Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
es
mhd. ez, Neutrum des Pronomens ↑ "er", verlangt besondere Besprechung. Es wird als Subjekt und Objekt wie das Maskulinum und Femininum auf ein Substantiv (oder ein anderes Pronomen) bezogen gebraucht: er besah das Faß; es war schadhaft. Mundartlich gebraucht man vielfach auf ein Mädchen bezogen das Neutrum, wo die Schriftsprache das Femininum anwendet. Dies ist der einzige Fall, in dem das Neutrum starken Ton haben kann. Auch als Prädikat kann es gebraucht werden, auf ein vorangegangenes Prädikat zurückbezogen, z. B. er behauptet, mein Freund zu sein, ist es aber nicht. Hierbei vertritt es einen allgemeinen Begriff und weist nicht auf einen einzelnen konkreten Gegenstand. Es kann auch auf ein Adjektiv bezogen werden, z. B. ist er treu? Antwort: er ist es (nicht); natürlich auch auf ein Partizip: er ist überzeugt, ich bin es nicht. Ferner steht es als Subjekt in bezug auf einen Gegenstand, von dem noch gar nicht die Rede gewesen zu sein braucht, dessen Vorhandensein sich aber aus der Situation ergeben hat, ohne daß seine Natur zunächst genauer bestimmt werden kann. Als Prädikat steht dann dazu eine solche genauere Bestimmung, die als etwas Neues mitgeteilt wird. So sagt z. B. jemand nach der Geburt eines Kindes es ist ein Junge; oder, wenn man ein Geräusch gehört hat, es ist ein Hund, es ist Ute usw.; oder, wenn man jemanden erwartet und von einer undeutlichen Wahrnehmung zu einer deutlicheren übergeht, sie ist es (sie Prädikat); jemand gibt sich zu erkennen mit ich bin's auf die Frage bist du's? Auch dann steht es, wenn der vorher noch nicht genauer bekannte Gegenstand schon durch ein unbestimmtes Pronomen bezeichnet ist: da kommt jemand/ wer, es ist die Mutter. Von hier aus hat die Verwendung des esbei den sogenannten unpersönlichen Verben ihren Ausgang genommen (L012 Otto Behaghel, Syntax 1,316ff.;3,444ff.). In es regnet usw. weist es ursprünglich auch auf die gegebene Situation hin. Weiterhin dient dies es aber lediglich als ein Mittel zur formalen Vervollständigung des Satzes, ohne daß sich an das Pronomen eine bestimmte Vorstellung heftet. Fort bleibt es nur bei solchen Verben, die zur Ergänzung ein Objekt im Akkusativ oder Dativ bedürfen, wenn dieses vorangestellt wird: mich friert, hungert; mir schwindelt, ist wohl. Die große Zahl der Verben, die nur unpersönlich gebraucht werden, oder bei denen der unpersönliche Gebrauch neben dem persönlichen üblich geworden ist, soll hier nicht aufgezählt werden. Gelegentlich können auch andere unpersönlich gebraucht werden: es wallet und siedet und brauset und zischt(Schiller) u. dgl. Im Passiv kann jedes Verb unpersönlich gebraucht werden: es wird getanzt. Desgleichen reflexiv mit einer adverbialen Bestimmung: es tanzt sich leicht, es lebt sich gut. Auch Sätze mit nominalem Prädikat können unpersönlich sein: es ist/ wird Nacht, es ist/ wird hell, kalt. Ferner solche mit adverbialem Prädikat: mir ist/ wird wohl, weh. Den nämlichen Ausgangspunkt hat wohl die Verwendung von es als vorläufiger Hinweis auf das Subjekt: Es war ein armer Bauersmann (Brüder Grimm, Daumesdick), es hat mich eine Mücke gestochen. Im Althochdeutschen hatte man zu diesem Zweck das Pronomen noch nicht nötig, weil das Verb auch im Behauptungssatz vorangestellt werden konnte (ein Rest davon in unserem weiß Gott!). Später ist es ein notwendiges Hilfsmittel geworden, die Voranstellung zu ermöglichen. In poetischer Sprache hat man sich seit der Sturm- und Drangperiode wieder die Fortlassung des es gestattet: sah ein Knab' ein Röslein stehn. Dieses es wird auch angewendet, wenn ein Nebensatz Subjekt ist: es freut mich, daß du wieder da bist. Häufig wird der Fehler gemacht, daß diese Konstruktionsweise mit der unpersönlichen vermengt wird. Das auf einen Subjektsatz hinweisende esbleibt allerdings nicht auf die Fälle beschränkt, in denen das Verb Spitzenstellung hat. Man kann zwar sagen mich freut, daß du wieder da bist, aber daneben mich freut es, daß usw.; entsprechend mich ärgert (es), mir scheint (es), mir gefällt (es), da zeigte (es) sich, daß; dann wird (es) sich zeigen, ob usw. Neben einigen Verben ist es jetzt notwendig geworden, vgl. wie kommt es, daß (mhd. noch wie kumet daz), da geschah es, daß. Damit hängt zusammen, daß auch ein Objektssatz durch esvorweggenommen werden kann, vgl. ich hatte es gedacht, daß er nicht Wort halten würde; ich will es versuchen, ob ich ihn überreden kann.Dem Gebrauch neben Subjekts- und Objektssätzen parallel steht der neben dem Infinitiv mit zu: es freut mich oder mich freut (es) zu hören, ich versuchte (es), ihn zu überreden. Auch als Objekt kann es auf eine nicht ausgesprochene, nur unbestimmt vorschwebende Vorstellung gehen. Diese Verwendungsweise ist auf feste Formeln beschränkt: es auf etwas abgesehen haben, es auf etwas anlegen, es jmdm. antun, es mit jmdm. aufnehmen/ aushalten, es weit bringen, es gut/ schlecht haben, es eilig/ nötig haben, es so und so mit einer Sache halten, es gut/ böse meinen, es genau nehmen, es treiben (wie man's treibt, so geht's). Der Genitiv des Maskulinums und Neutrums lautet ursprünglich es. Schon im Mittelhochdeutschen aber kann diese Form nur neutral gebraucht und nur auf einen Satz oder eine unbestimmte Vorstellung bezogen werden; als Vertretung eines vorangegangenen Substantivs dagegen ist sie durch den Genitiv des Reflexivpronomens sin ersetzt, dafür nhd. seiner. Seit der Mitte des 13. Jahrhunderts fiel der Genitiv es mit dem Nominativ -Akkusativ ezlautlich zusammen. Zunächst wurde es nichtsdestoweniger als Genitiv gebraucht, und in einigen Verbindungen hat es sich bis in die Neuzeit erhalten, aber ohne daß es noch als Genitiv empfunden wird. So stand ursprünglich neben vielen Verbindungen aus einem Substantiv und einem Verb ein Genitiv, der grammatisch eigentlich vom Substantiv, logisch von der ganzen Verbindung abhängig war. Bis ins Neuhochdeutsche hat sich es in folgenden Fällen erhalten: Gewinn haben (sie haben's kein Gewinn Luther, er hat es nimmermehr GewinnG.A.Bürger), er hat es kein Hehl (↑ "Hehl"), ich habe es Macht (Luther, ↑ "Macht"), er hat es Ursache (↑ "Ursache"), ich bin es nicht in Abrede (↑ "Abrede"); auch die andern hatten es ihren Spott(Luther); heute nicht mehr üblich sind er will es nicht Wort haben, ich weiß es ihm Dank. Daß der Genitiv hier vom Sprachgefühl zum Akkusativ umgedeutet ist, ergibt sich daraus, daß außer eszuweilen auch ein das, was, mitunter auch der Akkusativ eines Substantivs steht. Den völligen Übergang zur Verbindung mit dem Akkusativ hat "wahrnehmen" (↑ "wahren") durchgemacht. Ähnlich verhält es sich mit einigen adjektivischen Verbindungen, die ursprünglich den Genitiv regieren: ich bin es satt, müde, überdrüssig, zufrieden; nicht mehr allgemein üblich ich bin es erbötig, geständig, gewärtig, gewiß, überhoben, überzeugt. Vollständige Überführung in die Konstruktion mit Akkusativ hat stattgefunden bei loswerden/ sein, gewahr werden, gewohnt werden/ sein. Genitivisch ist es ursprünglich auch in ich erinnere mich's. Wenn viele Verben aus der Konstruktion mit dem Genitiv in die mit dem Akkusativ übergegangen sind, so ist dies durch Zusammenfall von mhd. es und ez wesentlich begünstigt. In anderen Fällen ist ursprünglich genitivisches es zum Nominativ umgedeutet: es ist zu viel (›dessen ist zu viel‹), zu wenig, genug; es ist Not (eigentlich ›dazu ist Zwang vorhanden‹), Zeit, kein Zweifel; es genügt, verdrießt(ursprünglich unpersönliche Verben, mit Genitiv); es nimmt mich Wunder (↑ "Wunder"). Es können dann in diesen Wendungen meist auch andere unzweifelhafte Nominative eintreten. Abgesehen von diesen Resten, die nicht mehr ihrem Ursprung entsprechend aufgefaßt werden, muß die Stelle des mittelhochdeutschen Genitiv es jetzt durch den Genitiv von dermitvertreten werden: es regnete gerade, ich erinnere mich dessen sehr gut. Auch auf eine Sache bezogen wird gewöhnlich dessenoder desselben verwendet, während seiner auf Personen eingeschränkt ist, vgl. als er das Buch in meinen Händen sah, behauptete er, ich hätte dich dessen/ desselben beraubt gegen ich hätte es dir geraubt. Auch der Dativ ihm wird in der Regel nur auf Personen bezogen, nie auf einen Satz oder Gedanken. In Abhängigkeit von einer Präposition ist auch der Akkusativ es ungebräuchlich; auch die sonstigen Formen des Pronomens sind, namentlich im Singular, nicht sehr üblich, außer in Beziehung auf Personen. Hier helfen teils die Formen von ↑ "derselbe", teils die Verbindungen "dazu", "daran" usw. (↑ "da"[1d]) aus.
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