Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
Erde
ahd. erda, mhd. erde, gemeingermanisch (got. aírþa, engl. earth), verwandt griech. éra ›Erde‹. Es ist von Haus aus starkes Femininum, es finden sich aber frühzeitig auch schwache Formen; der schwache Dativ steht öfters bei neueren Dichtern, allgemein ist auf Erden; der schwache Genitiv in Zusammensetzungen wie Erdenbürger (analog zu "Weltbürger", 1746; L060 2DWb), Erdensohn, Erdenkloß (Gott der Herr machet den Menschen aus dem Erdenklos A180 Martin Luther, 1.Mose 2,7), welche jünger sind als die echten Zusammensetzungen mit der Form Erd- (poetisch zuweilen unverkürzt Erde-).1 Von alters her erscheint Erde entweder als Stoffbezeichnung und als eines der vier Elemente (gute, nasse, trockene Erde; aus Erde gemacht, wieder zu Erde werden) oder als Bezeichnung des Erdbodens, wobei zunächst an eine bestimmte Ausdehnung desselben nicht gedacht wird, vgl. auf der Erde liegen, auf die Erde fallen, zur Erde sehen, unter der Erde, zu ebener Erde, Erdgeschoß.
2.1 Es wurde aber auch der gesamte Erdboden oder Erdkreis (Scheibe oder Kugel, geozentrisch), soweit dieser sich nach der mittelalterlichen Vorstellung erstreckte, als Erde bezeichnet, häufig in Gegensatz zu "Himmel" gestellt, vgl. die Übersetzung von 1.Mose 1,1: (in principio fecit Deus) celum et terram: himil endi aerda (ahd. Isidor); Himel und Erden (Luther).
2.2 Erst die moderne (heliozentrische) Auffassung brachte es mit sich, daß unter Erdeunser Himmelskörper verstanden wurde: die erde drehed sich umb, vnd laufft mit den andern planeten als wie in einem rade umb die sonne (1612 J.Böhme; L060 2DWb). Ein weiterer Schritt war es dann, daß Erde, nun auch mit einem Plural, im Sinne von ›Planet‹ gebraucht wurde, so besonders bei Klopstock und seinen Nachahmern; ähnlich "Sonne" für "Fixstern".
3 Jung ist auch die an Erde als Stoffbezeichnung sich anschließende chemische Bedeutung ›Erdart‹, mit Plural Erden: Hier wird freilich nur von Erden und Mineralien gehandelt (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Wahlverwandtschaften 20,47,11); dazu Tonerde usw.
Erdapfel ahd. erdaphul, mhd. ertapfel, für diverse Früchte wie ⇑ "Kürbis", "Gurke", "Melone". Wohl Lehnübersetzung von lat. malum terrae (für cyclamen ›Alpenveilchen‹; L060 2DWb). Erst im 17. Jahrhundert auf die ↑ "Kartoffel" übertragen (heute besonders noch im Süddeutschen, allgemein aber veraltet; alemannisch und ostmitteldeutsch dafür Erdbirne, ↑ "Birne"), vgl. L171 Paul Kretschmer 256, L048 DWAI und L066 Jürgen Eichhoff, Karte 4–45; mit Entsprechungen in anderen Sprachen, vgl. franz. pomme de terre, niederländ. aardappel.
Erdbeben A180 Martin Luther schreibt 1545 Vnd sihe / es geschach ein gros Erdbeben (Matthäus 28,2), 1522 hatte er noch geschrieben grosse erdbebung, an anderen Stellen (Lukas 21,11, Offenbarung 8,5) läßt er die auf ahd. erdbibunga, mhd. ertbibunge (L190 Lexer) zurückgehende Form Erdbebung stehen. Frühneuhochdeutsch auch noch Erdbidem, mhd. ertbidem, vgl. frühnhd. bidmen ›beben‹ vereinzelt noch bei Goethe.
Erdbeere ahd. erdberi auch ›Heidelbeere‹, mhd. ertber (wohl nach der Erde, auf der sie zuweilen liegt; vgl. engl. strawberry wörtlich ›Strohbeere‹).
Erdgas zunächst zusammen mit der Erdölförderung gewonnenes Gas (1888; L060 2DWb).
Erdgeist (1611; L060 2DWb) häufig pluralisch, vorgestellt als Zwerge, Kobolde; älter Erdmännlein (1473 Steinhöwel; L060 2DWb); zum Symbol des Irdischen (Tellurischen) umgedeutet ⇓ "S032" in Goethes ›Faust‹ (1775).
ErdgeschichteEntwicklungsgeschichte der Erde‹ (1778; L060 2DWb).
Erdgeschoß"S071" L033 Joachim Heinrich Campe für ↑ "Parterre" (landschaftlich auch 1. Stock und Untergeschoß; vgl. L066 Jürgen Eichhoff, Karte 4–1; ⇑ "unter-", "Stock").
Erdkugel (1548; L060 2DWb) und Erdball (1648; ebenda) reflektieren das neue physikalische Weltbild.
Erdkunde 1774 bei L003 Johann Christoph Adelung schon als geläufiges Wort, der aber für "Geographie" wie noch L031 Joachim Heinrich Campe Erg.1801 Erdbeschreibung (L200 Josua Maaler 1561) vorzieht; älter die Form Erdenkunde (L308 Kaspar Stieler 1691).
Erdnuß seit dem 18. Jahrhundert für lat. Arachis hypogaea (die auch Aschantinuß, Kaffernnuß, Negernuß hieß), während früher auch eine Platterbse (lat. Lathyrus tuberosus) und andere Pflanzen mit knollenartigen Wurzeln so genannt wurden; schon ahd. erdnuz.
Erdöl"S125" Lehnübertragung von mittellat. petroleum (auch oleum terrae) bei J. L.L078 Johann Leonhard Frisch 1741; daneben früher auch die Lehnübersetzung Bergöl und die heute noch mundartlich gebrauchte Lehnübersetzung Steinöl.
Erdreich jetzt fast nur als Stoffbezeichnung gebraucht, früher ›Erdboden, Erdoberfläche‹; ahd. erdrihhi, als Gegensatz zu "Himmelreich" gebildet.
Erdrutsch »fall oder sturz einer sich ablösenden und fortschiebenden erdmasse« (L059 DWb1860), übertragen im politischen Sprachgebrauch ›massenhafte Verschiebung bei den Wählerstimmen‹ (1954 Zeitungsbeleg; L337 WdG).
Erdschicht geologisch ›Formation‹ (1750; L060 2DWb).
Erdteil geographisch ›Kontinent‹ löst im 18. Jahrhundert älteres Weltteil ab.
erdig (mhd. ), zunächst ›Erde enthaltend‹, ›erdartig‹, erst im 20. Jahrhundert vom Weingeschmack. ⇓ "S216" Das Verb
erden"S220" technisch ›elektrische Geräte mit der Erde verbinden‹ seit ca. 1900.
beerdigenbestatten‹ (17. Jahrhundert). ↑ "irden".
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