Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
ent-
Präfix in festen verbalen Zusammensetzungen.1 In den meisten Fällen ist es durch Abschwächung in unbetonter Silbe entstanden aus ahd. int-, aus noch älterem ant-, das starkbetont (in nominaler Zusammensetzung) erhalten ist, jetzt noch vorliegend in "Antlitz", "Antwort". Dieses ant- entspricht griech. antí, lat. ante, und die ursprüngliche Bedeutung ist ›gegen‹ (in räumlichem Sinn). Diese liegt den nominalen Zusammensetzungen zugrunde. Noch nahe steht ihr die Verwendung in "entbieten", "entsprechen", "enthalten"(1) sowie in ⇓ "S016" "empfangen", "empfehlen", "empfinden", in denen empf- durch Assimilation aus entpf- entstanden ist. In einer Gruppe von transitiven Verben bezeichnet ent- ein Rückgängigmachen dessen, was das einfache Verb besagt, eine entgegengesetzte Tätigkeit. Diese Funktion von ent-läßt sich wohl aus der ursprünglichen Bedeutung ›gegen‹ begreifen. Sie reicht schon in das Gotische zurück, vgl. z. B. andbindan. Hierher gehören: "entdecken", entladen, "entbinden", "entschließen", "entspannen", "entfalten", entrollen, "entwickeln", entwirren, "entrüsten", "enttäuschen", "entwöhnen" (zu "gewöhnen", mhd. auch einfach wenen). Manche der so mit ent- zusammengesetzten Verben sind Ableitungen aus Substantiven: entadeln, entehren, entfärben, entfesseln, entkleiden, entkorken, entsiegeln, entwaffnen, entweihen, entzaubern, "entschädigen". Nach diesen werden dann Zusammensetzungen mit ent-direkt aus Substantiven abgeleitet, ohne daß die einfachen Verben in entsprechender Bedeutung vorhanden sind, und diese drücken dann ein Wegnehmen des durch das Substantiv bezeichneten Gegenstandes aus: enterben, enthaaren, enthaupten (mhd. houbeten in gleichem Sinne, vgl. "köpfen"), entkräften, entlarven, entlasten, entlauben, "entnerven", enträtseln, entschleiern, entwässern, "entwerten", entwölken, entwurzeln, entziffern, entblättern, entvölkern, wonach noch manche andere hie und da, namentlich in dichterischer Sprache gewagt werden, vgl. "entgeistern", entgöttern, entästen. Als Intransitiva stehen "entarten" und entgleisen vereinzelt. Einige Zusammensetzungen lassen sich an ein Adjektiv direkt anlehnen: entheiligen, "entschuldigen" (↑ "beschuldigen"), entwürdigen, "entmutigen" (vgl. "ermutigen"); danach gebildet sind "entmündigen", "entblöden" und andere nur dichterische Wörter wie entheitern (Klopstock), entähnlichen (Klopstock), entschüchtern (Goethe), entbittern (Rückert). Den an Adjektive angelehnten Wörtern sind einige aus Substantiven abgeleitete zuzugesellen, die ein Wegnehmen der durch das Substantiv ausgedrückten Eigenschaften bezeichnen: entjungfern, entmannen, entmenschen, "entpuppen". Ein weiterer Schritt war dann, daß ent-die Bedeutung ›von etwas weg‹ annahm. Diese Bedeutung ist am deutlichsten in einer großen Anzahl von Verben, neben denen der Gegenstand, von dem die Entfernung stattfindet, im Dativ stehen kann, teilweise aber auch durch eine trennende Präposition (von, aus) angeknüpft werden kann. Intransitiv : "entgehen", entkommen, entsteigen, entschleichen, entwischen, entfliehen, "entrinnen", entweichen, "entfallen", entgleiten, entfließen, entwachsen, entstammen; in dichterischer Sprache: enteilen, entwallen, entstürzen, entflattern, entschweben, entwachen (einem Traume) u. a. Seit Klopstock haben sich diese Zusammensetzungen in dichterischer Sprache sehr vermehrt, wogegen sich schon Schönaich im Neologischen Wörterbuch wendet. Transitiv: "entfernen", "entfremden", entführen, "entreißen", "entziehen", entlocken, entpressen, entringen, entrücken, entwinden, entnehmen, entleihen, "entlehnen". Ein Akkusativ, der erst durch die Zusammensetzung möglich geworden ist und vom einfachen Verb nicht abhängen kann, steht in dichterischer Sprache neben entschmeicheln (jmdm. ein Geheimnis u.dgl.), entwinken (Klopstock, G.A.Bürger), entküssen. Kein Dativ steht, weil die Entfernung vom Subjekt verstanden wird, neben "entlassen", entsenden. Ein Dativ ist auch nicht möglich neben den übertragen verwendeten "entsetzen", "entstellen", "entheben", "entzücken", sich "enthalten", "entschlagen" sowie neben "entsühnen", "entblößen". Die Vorstellung der Entfernung von etwas hat sich in die des Hervortretens in die Erscheinung gewandelt in "entspringen" (ein Quell, ein Übel entspringt), entsprießen, "entstehen"(2), "entwerfen".
2 In einigen Fällen geht ent-zurück auf ahd. in-, das mit unserer Präposition 1"in" identisch ist und in der Verbalzusammensetzung das Geraten in einen Zustand ausdrückt. (Dagegen L376 Otto Behaghel, Von deutscher Sprache 189ff.: Diese Verben bezeichnen die auf einen Zustand hin eingeschlagene Richtung; also wieder ursprüngliche Bedeutung ›entgegen‹.) Die Vermischung beider Präfixe wird zunächst dadurch veranlaßt sein, daß das tvon int- vielfach an den folgenden Konsonanten assimiliert war. An die schon im Althochdeutschen vorhandenen Verben haben sich dann jüngere mit gleicher Funktion des ent- angeschlossen. Hierher zu stellen sind "entbrennen", entzünden, "entschlafen", entglimmen (dichterisch), entglühen (dichterisch), entlodern (dichterisch), "entfachen", "entflammen", entschlummern, entschwellen (dichterisch), entblühen (Hölty). Aus en-in‹ hervorgegangen ist ent- auch in "entgegen", "entzwei", vgl. auch "empor", "empören".
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