Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
fehlen
mhd. vælen, entlehnt < franz. faillir ( < lat. fallere ›täuschen‹), frühneuhochdeutsch (Luther u. a.) und noch bis Gryphius feilen;1.1 ursprünglich Gegensatz zu "treffen", ›ein Ziel nicht treffen, das man sich gesteckt hat‹, zunächst beim Lanzenstoß, dann beim Schießen, dann allgemein, auch auf das geistige Gebiet übertragen der Bogen Jonathans hat nie gefehlet (Luther), die mit bösen Ränken umgehen, werden fehlen (›ihre Absicht nicht erreichen‹) (Luther), seine Hoffnung wird ihm nicht fehlenwird eintreffen‹ (Luther); unpersönlich: den fremden Kindern hat es wider mich gefehlet (Luther); häufig im Sinne von ›fehlschlagen‹, noch bei Pestalozzi, vgl. auch bei Wieland: was dem Riesen fehlt, kann seinem Zwerg geraten; es fehlt nichtes bleibt nicht aus, es trifft sicher ein‹; allgemein üblich
es kann ihm nicht fehlener wird sein Ziel erreichen‹, in der Zurückweisung Das ist weit gefehlt! (L308 Kaspar Stieler) um einen Irrtum zu bezeichnen; mit Akkusativ Jetzt, Schütze, triff und fehle nicht das Ziel! (A222 Friedrich Schiller, Tell 3,3), so jetzt nur ↑ "verfehlen" mit Objekt, ebenso jetzt nur noch verfehlen zu mit Infinitiv, wofür im 18. Jahrhundert auch einfaches fehlen: diese Überlegung wird selten fehlen, die Geringschätzung des Künstlers nach sich zu ziehen (Lessing). Mit Infinitiv als Subjekt: Personen, denen es gewiß nicht fehlt(›mißglückt‹), malerische Bewegungen und Stellungen nachzuahmen (Goethe).
1.2 moralisch ›sich ein Vergehen zuschulden kommen lassen‹: wo er einmal strauchelt oder feilete, das er darumb solt ein bösewicht gescholten werden (Luther; L059 DWb); das Ziel steht ursprünglich im Genitiv, die deiner Gebote fehlensie nicht halten‹ (Luther), noch bei A222 Friedrich Schiller Eurer wahrlich! hätt' ich nicht gefehlt (Tell 3,3), dafür im 18. Jahrhundert der Akkusativ: wenn ich in dem Ausdruck meine Schuldigkeit gefehlet habe (Lessing); vgl. auch mit Anlehnung an Fehl (s.unten) ›Verfehlung‹: Wenn dieses Herz, es sei auch wo es will, / Dir fehlt und sich, dann strafe, dann verstoße (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Tasso 1485); Nimm mir, Herr, das Leben, wenn ich fehlte! (H.v.A160 Heinrich von Kleist, Käthchen 1,2); dazu ↑ "unfehlbar".
2 Schon im Mittelhochdeutschen außer mit Genitiv auch mit an verbunden: sît ich an Flôren minne gevælet hân (›da es mir mit der Liebe Florens fehlgeschlagen ist‹). Verknüpft man an mit unpersönlicher Konstruktion, so entsteht die jetzt allgemein übliche, scheinbar abweichende Bedeutung ›nicht vorhanden sein‹: es fehlt mir an Geldich habe Mangel an Geld‹, ursprünglich also ›es schlägt mir fehl in bezug auf Geld‹, die persönliche Konstruktion das Geld fehltmangelt‹ wahrscheinlich eine Umbildung aus der unpersönlichen mit dem Genitiv. Wir hätten daher z. B. in es, eins fehlt mir die Fortsetzungen der mittelhochdeutschen Genitive es, eines, die lautlich mit den Nominativen zusammengefallen sind, dann umgedeutet wurden und nach ihrer Analogie die Setzung anderer Nominative veranlassen konnten; beide Konstruktionen schon bei Luther: Deine Knechte haben die summa genomen der Kriegsleute… vnd feilet nicht einer (A180 Martin Luther, 4.Mose 31,49); hierher wohl es konnte nicht fehlen, daßnicht ausbleiben‹, was aber doch auch unmittelbar aus (1) abgeleitet werden könnte, eindeutig aber die Konstruktion es an etwas fehlen lassen, häufig negiert: Schnee in Massen… Der vorige Winter hatte es in dieser Richtung wahrhaftig nicht fehlen lassen (Th.A183 Thomas Mann, Zauberberg 657); reflexiv südwestdeutsch: man meint nicht, daß der Urteilsspruch richtig sei, aber es kann sich nicht fehlen (Hebel), südostdeutsch da fehlt sich nichtsdas ist ganz sicher so‹. Unser was fehlt dir?worüber hast du zu klagen?‹ ist wohl ursprünglich ›was geht dir nicht nach Erwarten und Absicht?‹, wenn es auch jetzt an die abgeleitete Bedeutung ›mangeln‹ angelehnt ist. Es fehlt nicht viel, daß im Sinne von ›beinahe‹ (L308 Kaspar Stieler), ironisch im Ausruf: du fehltest noch! der fehlte noch! das fehlte noch! (Lessing; L059 DWb).
Fehler zunächst ›verfehlender Schuß‹; am frühesten (bei Geiler von Kaisersberg) belegt ist einen Fehler schießen (Akkusativ des Inhalts). Erst in jüngerer Zeit belegt ist der Gegensatz von "Treffer" und FehlerNiete beim Glücksspiel‹; seit dem 18. Jahrhundert häufig (vereinzelt schon früher) allgemein Bezeichnung für etwas, wodurch der Zweck einer Handlung verfehlt wird: Das ist nicht mein Fehler »ist nicht meine Schuld« (L004 Johann Christoph Adelung), dazu Rechenfehler, Schreibfehler, Sprachfehler, "Druckfehler" (L004 Johann Christoph Adelung); überhaupt für etwas Mangelhaftes an Stelle des älteren Fehl (s.unten): Es ist… keiner ohne Fehler (L308 Kaspar Stieler), in einen Fehler fallen (Jean Paul; L059 DWb); doch bleibt in moralischer Hinsicht der Unterschied, daß Fehlein einzelnes Vergehen, Fehler eine bleibende Unvollkommenheit bezeichnet: Einen Fehler am Auge haben (L004 Johann Christoph Adelung); Eitelkeit ist sein Fehler.  
fehlerhaft (1763; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt) ›schadhaft‹ von Sachen, ›mangelhaftfehlerhafte Übersetzung.
Fehl Mask. , seit dem 18. Jahrhundert veraltet, neuhochdeutsch an Stelle eines mittelhochdeutschen Femininum væle, verkürzt væl (in dem häufigen âne/ sunder væl [›fehlerlos‹] war das Geschlecht nicht zu erkennen), aus dem Verb vælen gebildet. Die von Luther und noch später gebrauchte Form Feil ist in den neueren Bibelausgaben durch Fehlersetzt. Ursprünglich ›Verfehlen dessen, was beabsichtigt ist‹, daher ›Gebrechen, Makel‹, sehr oft in der Bibel, auf Körperliches und auf Geistiges bezogen, in moralischem Sinn ›Vergehen‹, so noch gebräuchlich in
ohne Fehl (und Tadel); in diesem Sinn literarisch erhalten: frei von Schuld und Fehle (Schiller); rein von bösen Fehlen (Goethe); aus Schuld und aus Fehle (A215 Rainer Maria Rilke, Empor); Luther bietet ihr Bauch bringet Fehletwas nicht Gelungenes, eine Fehlgeburt‹; entsprechend er wird aber einen Fehl gebären. Aus solchen und verwandten Wendungen entspringt der zunehmende präfigierende adverbiale Gebrauch im Sinne von ›falschfehlgreifen, fehlschießen, "fehlschlagen", fehlgehen (auch transitiv: daß der größte Teil den eigentlichen Gesichtspunkt des Verfassers fehlgegangen sei Schiller), fehlführen (Gellert), fehlgleiten (Jean Paul) u. a. Fehl ist dabei eigentlich Akkusativ des Inhalts. Zur Seite stehen nominale Zusammensetzungen wie Fehlbitte (feilbitte Luther), Fehlgeburt (18. Jahrhundert), Fehlgriff (feilgriff Luther), Fehlguß (Winckelmann), Fehlstunde (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Dichtung und Wahrheit 29,38,22), Fehlsprung, Fehlstreich, Fehlurteil u. a. (s. auch unten). Durch die letzteren ist vielleicht das Zusammenwachsen der ersteren begünstigt. Das Adjektiv
fehlfalsch, irrig‹ seit dem 15. Jahrhundert, entstanden durch die frühere Getrenntschreibung in fehl gehen usw., erhalten in jungem
fehl am Platzunpassend, unangebracht‹ (L298 Sprach-Brockhaus 1935).
fehlbareines Fehls fähig, unvollkommen‹ (um 1600), wohl rückgebildet aus ↑ "unfehlbar".
Fehlanzeige zunächst ⇓ "S202" soldatensprachlich um 1900 ›Schuß, der nicht getroffen hat‹; ⇓ "S027" übertragen umgangssprachlich zur Bezeichnung eines Mangels: Kognak Fehlanzeige, Herr Hauptmann (A296 Carl Zuckmayer, General 554);
Fehlleistung in der ⇓ "S180" Psychoanalyse seit Anfang des 20. Jahrhunderts Bezeichnung alltäglicher Verhaltensmängel wie Verhören, Verlieren etc., auf Sprechen bezogen im Sinne von ›Versprecher‹: die sogenannten Fehlleistungen des Menschen, wie wenn jemand etwas sagen will und dafür ein anderes Wort sagt(1916 S.A063 Sigmund Freud I,50); als Ausdruck unbewußter Wünsche sind Fehlleistungen Ergebnisse der Interferenz von zwei verschiedenen Intentionen (1916 S.A063 Sigmund Freud I, 81), daher Freudsche Fehlleistung als Kommentar zu einem Versprecher, von dem man glaubt, daß er das eigentlich Gemeinte ungewollt ausdrückt; vgl. W.Pöckl in: Festschrift M.Wandruszka, 1981,401ff.;
Fehlschlag »ein verfehlter Schlag« (L004 Johann Christoph Adelung), übertragen ›Mißerfolg‹: kein fehlschlag konnte seine beharrlichkeit besiegen (Schiller; L059 DWb), älter
fehlschlagen (1678; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt): alle seine hofnungen schlugen ihm fehl(L059 DWb);
Fehlschluß (16. Jahrhundert) »der nicht nach den Regeln der Vernunftlehre gemacht ist; ein Trugschluß« (L004 Johann Christoph Adelung);
Fehlstart im ⇓ "S205" Sport ›Übertreten der Startlinie vor dem Startzeichen‹; Luftfahrt ›mißglückter Start (aufgrund technischer oder sonstiger Mängel)‹ (vgl. L097 GWb); allgemein und übertragen für einen gescheiterten oder mißglückten Beginn: Fehlstart ins Leben;
Fehltritt 1566 feiltritt (L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt), Einen Fehltritt thun (L004 Johann Christoph Adelung), übertragen ›Verfehlung, Vergehen‹.
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