Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
eher
Ahd. ist er (got. airis) adverbialer Komparativ, woraus sich mit lautgesetzlichem Abfall des r (↑ "da") mhd. e entwickelte. Daneben stand ein adjektivischer Komparativ ahd. eriro, mhd. ereroder erre (Superlativ mhd. er[e]ste), der sich zu e(r) verhält wie bezzer zu baz (↑ "baß"). Für e ist mitteldeutsch ehe eingetreten, die von Luther gebrauchte Form, neben der oberdeutsch "eh" nun als Verkürzung erscheinen mußte. Durch Einwirkung des adjektivischen Komparativs und des Superlativs treten daneben (zuerst im Mitteldeutschen) Formen mit r: eher, ehr, die allmählich immer häufiger wurden. Mittelhochdeutsch e fungierte wie ein gewöhnliches Adverb, daneben aber war es zur Präposition und zur Konjunktion geworden, ersteres, indem sich neben ihm ein Dativ, der früher nach jedem Komparativ stehen konnte (wie im Lateinischen der Ablativ), erhalten hat: e der zitvor der Zeit‹; daneben ist die Verbindung mit dem Genitiv getreten. Als Konjunktion stand ebevor‹ neben e denneund edaz. Im Neuhochdeutschen haben die verschiedenen Formen z. T. verschiedene Funktionen übernommen. Als Adverb herrscht jetzt eher (poetisch, wenn es das Metrum erfordert, auch ehr). Veraltet ist eher ohne eine Vergleichung ›vor der jetzigen Zeit‹, wofür wir jetzt früher, sonst schon gebrauchen: da wir uns wohl eher gleicher Sünden schuldig gemacht haben (Goethe). Diese alte Bedeutung noch in seit eh und je (↑ 1"je"). Es wird nicht bloß zeitlich gebraucht, sondern es drückt auch aus, wie schon mhd. e, daß der Eintritt eines Ereignisses mit mehr Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist als der eines anderen: Der revolutionäre Prozeß der Poesie entfaltet sich… eher in stillen anonymen Wohnungen (A050 Hans Magnus Enzensberger, Einzelheiten II,135). Es berührt sich dann mit lieber und leichter, vgl. eher sterben, als solche Schmach erdulden. Ferner besagt es, daß sich etwas mit größerem Recht behaupten läßt als etwas anderes: einem großen See, eher ein Sumpf als ein See (Goethe). Das 18. Jahrhundert hindurch, literarisch auch noch später, erscheint aber auch eh(e) als Adverb: ich habe wohl ehe eine Kirsche vom Maul weggeschossen (Schiller), eh nanntest du mich so (Schiller), weil wir fest entschlossen sind zu sterben, eh als jemanden die Luft zu verdanken außer Gott (Goethe), nicht eh, nicht später (H. v.Kleist), verstummen will ich eh' (Hebbel), ↑ "eh". Als Präposition hat sich das Wort nur in einzelnen Resten erhalten, bei denen jetzt Zusammenschreibung üblich ist: ehedem, daneben selten ehedes (Goethe), ehedessen (Gellert), ehemals (↑ "Mal");eh(e)gestern ahd. ergestern, mhd. egester, bei A075 Johann Wolfgang von Goethe, Werther 19,105,4 und bis ins 20. Jahrhundert (L322 UWb»veraltet«) ›vorgestern‹; als Konjunktion hat sich die Form ehebis heute behauptet (gleichfalls nicht bloß im zeitlichen Sinn), doch zieht die norddeutsche Umgangssprache ehr vor. Veralteter Gebrauch von eher: eher mein Satz bewiesen ist (E.Schlegel). Dafür bei Luther noch häufig ehe denn: ich kannte dich, ehe denn ich dich im Mutterleibe bereitete. Zu ehe ist ein Superlativ
ehester gebildet, der in der Bedeutung näher an ehe(r) angeschlossen ist, als der ältere "erst"; so findet sich am ehesten (›am leichtesten‹), ehesten Tages, ehester Tage, namentlich aber im allgemeinen Gebrauch das Adverb
ehestensnächstens‹, in der Bedeutung ganz von "erstens" verschieden (sehr häufig bei Goethe).
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