die Vollkommenheit eines von der Natur hervorgebrachten Gegenstandes zeigen sich besonders in der Ausbildung auch der kleinsten Teile: feine Ornamente, Linien, Gestalt, feines Gesicht usw.; die Feinheit kann geradezu in der möglichst weitgehenden Zerkleinerung bestehen: feines Mehl, feine Graupen, oder in der Herstellung einer Qualität von besonders geringer Masse: feiner Faden, feines Gewebe, feine Nadel; so dann auch von Naturgegenständen, die als Ganzes oder deren Teile eine geringe Masse bilden: feiner Staub, Regen, Nebel. Aus der durch den Gesichtssinn wahrnehmbaren räumlichen Erscheinung wird es auf die anderen Sinneseindrücke übertragen ⇓ "S216" : feiner Ton; metonymisch in bezug auf die Wahrnehmungsfähigkeiten selbst und ihre Organe: feiner Geruch, Geschmack, feines Gehör, feine Zunge, redensartlich feine Nasegutes Gespür‹; vgl. Feinschmecker (s. unten); auf geistigem Gebiet ›das durch höhere Kultur vor anderem Ausgezeichnete‹: feines Benehmen, feiner Mann, feine Natur, feine Ironie usw.; an feiner Faden, Geruch usw. anschließend auch im Sinne von ›sensibel, feinfühlig, genau, detailliert, klein, aber präzise‹; feine Beobachtung, Bemerkung, Unterscheidung, feiner Unterschied, Plan, Kenner; feinsinnig (s. unten). Während in allen diesen vorzugsweise oder ausschließlich der neueren Sprache angehörigen, wenn auch zum Teil weit auseinanderliegenden Verwendungsweisen doch der Grundbegriff eines Vorzugs innerhalb der Art zu erkennen ist, wird mhd. fin noch überwiegend als ein allgemeines lobendes Epitheton von weniger ausgeprägter Bedeutung gebraucht, etwa heutigem "hübsch" entsprechend, weshalb es wahrscheinlich ist, daß auf die moderne Verwendung das Französische (und vielleicht das Italienische) von neuem eingewirkt hat; der mittelhochdeutsche Gebrauch hat sich besonders im Volkslied fortgesetzt, aber auch derjenige der Bibel kommt ihm nahe; wo die Verwendung in neuerer Zeit noch daran erinnert, wird meistens ersteres oder letztere von Einfluß gewesen sein: grosze und feine stedte (L059 DWb); ein fein Kind, einen feinen jungen gesellen (Luther; L059 DWb), so noch A075 Johann Wolfgang von Goethe: Willst, feiner Knabe, du mit mir gehn?(Erlkönig); habe noch gar einen feinen Gesellen und in der festen Wendung feiner Kerl, wie hübsch auch ironisch: Ae du bist ein Feiner gesell »Ein spottwort« (L200 Josua Maaler 1561); es ist nicht fein, das man den kindern ihr brot neme und werf es fur die hunde (Luther; L059 DWb); ihr seid mir feine leute! sagte schach Gebal (Wieland; L059 DWb). Daraus schon frühneuhochdeutsch
2 Adverb, mit Bezug auf ein Adjektiv oder Adverb ›recht, ziemlich‹, ›in begrüßenswerter Weise‹: War ich nicht fein stille? (A180 Martin Luther, Hiob 3,26); ob denn das alles fein wahr sei(Goethe an Schiller; L059 DWb); ja fein oft davon Gebrauch machen(A075 Johann Wolfgang von Goethe, Brief vom 26.10.1800); Wärst du fein still gewesen und einfach hübsch hiergeblieben (O.E.A108 Otto Erich Hartleben, Ausgewählte Werke III,119); insbesondere südostdt./ bair. dös gibt's fei net; dazu ↑ "verfeinern". Was als in seiner Art vollkommen, gediegen, sensibel oder präzise und dann adverbial als begrüßenswerte Eigenschaft oder Handlung betrachtet wurde, mag später in Aufforderungen und Ratschlägen als Hinweis auf die Wohlgemeintheit verstanden worden sein, dabei wurde wohl der ursprüngliche Bezug auf ein Adjektiv oder Adverb zunächst in ein Satzadverb umgedeutet; dieser doppelte Bezug ist z. B. noch erkennbar in: laszt ihm fein starke beineisen anlegen(Lessing; L059 DWb); daher
3"S002" Abtönungspartikel ›Sprecher meint, es sei für den Hörer günstiger, seiner Aufforderung oder seinem Ratschlag zu folgen‹: bestärken sie ihn fein in seinem trotze (Lessing; L059 DWb); lebe wol. sei fein fleiszig (Goethe an Knebel; L059 DWb); Schau dich nur um, Herr Bruder, wo du bist, und sei fein munter, wie es sich schickt (E.T.A.A127 Ernst Theodor Amadeus Hoffmann, Das steinerne Herz 10,44); Kommst du einmal… des Weges… steige fein aus dem Wagen und laß dir Haus und Garten aufschließen (ebenda 10,21);
Feingefühl von ⇓ "S071" L033 Joachim Heinrich Campe vor 1800 als Verdeutschung für "Takt", dann auch für "Delikatesse" (1808); vgl. "Zartgefühl".
feinfühlend Goethe;
feinfühlig"S071" L033 Joachim Heinrich Campe 1808: »der feinfühlig (delicat) fuhlt, empfindet«. ⇓ "S075"
Feinschmecker L211 Meyer, Conversations-Lexikon, 1848, unter Gourmand.
feinsinnig L033 Joachim Heinrich Campe 1808 nach Ewald und J.D.Falk.
Feinsliebchen Anfang des 18. Jahrhunderts (Bergliederbüchlein; L059 DWb), ⇓ "S072" zusammengezogen aus frühnhd. feins lieb, von L033 Joachim Heinrich Campe 1808 als »niedrig« bezeichnet.
FeinheitKleinheit, Genauigkeit‹ (15. Jahrhundert), dann wie Finesse (17. Jahrhundert < franz. finesse) auch ›Kunstgriff, Trick‹.
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