Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
eigen
ahd. eigan(engl. own) ist altgermanisches Partizip zu einem verlorengegangenen gemeingermanischen Verb eigan ›besitzen‹. Absolut gesetzt ist es also ›besessen‹, ›in jmds. Besitz befindlich‹. So gebraucht findet es sich in der älteren Sprache von Personen, wo wir jetzt die Zusammensetzung "leibeigen" anwenden, also im Gegensatz zu "frei": zu eigenen Knechten (Luther), eigene Leute, kein eigner Mann (Schiller). Gewöhnlich ist eigenrelativ, es bezeichnet also, daß sich etwas im Besitz einer bestimmten Person (übertragen auch einer Sache), und nicht einer anderen befindet: den hohen Göttern ist er eigen (Schiller). Daß eine solche Beziehung vorliegt, braucht nicht eigens ausgedrückt zu sein; dann geht sie in der Regel auf das Subjekt: ich habe dort einen eigenen Diener(A147 Franz Kafka, Proceß 34), sie kamen aber nicht in der offnen Schlacht durch eigne Hand um (A131 Friedrich Hölderlin, Hero), doch auch auf einen anderen Satzteil: wohl aber ist es den Advokaten… verboten, irgendetwas in dem Zimmer auf eigene Kosten ändern zu lassen (A147 Franz Kafka, Proceß 153). Eigen kann auch ausdrücken, daß ein Gegenstand nicht in bezug auf einen andern, nur um seinetwillen da ist: Dem Assistenten war für seine Privatordinationen ein eigenes Zimmer eingeräumt (Th.A183 Thomas Mann, Zauberberg 188). Es liegt in der Natur der Sache, daß eigen im allgemeinen nicht als Prädikat vorkommen kann; poetische Kühnheit ist ich werde dir immer eigner(Goethe). Einen bestimmten Ausdruck findet die Beziehung durch einen neben eigentretenden Genitiv oder ein Possessivpronomen: Manchmal erschrickt meine eigene Hand (A215 Rainer Maria Rilke, ohne Titel; II,363), sein eigner Sohn (wofür mhd. sin selbes sun, welche Konstruktion noch nachwirkt in der bis ins 19. Jahrhundert vorkommenden Zusammensetzung selbsteigen: mit des Herrn selbsteigner Hand[Lessing], in meiner Königin selbsteigne Hand [Schiller], ohne selbsteigenes Bemühen [Goethe]). Daneben auch durch einen von eigenabhängigen Dativ: auch hat er sich… zu der allen Aristokraten eigenen Ansicht bekannt (A.A227 Arno Schmidt, Wundertüte 143). Mit Dativ kann eigenauch als Prädikat gebraucht werden: die Schönheit ist den Kindern eigen, ist Gottes Ebenbild vieleicht (A131 Friedrich Hölderlin, Auf den Tod eines Kindes). Dasjenige, was jemand hat, pflegt von dem, was andere in derselben Gattung haben, verschieden zu sein. Indem der Gedanke an die Verschiedenheit in den Vordergrund tritt, erhält eigen die Bedeutung ›eigentümlich‹, ›von besonderer Art‹: er hat seine eigene Weise, seinen eigenen Stil (verstärkt ureigen); selten adverbial: wie wohl, wie eigen steht dir beides an (Goethe). In dieser Bedeutung kann es wieder absolut stehen und nähert sich dann häufig dem Sinn von ›seltsam‹, auch ›mißlich‹: eine eigene Sache, ein eigener Fall; es ist eigen, daß er nichts gesagt hat; von Personen bedeutet es auch ›schwierig, schwer zu befriedigen‹: Leute, die ein Badethermometer benutzen, sind sehr ›eigne‹ Leute, dieses Wort reicht von ›sorgfältig‹ bis ›egoistisch‹ (A266 Kurt Tucholsky, Gesammelte Werke 2,541). Das Neutrum war früher häufig in substantivischem Gebrauch ›Eigentum‹. Dieser ist im allgemeinen veraltet und nur in bestimmten Verbindungen erhalten, in denen die substantivische Natur, wie schon die Orthographie zeigt, nicht mehr empfunden wird: zu eigen haben/ geben, sich zu eigen machen, wofür auch rein adjektivische Konstruktion vorkommt: und konnte mir das Glück eigen machen (Goethe). Ferner gehören hierher eigentlich die Verbindungen mit dem Possessivpronomen, als Prädikat gebraucht: ach wenn du wärst mein eigen, er sei dein eigen; sie sind aber vom Sprachgefühl in Parallele zu den attributiven Verknüpfungen (mein eigner Wunsch) gesetzt, die von Haus aus ganz anderer Natur sind.Eigen- Mehrere syntaktische Verbindungen des Adjektivs eigenmit einem folgenden Substantiv sind allmählich zu Zusammensetzungen verschmolzen. Aus ihnen sind Adjektive auf -ig abgeleitet. Diese Ableitung hat z. T. schon stattgefunden, bevor die Verschmelzung der syntaktischen Verbindung vorhanden war (sogenannte »Zusammenbildungen«, W.Henzen, Deutsche Wortbildung 1947, 241ff.). So ist z. B. "eigensinnig" älter als "Eigensinn", Eigenmacht ungewöhnlich neben eigenmächtig, neben eigenhändig existiert gar kein substantivisches Kompositum. Eigennutz ist ursprünglich ›eigener Vorteil‹ (↑ "Nutz"); zu der jetzigen subjektiven Bedeutung ist es wohl von bestimmten Verbindungen aus gelangt, die an sich zweideutig sind, z. B. durch Eigennutz (›um eigenen Nutzen willen‹ – ›infolge eigennütziger Absicht‹), namentlich aber durch den Einfluß des Adjektivs eigennützig, welches von vornherein ›auf eigenen Nutzen gerichtet‹ bedeuten konnte. In Eigenlob, Eigenliebe, Eigensucht u. a. ist Eigen- synonym mit Selbst- (↑ "selbst"); Eigenname ↑ "Name".
EigenbrötlerSonderling, der seine eigenen Wege geht‹ (1909 Morgenstern; L060 2DWb), ursprünglich ⇓ "S214" südwestdeutsch ›Unverheirateter mit eigenem Haushalt (Brot)‹ (1651; L060 2DWb); vgl. mhd. einbrœteceigenes Brot, eigenen Herd habend‹.
Eigenheim (1916; L060 2DWb), von der Siedlungsbewegung in den 20er Jahren verbreitet.
Eigenheit seit den 70er Jahren des 18. Jahrhunderts üblich (L360 ZDW6,107), jedoch vorher schon in zahlreichen eigen entsprechenden Bedeutungsnuancen; zuerst in mittelhochdeutschen ⇓ "S142" mystischen Texten. Eigenheit drückt das Besondere eines Wesens aus im Gegensatz zu anderen, während
Eigenschaft (mhd. ) ein Attribut desselben bezeichnet, das zwar als etwas Bleibendes, zu seinem Wesen Gehöriges betrachtet wird, aber ohne Rücksicht darauf, ob es dasselbe mit andern gemein hat: Eigenheiten, die werden schon haften, kultiviere deine Eigenschaften (Goethe); Eigenheiten… , die oft zur Trennung mehr Anlaß geben als üble Eigenschaften(A075 Johann Wolfgang von Goethe, Wahlverwandtschaften 20,114,9).
Eigenschaftswort 1782 von ⇓ "S071" L004 Johann Christoph Adelung gegenüber dem von Gottsched gebrauchten "Beiwort" für Adjectivum vorgeschlagen und gegen L033 Joachim Heinrich Campe durchgesetzt, der Beilegungswort oder Einverleibungswort vorschlug.
Eigensinn 1517 Luther (L060 2DWb);
eigensinnig schon spätmhd. eigensinnec: die eigensinnigen Reize ihrer Schwester (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Werther 19,5,9).
Eigentum mhd. eginduom 1230 Köln für lat. possessio (L046 DRWb2,1345); Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen (Grundgesetz Art. 14). L086 GG2,65ff.
eigentümlich schloß sich früher in der Bedeutung an Eigentum an: Vorzüge, die er eigentümlich besaß (Schiller), erb- und eigentümlich (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Götz 1,9). Jetzt bedeutet es ›charakteristisch‹ von Eigenschaften: Denn was sollte ihm sonst eigentümlich sein, um Aufsehen zu erregen? (A154 Hermann Kasack, Stadt 62). Eigentümlichkeit berührt sich nahe mit Eigenheit.
Eigenwille,
eigenwillig zuerst mittelhochdeutsch Mitte des 14. Jahrhunderts in ⇓ "S142" mystischem Schrifttum, um den Gegensatz zur vollkommenen Ergebenheit in den Willen Gottes auszudrücken.
eigens Adverb, seit Anfang des 17. Jahrhunderts ⇓ "S213" bairisch-österreichisch, ab Ende des 18. Jahrhunderts auch bei nichtbairischen Autoren (L060 2DWb). Jetzt v. a. ›zu einem bestimmten Zweck‹. A075 Johann Wolfgang von Goethe gebraucht es wie eigenartig: in seinem eigens akzentuierten Französisch(Wahlverwandtschaften 20,317,25); eigens zart und ausdrucksvoll(Wanderjahre 24,361,14).
eignen
1eigen sein‹, ungewöhnlich: wem eignet Gott? (Lessing), ich eigne nicht den Magen eines Vogels Strauß (A.Schmidt, Belphegor. [1961] 1985,262). Frühneuhochdeutsch ›passend sein‹, häufig eignen und gebühren, zuweilen auch später: dieser Tiefsinn, der ihm allerdings nicht recht eigne (Immermann).
2eigen machen‹, so nicht selten bei A075 Johann Wolfgang von Goethe: der Kirche das zu eignen (Faust II,11021), von dir… der ich auf ewig geeignet bin (Wanderjahre 24,10,2); allgemein üblich nur in zueignen, "aneignen".
3tauglich sein‹ (1793; L060 2DWb), daher reflexiv verbunden mit zu oder für, wofür Goethe vereinzelt bloßen Dativ verwendet: über jeden der Kultur geeigneten Boden. Besonders häufig auch "geeignet" sein für/ zu. Zu zueignen (s. eignen[2])
Zueignung (mhd. ), u. a. rechtssprachlich ›Besitzübergabe‹ (L080 Joannes Frisius 1556) und ›Besitzübernahme‹ (L080 Joannes Frisius 1764), v. a. literarisch (parallel zur rechtssprachlichen Bedeutung) ›Widmung einer Schrift‹ (A075 Johann Wolfgang von Goethe, 23,141) bzw. ›Widmungsgedicht‹ (Lessing; L059 DWb), auch in dem Sinne, daß die Dichtung sich dem Dichter zueignet, ihm zur Wirklichkeit wird, so wohl bei Goethe, Zueignung (vor der Faust-Dichtung), vgl. P.Michelsen und A.Schöne, J.W.Goethe, Faust. Kommentare. 1994, 151, so auch bei G.Kolmar, Zueignung (1947).
EignerBesitzer‹ wohl entlehnt < mittelniederdt. eigener. Heute nur noch Amtsdeutsch und in der Wirtschaft von Schiffseigentümern (Bootseigner, Schiffseigner) und Aktionären (Anteilseigner).
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