Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
erst
1 ahd. erist(o), mhd. er(e)ste, Ordnungszahlwort zu (nicht verwandtem) 2"eins", Superlativ zu dem alten Komparativ ahd. eriro, mhd. er, erer, erre (↑ "eher"), zu got. air ›früh‹ (L175 Friedrich Kluge/ L175 Elmar Seebold), frühneuhochdeutsch L327 Voc.Teut.-Lat. (1482), zunächst1.1 Adjektiv ›dasjenige, was in der Zeit allen anderen Gegenständen der gleichen Art vorangeht‹, ›früheste‹: Aber viel die da sind die ersten / werden die letzten / Vnd die letzten / werden die ersten sein (A180 Martin Luther, Matthäus 19,30); Vnd sie gebar jren ersten Son / vnd wickelt jn in Windeln (A180 Martin Luther, Lukas 2,7); Der Erst Monat Jenner (L200 Josua Maaler); mein erster Sohn / meine erste Tochter(L169 Matthias Kramer 1702); Ich kann sie kaum erwarten / Die erste Blum' im Garten, / Die erste Blüt' am Baum (A074 Johann Wolfgang von Goethe, 1,25 LH); der Erste Weltkrieg, Kaiser Karl der Erste; hierher mein erstes war / wird sein (›das nächste, was ich tat bzw. tun werde‹): wenn der blosz kluge mensch sein erstes hätte sein lassen, die lage zu prüfen (Schiller; L059 DWb); häufig in Verbindung mit Mal: Gereth es nicht das erste mal / so gereth es das ander mal / darumb nicht abgelassen (L105 Georg Henisch 1616); ein Ding das erstemal brauchen (L169 Matthias Kramer); dann auch
1.2 für den Gegenstand, mit dem man beim Zählen beginnt, hat in dieser Funktion ältere Ordinalzahlen verdrängt (got. fruma, ahd. furisto, engl. first, ↑ "Fürst"), daher auch auf Rangverhältnisse übertragen im Sinne von ›höchstrangig, wichtigst, von der besten Qualität‹ (in der ersten Reihe, in erster Linie) »Erst / Vorderest oder fürnemst« (L200 Josua Maaler 1561): der erste nach dem Kayser(L169 Matthias Kramer); Sind's [die Richter] nicht die ersten Männer dieses Landes (A222 Friedrich Schiller, Stuart 1,7); Die erste Pflicht des Menschen… erfüllt er die? (A074 Johann Wolfgang von Goethe, 10,222 LH); häufig in Verbindung mit der "letzte": Gönnet mir, o Quiriten! das Glück, und Jedem gewähre / Aller Güter der Welt erstes und letztes der Gott (A074 Johann Wolfgang von Goethe, 1,286 LH); früher auch als prädikatives Attribut anstelle von heutigen "zuerst", als erster: Der erst kompt / der malt erst (L105 Georg Henisch 1616); Der Erste anfangen (L169 Matthias Kramer 1702); hierher der, die, das erste (der, die, das) beste (L105 Georg Henisch 1616) »in der meinung dasz das erst und schnell ohne zaudern herausgegriffene auch das beste sei« (L059 DWb): Ach Lisette, meinen Kummer zu erleichtern, muß ich ihn dem ersten dem besten erzählen (A177 Gotthold Ephraim Lessing, Damon 9. Auftritt); jünger der erste beste (Wieland; L059 DWb); und legte Hut und Degen auf die erste beste steinerne Bank (A074 Johann Wolfgang von Goethe, 24,84 LH); ⇓ "S215" substantivisch das Erste, adverbial in Verbindungen mit Präpositionen: fürs erstezunächst‹ (verkürzt aus für das erste): Vnd das solt jr fur das erste wissen / Das keine Weissagung in der Schrifft geschicht aus eigener auslegung (A180 Martin Luther, 2.Petrus 1,20); ↑ "vorerst"; aufs ersteerstens‹ (bei Aufzählungen): Vnd Gott hat gesetzet in der Gemeine / auffs erst die Apostel / auffs ander die Propheten / auffs dritte die Lerer (A180 Martin Luther, 1.Korinther 12,28); am erstenzuerst, zunächst, früher als irgend etwas (jmd. ) anderes‹ (dafür auch am ehesten): vnd kam am ersten zum grabe (A180 Martin Luther, Johannes 20,4); die Schwachen brechen… am ersten (L169 Matthias Kramer); später im Sinne von ›am besten, am wahrscheinlichsten‹, »auf die leichteste, auf die beste, auf die sicherste Art« (L004 Johann Christoph Adelung) (↑ "eher"): Da ist am ersten durchzukommen (L004 Johann Christoph Adelung); zum erstenam Anfang, anfangs‹: Vnd ob sie zum ersten sich anders gegen jm stellet (A180 Martin Luther, Sirach 4,18); zum ersten sind alle Knechte und Magde fleissig (L169 Matthias Kramer); auch in der Bedeutung ›zuerst, als erste(r/ s), früher als irgend etwas (jmd. ) anderes‹, ›als erster‹: den/ der zum ersten die Historien geschrieben hat (A180 Martin Luther, 2. Makkabäer 2,31); frühneuhochdeutsch auch im ersten, von, vom ersten, mit (dem) ersten, auf das erste (L059 DWb); dazu der Komparativ erstere(r/ s)der (die, das) zunächst genannte von zwei Gegenständen, Personen usw.‹ (17. Jahrhundert; L320 Trübner), zumeist in Verbindung mit dem gleichgebildeten Gegenbegriff der letztere: Haß und Liebe; erstere, oder die erstere ist eine unangenehme, letztere, die letztere aber eine angenehme Leidenschaft (L004 Johann Christoph Adelung); noch im 18. Jahrhundert ohne strenge Scheidung von der erste (vgl. den Gebrauch von letztere): Saul und David waren zwey Könige, der erste regierte schlecht, der andere löblich (L004 Johann Christoph Adelung).
2 ahd. erist, mhd. erest(e), erst(e), Adverb,
2.1 mit Bezug auf das Subjekt ›früher als irgendetwas / irgendjemand anders‹, ›zuerst, als erste(r/ s)‹ (schon mittelhochdeutsch, Parzival; L059 DWb), »vorderst« (1663 L284 Justus Georg Schottelius): ich will erst sehen ob er zu Hause sey (L169 Matthias Kramer 1702); Adramelech kam erst (Klopstock; L059 DWb); in der Kindersprache Erst komme ich!; noch in Zusammensetzungen erstgenannte, erstgeborene (dazu Erstgeburt Luther); Erstkläßler (synonym "Abc-Schütze", i-Männchen; für umgangssprachliche und landschaftliche Varianten vgl. L066 Jürgen Eichhoff, Karte 3–23; ↑ "Abc", "Männchen" ↑ "Mann");
2.2bevor etwas Bestimmtes anderes geschieht, das sich aus dem Zusammenhang ergibt‹, ›zuvor, vorher, zunächst‹: Laß mich erst essen, hernach wollen wir gehen (L004 Johann Christoph Adelung); Erst hat er es nicht geglaubt (L004 Johann Christoph Adelung); oft in Verbindung mit dann: Ich hatte, sprach er, nicht zum Zeitvertreib zu gaffen, / Erst Kinder und dann Brot für sie zu schaffen (A074 Johann Wolfgang von Goethe, 12,153 LH); verstärkt allererst (schon mittelhochdeutsch); in Verbindung mit abtönendem ↑ "mal": ich stelle es [Gemälde] erst mal hier an mein Stuhlbein, da steht es ja für den Augenblick ganz gut (Th.A183 Thomas Mann, Zauberberg 367f.); Sage mir erst mal, was Freiheit ist(ebenda 541); gelegentlich im Sinne von ›anfangs‹: Erst war gar nicht meine Absicht zu kommen (L033 Joachim Heinrich Campe), ↑ "anfangs";
2.3nicht früher als zu einem bestimmten Zeitpunkt‹, ›endlich‹, häufig in Verbindung mit Zeitbestimmungen: Er wird erst auffs Fest wider heim komen (A180 Martin Luther, Sprüche Salomos 7,20); Erst yetz / als ob einer sprach / Fast spat (L200 Josua Maaler 1561); Jetzt merke ich es erst, oder jetzt erst merke ich es, oder erst jetzt merke ich es (L004 Johann Christoph Adelung); früher zuweilen mit Verstärkung allererst (schon mittelhochdeutsch): Diese Spiral=Tendenz, als Grundgesetz des Lebens, muß daher allererst bei der Entwickelung aus dem Samen sich hervorthun (A074 Johann Wolfgang von Goethe, 55,103 LH); daraus
2.4nicht vor längerer Zeit als angegeben‹: Wir habend Erst kurtzlich kundtschafft zesamen gemacht (L200 Josua Maaler 1561); Du warest eben erst hinweg gegangen(L105 Georg Henisch 1616); nur erst vorigen sonnabend bekomme ich einen brief von ihm (Lessing; L059 DWb); auch im Sinne von ›vor kurzer Zeit‹: ich hab ihm erst geschrieben (L169 Matthias Kramer 1702); Es war ein Knabe frech genung, / War erst aus Frankreich kommen (A074 Johann Wolfgang von Goethe, 1,181 LH);
2.5im ersten Moment, in dem das betreffende Ereignis eingetreten ist‹, ›erst einmal‹, in Temporal- und Konditionalsätzen: Es kan keiner zu Rom sterben / er komme dann erst dahin (L105 Georg Henisch 1616); sie rühmen Frankreich, aber du solltest erst Italien erblickt haben (L059 DWb); in Wunschsätzen ›schon‹: Möchte ich doch erst zu Hause seyn! (L004 Johann Christoph Adelung); Ach, was hilft das Klagen, und dochich wollte der Morgen dämmerte erst (A210 Wilhelm Raabe 3,452); häufig in Verbindung mit abtönendem ↑ "nur": Wenn ich nur erst da bin, so findet sich das Übrige (L033 Joachim Heinrich Campe);
2.6nicht früher als zum angegebenen Zeitpunkt, nun erst‹: Hab ich denn heute erst angefangen Gott für jn zu fragen? (A180 Martin Luther, 1. Samuel 22,15); Jetzt erst erkenn' ich was der Weise spricht (A074 Johann Wolfgang von Goethe, 12,32 LH); Als alle am Boden lagen, begann die Sache erst richtig (R.A289 Ror Wolf, Männer 39), hierher erst rechtnoch mehr als vorher‹: Nun ging es erst recht hitzig (L004 Johann Christoph Adelung), wobei der vorangegangene Zustand noch nicht als der richtige angesehen wird; dafür mittelhochdeutsch noch bloßes erste, aber auch noch frühneuhochdeutsch und bis ins 19. Jahrhundert: Wenn ich Jsrael heilen wil / so findet sich erst die sünde Ephraim / vnd die bosheit Samarie / wie sie Abgötterey treiben (A180 Martin Luther, Hosea 7,1); Wer sich seiner [Amos] schämt, der muß erst leiden (A074 Johann Wolfgang von Goethe, 1,290 LH); meist verstärkt allererst, so noch bei A180 Martin Luther: Da wird sich allererst die Not anheben (Matthäus 24,8); d. h. ›die Not, die schon früher vorhanden war, ist im Vergleich zu der, die jetzt kommt, gar nicht Not zu nennen‹; davon verschieden jetzt (tue ich es) erst recht (nicht)mit starkem Ton auf rechtden Umständen/ einer Person zum Trotz‹;
2.7erstens‹: erst ist sie seiner Frauen Mutter.Nur dann? (Lessing); Hat Allah zu gemeinem Heil / der Gnaden vier verliehen. Den Turban erst, der besser schmückt / Als alle Kaiserkronen (A074 Johann Wolfgang von Goethe, 5,10 LH);
2.8 in der Verbindung nicht erstbereits früher‹, ›nicht so spät, wie man annehmen oder befürchten könnte‹: Denn wenn Gott einmal etwas beschleusset / So bedenkt ers nicht erst hernach(A180 Martin Luther, Hiob 33,14); vom Temporalen auf das Quantitative übertragen.
3"S080" Gradpartikel, Ausdruck des Enttäuschtseins einer höheren Erwartung ›nicht weiter, nicht mehr als, nur‹: Er ist erst in Leipzig (L004 Johann Christoph Adelung); Sie ist erst sechzehen Jahr alt (L004 Johann Christoph Adelung); Ich habe erst zwei Briefe von ihr bekommen (L033 Joachim Heinrich Campe); was zuerst und an erstrangiger Stelle zu erwähnen ist, mag später im Sinne einer Hervorhebung verstanden worden sein, daher der Gebrauch als
4"S002" Abtönungspartikel, in Aussagesätzen und Ausrufen, ›Sprecher zeigt an, daß er den genannten Gegenstand oder Sachverhalt über eine schon recht hohe Grunderwartung hinaus für bemerkenswert hält‹: Du solltest ihn erst singen hören, da würde er dir erst recht gefallen (L004 Johann Christoph Adelung); Und erst die Schlafzimmer! Zwei mörderische Bettgestelle, überladen mit zementgrauem Bettzeug(M.Walser; L337 WdG).
erstens Adverb (L169 Matthias Kramer 1702), ursprünglich Genitiv, bei Aufzählungen üblich wie die entsprechenden Bildungen zweitens, "drittens" usw., für früheres am, zu ersten: Erstens müssen wir seinen Stand erwähnen, zweytens seine Verdienste (L004 Johann Christoph Adelung);
erstlich Adverb, bis ins 19. Jahrhundert ›zuerst, zunächst‹, »anfengklich / vom ersten / zum ersten« (L105 Georg Henisch): Dis Volck ist aus Chaldea her komen / vnd hat erstlich in Mesopotamien gewonet (A180 Martin Luther, Judith 5,6); Erstlich angreiffen, anfangen (L105 Georg Henisch); was jammer erstlich war, wird endlich herlichkeit (Logau; L059 DWb); Erstlich noch ein Glaschen Wein (A074 Johann Wolfgang von Goethe, 11,208 LH); heute nur noch im Sinne von ›erstens‹: Meine Grunde sind folgende: erstlich ist es schon spat, zweitens ist der Weg zu schlecht (L033 Joachim Heinrich Campe).
Erstlingdas zuerst Hervorgebrachte, Entstandene, Geborene‹ (L308 Kaspar Stieler 1691), Substantiv zu erste(r/ s) (vgl. "Neuling", "Spätling"), frühneuhochdeutsch
1erstgeborenes Kind‹, aber auch vom Vieh: die erstlinge vnser Söne vnd vnsers Viehs (A180 Martin Luther, Nehemia 10,36); übertragen auf die Erntefrüchte (dann zumeist Neutrum): Vnd das Erstling deines korns / deines mosts / vnd deines öles (A180 Martin Luther, 5.Mose 18,4); dann allgemein
2der erste (seiner Art)‹: Nv aber ist Christus aufferstanden von den Todten / vnd der Erstling worden vnter denen, die da schlaffen (A180 Martin Luther, 1.Korinther 15,20); Sie seien die Erstlinge meiner Tyrannei (A222 Friedrich Schiller, Fiesko 5,16); heute zumeist nur noch
3erstes literarisches Werk eines Schriftstellers, Künstlers‹: Den Erstling seiner Kunst gehorsamst dar zu bringen (Günther; L305 Christoph Ernst Steinbach); Die Erstlinge meiner Poesie, meine ersten Gedichte (L004 Johann Christoph Adelung); dazu Erstlingswerk.
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