Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
etwa
ursprünglich aus mhd. ete(s)warirgendwohin‹, ete(s)wairgendwo‹, aus "wo" und et- (⇑ "etlich", "etwas"); später (wohl schon mittelhochdeutsch, spätestens aber im 17. Jahrhundert; vgl. L284 Justus Georg Schottelius 1663) vermischt mit etwan, mhd. etwanne, ete(s)wenneirgendeinmal, irgendwann, manchmal‹;1frühneuhochdeutsch ›irgendwo‹ (L327 Voc.Teut.-Lat. 1482): got ist nindert [nirgendwo], dann das etwa ist, das ist in ein stat eingeschlossen (Frank; L059 DWb); Etwa her / etwan her / jrgendt waher (L105 Georg Henisch 1616);
2 für (bis ins 19. Jahrhundert daneben vorhandenes) etwan, mhd. eteswenneirgendwann‹: DJs aber ist die abschrifft des brieues / welchen Areus… vns etwa gesand hatte (A180 Martin Luther, 1.Makkabäer 12,19); O möchte die Freundschaft / Hier mein Grab mit Blumen bestreuen, und etwan die Thrane / Einer Geliebten mich hier in einsamen Stunden beweinen! (Zachariä; L004 Johann Christoph Adelung); auch im Sinne von ›dann und wann‹: Er kommt etwa hierher (L004 Johann Christoph Adelung); frühneuhochdeutsch ebenfalls im Sinne von ›ehemals, einst‹, »welche Bedeutung aber veraltet ist« (L033 Joachim Heinrich Campe): ich hab etwan sagen hören von zweien kaufleuten (Steinhöwel; L059 DWb); Jch aber lebete etwa on Gesetze (A180 Martin Luther, Römer 7,9); etwan bei unsern zeiten war bös studieren (Luther; L059 DWb);
3 zunächst ›irgendwie‹: Schonheit des libes man vyl acht / Wert[›währt‹] etwan doch kum vbernacht (1494 A022 Sebastian Brant, Narrenschiff 6,82); spätestens seit dem 18. Jahrhundert ›vielleicht, möglicherweise‹: um etwa einer Ursach willen (L169 Matthias Kramer 1702); Wenn etwa jemand kommen sollte (L004 Johann Christoph Adelung); damit nicht ein andrer / Etwa dieses und jenes, von mir im Stillen begangnen / Unbekannten Verbrechens dereinst bezuchtiget werde (A074 Johann Wolfgang von Goethe, 40,67 LH); Heißest du etwa Rumpelstilzchen?(Brüder A087 Jacob und Wilhelm Grimm, Rumpelstilzchen); Denn, was etwa verborgen ist, interessiert uns nicht (A282 Ludwig Wittgenstein, PU §126); wohl zunächst lokal, später auch im Sinne von ›zum Beispiel‹: Als wenn ein Zimmermann / der zu arbeiten sucht / etwa einen Bawm abhawet (A180 Martin Luther, Weisheit Salomos 13,11); Kann ich inzwischen / Mit einem guten Frühstück, Wurst aus Braunschweig, / Ein Gläschen Danziger etwa – (H.v.A160 Heinrich von Kleist, Zerbrochener Krug 5. Auftritt); Im gegenwärtigen Augenblick etwa erfreue ich mich (Th.A183 Thomas Mann, Zauberberg 848); im 17. Jahrhundert auch ›irgend(einer)‹: Sie hat etwa einen freund (L105 Georg Henisch 1616);
4ungefähr‹, wohl aus etwann, zunächst nur in Verbindung mit Zeitangaben, dann verallgemeinert (vgl. J. L.L078 Johann Leonhard Frisch 1741): Kom vnd setze dich etwa hie oder da her (A180 Martin Luther, Ruth 4,1); es waren ihrer etwa vier oder funf (L169 Matthias Kramer 1702); Es ist etwa eine halbe Stunde her(L004 Johann Christoph Adelung); Die Moral soll etwa diese seyn (Gellert; L004 Johann Christoph Adelung); ein Stück Marmor, etwa faustgroß (Remarque; L097 GWb); Er… taxierte, daß er etwa neun Zentimeter größer war als ich (A083 Günter Grass, Blechtrommel 131); seit der Mitte des 20. Jahrhunderts, vereinzelt auch schon in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts (Immermann) gleichbedeutend in etwa (W.L244 Wolfgang Pfeifer);
5 negiert nicht etwa, zu etwanirgendwann‹,
5.1 »Das nit Etwan / oder / Das nit zu etliche zeyten« (L200 Josua Maaler 1561): Nim du die Knechte deines Herrn vnd jage jm nach / das er nicht etwa fur sich feste stede finde / vnd entrinne aus vnsern augen (A180 Martin Luther, 2.Samuel 20,6); was »nicht irgendwann«, d. h. nie geschehen soll, mag später als etwas betrachtet worden sein, das der Sprecher nicht wünscht, daher aus der Negation der Zeit dann wohl im 17. Jahrhundert der Gebrauch als
5.2"S002" Abtönungspartikel ›Sprecher wünscht nicht, daß der beschriebene Sachverhalt eintritt oder geglaubt wird‹, ›keinesfalls‹: damit er sich nicht etwa ruhme(L169 Matthias Kramer 1702); Auch sind unsre Zoglinge hier nicht etwan eingesperrt (A074 Johann Wolfgang von Goethe, 21,187 LH); Nicht etwa, daß Kommunisten und Sozis gestört hätten. Die gab es damals gar nicht mehr (Grass; L097 GWb); Laßt euch nicht etwa vom Titel täuschen (A208 Ulrich Plenzdorf, Leiden 38); ähnlich oder etwa; was als zur Frage Anlaß gebende Vermutung des Sprechers hingestellt wurde, mag später als Ausdruck eines negativen Wunsches oder einer negativen Erwartung verstanden worden sein, daher wohl im 17. Jahrhundert aus der Bedeutung(3) ›möglicherweise‹ (vgl. "vielleicht" [↑ "viel"]; vgl. L169 Matthias Kramer 1702) der Gebrauch als
6 Abtönungspartikel, in direkten und indirekten Fragesätzen, ›Sprecher zeigt an, daß er den in der Frage beschriebenen Sachverhalt nicht wünscht bzw. nicht erwartet‹: Hastu auch etwa einmal gedacht (L105 Georg Henisch 1616 s. v. Einmal); hast du ihn etwa gesehen? (L169 Matthias Kramer 1702); Habe ich dich etwa beleidiget? (L004 Johann Christoph Adelung); Hat er dich betrogen etwa? (A222 Friedrich Schiller, Wallensteins Lager 11. Auftritt); »Oder wollen Sie etwa leugnen?« fragte Unrat kampffertig (H.A182 Heinrich Mann, Professor Unrat 450); »Messen Sie sich etwa überhaupt nie?« (Th.A183 Thomas Mann, Zauberberg 236).
etwaig (1796 bei L108 Johann Friedrich Heynatz als Wort der Geschäftssprache; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt) bis ins 19. Jahrhundert auch etwan(n)ig (L004 Johann Christoph Adelung), ›möglich‹ (Adjektiv); »was auf irgend eine, die eine oder die andere Art, was vielleicht geschieht« (L033 Joachim Heinrich Campe): der etwanige begrif wäre hier unnütz oder gefährlich (Lessing; L059 DWb); Melde mir seine etwaige Ankunft (L033 Joachim Heinrich Campe); nicht aus Angst vor einer etwaigen Schließung des Kaffeehauses (Kaschnitz; L337 WdG).
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