Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
durch
ahd. thuru(c)h, altgermanisch (engl. thorough und through).1 Als Adverb ist durchjetzt in seiner Verwendung durch die Zusammensetzung hindurch eingeschränkt, siehe unter (5). Über durchin Verbindung mit Verben siehe (3). In enger Verbindung mit einem Akkusativ der Erstreckung nähert sich durch dem Charakter einer Präposition, zunächst in räumlichem Sinn, nachgestellt (heute veraltet), vgl. Selinde wandelte den langen Garten durch (Zachariä), Gethsemane durch (Klopstock), aufbrausendes Meer, krachende Waldung durch (Voß). Dagegen noch jetzt in zeitlichem Sinn die Nacht durch, wenn auch hindurch üblicher ist. Neuere umgangssprachliche Entwicklungen sind durchvorbei‹ (Es ist drei Uhr durch), auch ›fertig‹ (Ich bin mit der Zeitung durch; Ich bin mit ihr durch), letzteres vom Amerikanisch-Englischen übernommen, wie wohl auch die Intensivierung
durch und durchvöllig‹; ferner Ausdrücke wie Ich habe das Buch durch; Der Käse ist durch, die wohl elliptisch aufzufassen sind (für durchgelesen bzw. durchgereift).
2 Als Präposition mit Akkusativ ist durch zunächst räumlich. Für durch den Weg, was bei Luther nicht selten ist, würden wir jetzt sagen über den Weg; etwas anderes ist es, wenn Goethe sagt nun wurde die Gesellschaft durch einen holperichten Weg zwischen zwei Mauern in das alte Schloß gezogen, da es hier die Einschließung durch die Mauer ist, was die Wahl von durch veranlaßt hat; vgl. Durch diese hohle Gasse muß er kommen (A222 Friedrich Schiller, Tell 4,3), auch wir sagen durch einen Hohlweg, durch die Straßen (einer Stadt). An die Stelle des Raumes können Zustandsbezeichnungen treten: durch das Leben, Not, Gefahr, Trübsal usw. Auch auf die Zeit übertragen war früher die vorangestellte Präposition üblich, vgl. durch manche Jahre (Goethe), durch diesen ganzen Auftritt (Schiller) (↑ "während"; vgl. L066 Jürgen Eichhoff, Karte 3–39). Weiterhin bezeichnet durchdas Werkzeug, das Mittel: sie benachrichtigte ihn durch einen Boten, er überzeugte ihn durch seine Gründe. Dabei konkurriert mit durch vielfach mit, jedoch ohne daß sie überall miteinander wechseln könnten, siehe "mit"(1c). Beim Passiv kommt das Verhältnis zu "von" in Betracht. Der Unterschied zwischen beiden kommt deutlich zur Geltung, wo sie nebeneinander stehen, vgl. der König ist von ihr durch Schmeicheleien betört, was sich umsetzen läßt in sie hat den König durch Schmeicheleien betört. Dagegen schwindet die Klarheit des Unterschiedes, sobald statt dieser zwei Bestimmungen nur eine steht, wie denn auch bei aktiver Konstruktion vielfach ein Gegenstand bald selbst als Subjekt hingestellt werden, bald als dienendes Mittel einem anderen Subjekt zugeordnet werden kann, vgl. er traf ihn mit der Kugeldie Kugel traf ihn, er bewog ihn durch Versprechungendie Versprechungen bewogen ihn. Passivisch würde man sagen er ist von einer Kugel getroffen, aber er ist durch Versprechungen bewogen. In gewissen Fällen bedingt die Verwendung von durch oder von eine Bedeutungsnuance: er ist von mir zugrunde gerichtet worden kann man umschreiben durch ›ich habe es dazu gebracht, ihn zugrunde zu richten‹, er ist durch mich zugrunde gerichtet worden durch ›daß er zugrunde gerichtet ist, ist meine Schuld‹; im ersteren Fall ist zugrunde gerichtet logisches Prädikat, im letzteren Fall logisches Subjekt. Neben intransitiven Verben wird jetzt ausschließlich durch, nicht von verwendet, vgl. das Land ist durch ihn sehr in die Höhe gekommen. Desgleichen steht durch neben substantivischen Vorgangsbezeichnungen (immer nur neben Genitiv bzw. dessen Umschreibung mit von): die Entdeckung Amerikas (von Amerika) durch Columbus gegen Amerika ist von Columbus entdeckt worden. Veraltet ist verstehen durch, wofür jetzt "unter", vgl. was Sie durch ein braves Mädchen verstehen (Möser), auch was meinest du durch deine Lust?(Gottsched). Frühneuhochdeutsch wird wie mittelhochdeutsch auch die Veranlassung, der Bestimmungsgrund mit durch angeknüpft, vgl. wenn ihr durch Unwissenheit dieser Gebote irgend eins nicht tut (Luther). Zu durch und infolge (↑ "Folge") siehe L376 Otto Behaghel, Von deutscher Sprache 339ff.
3 Mit Verben geht durch entweder losere Verbindungen ein, bei denen es trennbar bleibt und wie andere adverbiale Bestimmungen seine Stellung wechselt (dúrchfahrendurchzufahren, ich fahre durch); oder feste Zusammensetzungen (durchfáhrenzu durchfahren, ich durchfahre). Im ersteren Fall liegt der Hauptakzent auf durch, im letzteren auf dem Verb. Die festen Zusammensetzungen regieren stets einen Akkusativ, welcher eigentlich immer von durchabhängig ist, demnach den Gegenstand angibt, durch welchen die Tätigkeit hindurchgeht (räumlich oder zeitlich). Intransitive Verben werden so transitiv, vgl. durchwándern, durchfáhren, durchláufen, durchréiten, durchflíegen, durchstréichen, durchschwéifen, durchzíehen, durchéilen; durchdríngen, durchscháuen, durchbében, durchráuschen; durchlében, durchwáchen, durchschwärmen usw. Poetisch können danach andere Zusammensetzungen gebildet werden, vgl. z. B. eine durchwachte und durchfreuete Nacht (Jean Paul). Bei an sich transitiven Verben kann das Objektsverhältnis in der Zusammensetzung ein ganz anderes werden als das zu dem einfachen Wort, vgl. durchsétzen im Gegensatz zu dúrchsetzen (↑ "durchsetzen"), wobei neben letzterem der Akkusativ das gleiche Objektsverhältnis ausdrückt wie neben dem einfachen setzen. Aber auch trennbare Verbindungen mit intransitiven Verben können transitiv werden, jedoch zunächst nur, wenn das vollständige Hindurchgelangen ausgedrückt werden soll. Folgende Gruppen gehören hierher:
3.1 dúrchsitzen, dúrchliegen, dúrchlaufen, dúrchtanzen u.dgl., neben denen der Akkusativ einen Gegenstand bezeichnet, der infolge der anhaltenden Tätigkeit durchlöchert wird;
3.2 dúrchgehen (↑ "durchgehen"), dúrcharbeiten, dúrchsinnen (Goethe) u.dgl., neben denen der Akkusativ den Stoff bezeichnet, den man vollständig mit der Tätigkeit bewältigt; etwas anders verhalten sich
3.3 dúrchkämpfen, dúrchfechten u.dgl., bei denen der Akkusativ den Gegenstand bezeichnet, in bezug auf den man das Ziel der Tätigkeit erreicht, aber nicht denjenigen, durch welchen man hindurch gelangt;
3.4 besonders häufig sind reflexive Verbindungen wie sich dúrcharbeiten, dúrchbetteln, dúrchlügen u.dgl., die mit solchen wie sich empor- (in die Höhe) arbeiten, sich herauslügen auf eine Linie zu stellen sind; ihnen stehen solche zur Seite, in denen bei an sich transitiven Verben das Objektsverhältnis ein anderes wird, wie sich dúrchdrängen, dúrchschlagen (↑ "durchschlagen"), dúrchfinden, dúrchfragen, dúrchessen. Nach den allgemein üblichen Verbindungen werden neue mit poetischer Kühnheit gebildet, vgl. er hat sich in dem ästhetischen Fache zu einer großen Konsequenz durchgedacht (Goethe), ich habe mich fast durch Rom durchgesehn (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Brief vom 13.1.87). Eine nahe Berührung zwischen den festen und den trennbaren Verbindungen findet dann statt, wenn ein Objekt zugleich als abhängig von dem Verb an sich und von durchgedacht werden kann. So stehen z. B. nebeneinander durchschnéidendúrchschneiden, entsprechend durchhauen, durchzählen, durchwärmen. Auch Verbindungen von intransitiven Verben berühren sich, z. B. "durchgehen" (durchgéhendúrchgehen), entsprechend durchdenken. Indem die leise Verschiedenheit der Bedeutung nicht mehr festgehalten wird (vgl. z. B. wenn Sie sie vorher noch ein wenig durchgedacht haben Lessing), entsteht Unsicherheit des Sprachgefühls. So kommt es, daß recht häufig die trennbare Verbindung aus stilistischen, rhythmischen Gründen angewendet wird, wo die feste Zusammensetzung grammatisch richtiger wäre, vgl. er fliegt die Schrift durch (Schiller), die Sonne hat uns durchgeglüht(Goethe), die süß verträumten Stunden, die durchgeküßten (Goethe), er lief die Bekanntschaften durch(Goethe), du hast… halbgöttlich ernst die Tage durchgelebt (Goethe), daß er als Prinz Europa durchgereist(Gellert), Sie schauen ja doch sonst die Herzen so durch(Schiller), der sorgenlose Tag wird freudig durchgescherzt(Haller), wie oft hab' ich nach dir die Fluren durchgestrichen(Gellert), Gebirg' und Wälder durchzustreifen (Goethe), nach durchgewachter Nacht (Wieland), die Unsterblichkeit wein' ich froh von der Liebe durch (Klopstock), von tausend durchgeweinten Tagen und Nächten (Goethe), mit ihm die Gassen durchzuziehen(Gellert). Auch mit durch und durch: die Schauspieler durch und durch schauend (Goethe), jenen wunderlichen Mann habe er schon durch und durch geblickt (Goethe), hat mich ein Fremdes durch und durch gedrungen (Goethe). Vgl. N.Kjellmann, Die Verbalzusammensetzungen mit »durch« (1945).
4 Die mit durch zusammengesetzten substantivischen Vorgangsbezeichnungen wie Durchbruch, Durchfahrt, Durchfall, Durchgang usw. schließen sich an die entsprechenden unfesten verbalen Zusammensetzungen an, während aus den festen zum Teil Ableitungen mit -ung gebildet werden wie Durchbrechung, Durchstechung usw.
5 Von dem adverbialen durchnicht wesentlich verschieden ist ↑ "hindurch". In gleichem Sinn wird frühneuhochdeutsch und mundartlich durchhin gebraucht, öfters bei Luther, von Voß u. a. wieder aufgenommen, z. B. doch sie vermochten nicht ihm durchhin zu verwunden den Leib. Zuweilen erscheint durchhin auch im Sinne von "durchweg": ich werde mich durchhin auf diese Schrift beziehen (Herder). Dem hindurch parallel steht frühnhd. herdurch, öfters bei Luther. Norddeutsch umgangssprachlich ist durchher kommenin Verwirrung kommen‹.
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