Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
dreist
schon im Altsächsischen und Altenglischen vorhandenes Wort unklaren Ursprungs (zu ↑ "dringen"?), im 16. Jahrhundert < ⇓ "S150" niederdt. drist ins Hochdeutsche übernommen (früher auch driest, dreust); seit dem 18. Jahrhundert häufiger in der Literatur, auch bei oberdeutschen Autoren;1.1 Adjektiv, bis ins 19. Jahrhundert gewöhnlich Bezeichnung einer positiv bewerteten Eigenschaft: »Man ermahnet diejenigen, welche zum erstenmale öffentlich reden, sie sollen nur dreiste seyn, das ist, sie sollen guten Muth, und ein Zutrauen zu sich selber haben« (L311 Samuel Johann Ernst Stosch 1785,83), also ›mutig, unbefangen, sicher im Auftreten‹, häufig adverbial: weil… er sich sehr dreist, gewandt und artig benahm (Goethe; L060 2DWb); Dreist muß ich tun, und keck und zuversichtlich (H.v.A160 Heinrich von Kleist, Amphitryon 1,2); vgl. Wortfeld ↑ "mutig". Gegensatz ⇑ "schüchtern", {{link}}blöde{{/link}}. Was man mutig und unbefangen tun kann, mag später als etwas betrachtet worden sein, für das es keine Hinderungsgründe gibt und das also erlaubt ist, daher (seit ca. 1700) landschaftlich in Aussagesätzen und Aufforderungen der Gebrauch als
1.2"S002" Abtönungspartikel ›Sprecher zeigt an, daß es (nach seiner Einschätzung) für die genannte Handlung keine Hinderungsgründe gibt‹, ›ohne Bedenken, sehr wohl‹ (dafür heute ↑ "ruhig"): man darf es dreist behaupten(Lavater; L060 2DWb); Sags dreist mir an (H.v.A160 Heinrich von Kleist, Hermannsschlacht 3,6); ⇓ "S126" Du kannst ihn dreist für voll nehmen (A060 Theodor Fontane, Treibel 4, 375); öfters bei Goethe (vgl. L092 GoeWb), sehr häufig bei A210 Wilhelm Raabe (rufen Sie dreist, rufen Sie laut!1876 Horacker 12,316); besonders norddeutsch gelegentlich noch heute: sie können dreist wissen, daß ich alles gehört habe (Strittmatter; L060 2DWb); so früher auch kühnlich zu ↑ "kühn"(1,2) und ↑ "keck"(3);
2"S031" im 18. Jahrhundert zunehmend auch schon auf das Übermaß von (1.1) verschoben und negativ ›frech(2.2), unverschämt‹: ein dreister Lügner (L092 GoeWb), so seit ca. 1900 fast ausschließlich; um 1900 in süddeutscher Umgangssprache noch ungebräuchlich (L171 Paul Kretschmer 179f.).
dummdreist"S117" 17. Jahrhundert < ⇓ "S150" niederdt. dumdristeauf törichte Weise mutig, tollkühn‹, heute mehr ›unverschämt, zudringlich unter der Maske des Plumpen, Ahnungslosen‹: er sprach sie dummdreist an; reservierte Plätze dummdreist besetzen.
Dreistigkeit wie dreist aus dem Niederdeutschen übernommen und analog entwickelt, heute ›Frechheit, Unverfrorenheit‹;
erdreisten reflexiv, ursprünglich niederdeutsch, hochdeutsch seit dem 18. Jahrhundert wie sich "erkühnen", "erfrechen".
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