Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
erinnern
(2. Hälfte des 14. Jahrhunderts; L060 2DWb), voraus gehen ahd. giinnaren, mhd. geinnern, vgl., zum Komparativ ahd. innaroinner‹, ›tiefer‹, mhd. innerinwendig, im Innern liegend‹. Älteste Konstruktion jmdn. eines Dinges erinnern: der selbige wirds euch alles leren / vnd euch erinnern alles des / das ich euch gesagt habe (A180 Martin Luther, Johannes 14,26), erinn're mich nicht jener schönen Tage (Goethe). Daneben statt des Genitivs ein Satz mit daß. Anstelle des Genitivs in der neueren Sprache anmit Akkusativ. Dafür erscheint zuweilen (heute nur landschaftlich, besonders österreichisch) auch auf: meine Frau erinnert mich auf einen Umstand (Kotzebue), eben recht erinnern Sie mich auf einen Umstand (Grillparzer). Der Genitiv eines Pronomens oder Adjektivs konnte wegen des lautlichen Zusammenfalls als Akkusativ aufgefaßt werden, vgl. solches erinnere sie (Luther) (vgl. L041 Philipp Dietz). Es ist dann auch ein unzweifelhafter Akkusativ eingetreten, aber nur, wenn kein Akkusativ der Person daneben steht: er erinnerte eine Bitte (Goethe); allgemein ich habe dabei das zu erinnern, wobei auch eine Verschiebung der Bedeutung eingetreten ist, indem etwas erinnern nicht mehr ›etwas ins Gedächtnis zurückrufen‹ ist, sondern überhaupt ›auf etwas aufmerksam machen‹. Intransitiv fungiert sich erinnern gleichfalls ursprünglich mit dem Genitiv, der sich neben dem Reflexiv lange behauptet und noch im 20. Jahrhundert üblich ist (vgl. L320 Trübner), daneben mit an, zuweilen mit auf (wohl analog sich besinnen auf: wenn Sie sich nicht mehr auf ihr Gesicht erinnern sollten (J.M.R.Lenz), nachher erinnere ich mich wieder auf nichts (Eichendorff), erinnere dich auf deine Pflicht(F.Raimund), vergebens suchte er sich auf das Aussehen der anderen Frau zu erinnern (Freytag) (öfters bei ihm). Statt des Genitivs erscheint zuweilen der Akkusativ, zunächst durch den Zusammenfall der Formen veranlaßt: ich erinnere mich's nicht (Goethe), wenigstens erinn're ich mich nichts von allem (Iffland), so lang' ich hier sitze, erinner' ich mich keinen (Goethe). Eine weitere Verschiebung vollzieht sich, indem an die Stelle des Akkusativs der Person der Dativ tritt: wenn ich mir dies alles erinnere (Zimmermann), wenn ich mir ihr Wesen erinnerte(Goethe); so auch jetzt vielfach in der Umgangssprache. Ohne reflexiven Dativ wird etwas erinnern wie sich an etwas erinnernlandschaftlich, besonders norddeutsch gebraucht (L171 Paul Kretschmer 8, 598): Ich erinnere das wie heute! (Th.A183 Thomas Mann, Buddenbrooks 212); Ich erinnere weiße Häuser(Ch.A286 Christa Wolf, Störfall 33); sie erinnerten sich »an« etwas. Sie erinnerten es nicht und entsannen sich nicht (B.A254 Botho Strauß, Paare 50f.).erinnerlich (um 1600) ›im Gedächtnis vorhandendas ist mir nicht erinnerlich; früher auch mit persönlichem Subjekt, z. B. bei Lessing wie er sich der Sache itzt erinnerlich ist.
Erinnerung (15. Jahrhundert)
1 bis ins 18. Jahrhundert meist ›Mahnung, BitteVnd thet wol vnd fein dran / das er von der Aufferstehung eine erinnerung thet (A180 Martin Luther, 2.Makkabäer 12,43), das verdient eine nachdrückliche, scharfe erinnerung (L059 DWb); ErinnerungsbriefMahnbrief‹ (frühnhd.);
2Gedenken, Andenken‹, ›im Gedächtnis bewahrter Eindruck‹, auch ›Erinnerungsvermögen, Gedächtnis‹ und ›Gesamtheit des Erinnerten‹ (oft pluralisch): O göttliches Vermögen mir, Erinnerung! / Du bringst das hehre frische Bild [Pandoras] ganz wieder her (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Pandora 597); Die Menschen gehn viel zu nachlässig mit ihren Erinnerungen um (A202 Novalis, Fragmente 541; 648); Sein Schritt war schüchtern wie der eines Kindes, aber ungewöhnlich leicht, voll von Erinnerung an früheres Gehen(A215 Rainer Maria Rilke, Aufzeichnungen 722); Die Erinnerung hatte ihn gepackt, und er erzählte uns stundenlang Einzelheiten (A170 Wolfgang Langhoff, Moorsoldaten 105); Ich sagte, daß mir in der Erinnerung das, was ich einmal erlebt hätte, nicht verklärt würde, sondern erst richtig zustieße (A102 Peter Handke, Brief 141); jmdn. / etwas in Erinnerung behalten, bringen, haben, rufen. Bis ins 19. Jahrhundert oft mit Genitiv: weil die erinnerung der zauberischen gärten… ihn unvermerkt beschleicht(Wieland; L059 DWb); jetzt gewöhnlich mit Präposition an: ich habe davon keine erinnerung mehr, die erinnerung an durchlebte tage (L059 DWb), im Höflichkeitsstil seit Ende des 18. Jahrhunderts formelhaft zur (freundlichen) Erinnerung an.
Erinnerungslücke Wo sich große Erinnerungslücken ergeben, wird man auf wenig Erinnerungstäuschungen stoßen (1901/ 05 S.A063 Sigmund Freud VI,96);
Erinnerungsvermögen (1755 I.Kant; L060 2DWb).
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