Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
dürfen
gemeingermanisch (got. þaúrban), ahd. thurfan, wie "wissen", "können", "mögen", "sollen", "müssen" Präteritopräsens, d. h. ein Präteritum (Perfektum), zu dem das Präsens, welches derfen lauten würde, verlorengegangen ist, und das Präsensbedeutung angenommen hat. Das dazu neu gebildete Präteritum lautete mhd. dorfte (Konjunktiv dörfte), so auch noch frühneuhochdeutsch, nicht selten noch im 18. Jahrhundert. Im Anschluß an dürfen ist dafür durfte eingetreten. Umgekehrt finden sich dörfen, wir dörfen in Anschluß an dorfte bis ins 18. Jahrhundert und noch jetzt mundartlich. Über die Verwendung des Infinitivs anstelle des Partizips gedurft siehe unter "lassen"(4). Das Wort ist verwandt mit "darben" und "bieder". Die ursprüngliche Bedeutung der Wurzel scheint ›gebrauchen, genießen‹ (zu griech. térpein ›sättigen‹) gewesen zu sein.1 Frühneuhochdeutsch, vereinzelt noch im 18. Jahrhundert, wird dürfen wie im Mittelhochdeutschen in dem Sinn gebraucht, der jetzt auf "bedürfen" eingeschränkt ist, der auch den Ableitungen -durft("Notdurft") und dürftig (s. unten) zugrunde liegt. Es wird mit dem Genitiv verbunden: die Gesunden dürfen des Arztes nicht(Luther), die Tugend darf des Ruhmes nicht (Wieland); zuweilen mit dem Akkusativ, vgl. Gott gebe mir nur jeden Tag, so viel ich darf zum Leben (Claudius); auch unpersönlich: was darfs der Kürzung (Voß). In dieser Bedeutung steht es ganz überwiegend in Sätzen, die der Form oder dem Sinn nach negativ sind. In solchen erscheint es in der Bedeutung ›nötig haben‹ mit abhängigem Infinitiv bis ins 19. Jahrhundert, jetzt meist durch "brauchen" ersetzt, vgl. wer's wissen will, darf nicht weit laufen (Luther), einen Nutzen, welcher so deutlich in die Augen fällt, daß ich ihn nicht erst erklären darf(Rabener), ich habe das Unnütze nicht unnützlich gelesen, wenn es von nun an dieser oder jener nicht weiter lesen darf(Lessing), was darf ich (›wozu brauche ich‹) jeden Toren fragen? (Lessing), Freunden darf die Gerechtigkeit nicht befohlen werden; aber Leute, die gegeneinander gerecht sein sollen, bedürfen der Freundschaft (H.Jacobi), ich will gern an meinem Schnuppen laborieren, wenn ich nur keinem diplomatischen Diner in Wien beiwohnen darf(Goethe), der Alte trank gar zu gern ein Glas guten Weins, wenn er kein Geld dafür ausgeben durfte (E.T.A.Hoffmann), es ist mir lieb, daß ich seinen Jammer nicht anhören darf (G.Freytag), noch lange im Sprichwort wer den Schaden hat, darf für den Spott nicht sorgen; auch neben nur: jenes Vorwerk… dürfen wir nur veräußern (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Wahlverwandtschaften 20,85,19); indes er nur auf gut Glück in den Tag hinein schreiben dürfte, um alle Teile sprühend von Leben zu gestalten (Grillparzer), damit er nur meine Hand nicht berühren darf (Raimund), man darf nur die Charakteristik dieses theologischen Diplomaten bei Planck lesen, um sich zu überzeugen(D.Strauß.)
2 Der Übergang in die gegenwärtige Bedeutung ›Erlaubnis zu etwas haben‹ ist jedenfalls auch im negativen Satz erfolgt; sie findet sich öfter schon im 16. Jahrhundert. Daraus abgeleitet ist eine besondere Verwendung des Konjunktiv Prät. : er dürfte wohl kommenes wäre wohl möglich, daß er käme‹ (so zum Ausdruck von Zukunftsvermutungen schon öfters in Zeitungstexten von 1609; vgl. G.Fritz, L240 PBB(T) 113,42f.), dann auch mit Gegenwarts- und Vergangenheitsbezug: er dürfte dort sein, dort gewesen sein. In den jüngeren Bibelausgaben ist dürfen für das veraltete türrenwagen‹ eingesetzt, und auch späterhin wird dürfen im Sinne von "wagen" gebraucht, besonders von Schweizer Schriftstellern (sehr häufig von Pestalozzi), aber auch von anderen, vgl. spotte noch über den Pelichus, wenn du darfst (Wieland), folge, wenn du darfst (Wieland) u.ö., verachtest du also mein Gebot, daß du meiner spotten darfst (Musäus). Vgl. G. Bech, Grundzüge der semantischen Entwicklungsgeschichte der hochdeutschen Modalverba (1951),14ff.
dürftig (ahd. ) abgeleitet von Durft (jetzt nur noch in "Notdurft"), frühneuhochdeutsch wie "bedürftig", noch bei Wieland des Trostes dürftig, bei Tieck der Wohltat dürftig, bei A075 Johann Wolfgang von Goethe liebedürftig (Pandora 715); ohne nähere Bestimmung ›arm‹: häufig bei Luther, auch noch bei A075 Johann Wolfgang von Goethe: teilet den Pfennig unter die Dürftigen aus (Hermann und Dorothea 6,196); heute ›spärlich‹, ›unergiebigienes dürftigen theoreyklaubers(Musäus; L060 2DWb).
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