Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
doch
ahd. thoh, tho, doh(790/ 802 Benediktinerregel; L059 DWb), mhd. doch, got. þauh, wohl aus þau-uh, þau ablautend zu altind. tú, tu ›doch, nun, aber‹ und got. -uh, -h ›und‹ (entspricht der enklitischen lateinischen Partikel que), altsächs. thoh, altengl. þeah, engl. though (frühnhd. L327 Voc.Teut.-Lat. 1482); allgemein »zur bezeichnung eines gegensatzes« (L190 Lexer), zumeist zu einer Erwartung (L012 Otto Behaghel, Syntax 3,154ff.);1 Konjunktion, konzessiv, ›obwohl‹ (Benediktinerregel; L060 2DWb), auch mittelhochdeutsch noch gebräuchlich: der was, doch tot, so minneclich (Wolfram von Eschenbach; L060 2DWb);
2 Konjunktion, adversativ, ›aber, dennoch, gleichwohl‹ (schon althochdeutsch Tatian; L060 2DWb), »allein« (L037 Petrus Dasypodius 1536), zumeist mit Hauptsatzstellung: So mach dich auff vnd zeuch mit jnen. Doch was ich dir sagen werde / soltu thun (A180 Martin Luther, 4.Mose 22,20); Er hatte versprochen zu kommen; doch er kam nicht (L004 Johann Christoph Adelung); Er spricht schlecht; doch er schreibt gut (L004 Johann Christoph Adelung); Spät kommt IhrDoch Ihr kommt! (A222 Friedrich Schiller, Piccolomini 1,1); mit Umstellung von Subjekt und Prädikat: Er spricht schlecht, doch schreibt er gut (L033 Joachim Heinrich Campe); doch konnen wir, als achte Deutsche, uns doch nicht losmachen von Vorsatzen und Aussichten auf Arbeit (A074 Johann Wolfgang von Goethe 27,284 LH); auch als Einleitung eines Einwandes im Gespräch: Catesby: … der könig wird sich freun, dich hier allein zu sehen. Elisabeth: doch ich will ihn nicht sehn (1759 Weiße; L060 2DWb); beim Abbruch eines angefangenen Gesprächsbeitrags: Es wäre viel davon zu sagen; doch wir wollen hier keine Untersuchung anstellen(L004 Johann Christoph Adelung); häufig in elliptischen Sätzen: das ist schlecht, doch aber nicht unnutze(L305 Christoph Ernst Steinbach 1734); Leicht läßt sich die Vernunft, doch schwer das Herz betriegen(Gellert; L004 Johann Christoph Adelung); gelegentlich verstärkt durch aber, gleichwohl; ↑ "jedoch";
3 Adverb, ›dennoch, trotzdem‹, ›trotz entgegenstehender Hinderungsgründe‹, ›entgegen aller (objektiv) begründeten Erwartung‹ (ahd. Hildebrandslied; L060 2DWb), betont: Denn Recht mus doch recht bleiben (A180 Martin Luther, Psalm 94,14); Ein armer vermag offt vil kunst / die doch veracht wirt vmb seiner armut willen (L105 Georg Henisch 1616), Sehen sie immer sauer aus, sie meinen es doch gut mit mir (L004 Johann Christoph Adelung); Ich verboth es ihm; aber er that es doch (L004 Johann Christoph Adelung); Und die Tatsachen bleiben doch, was sie sind (A004 Ingeborg Bachmann, Wildermuth 248); in Verbindung mit Abtönungspartikeln: Übrigens wird Behrens sich am Ende nun doch wohl zu den Injektionen entschließen, um meine Entgiftung zu erzielen (Th.A183 Thomas Mann, Zauberberg 454); »Sind eben doch vergifteter, als man Ihnen zutrauen sollte, Freundchen«, sagte er (ebenda 492); oft in Verbindung mit ↑ "denn": und so ging es denn mit der Verständigung doch ganz leidlich (ebenda 495); nach Sätzen konzessiven oder konditionalen Gehalts (Ende des 8. Jahrhunderts Isidor; L060 2DWb), häufig mit einleitendem ↑ "so": So aber etwas vberbleibt auff den andern tag/ sol mans doch essen (A180 Martin Luther, 3.Mose 7,16); obgleich das Vermogen nicht da, ist doch der Wille zu loben (J. L.L078 Johann Leonhard Frisch 1741); in Sätzen konzessiven Gehalts: Vnd niemand entsatzt sich / noch zureis seine Kleider / weder König noch seine Knechte / So doch alle diese Rede gehöret hatten (A180 Martin Luther, Jeremia 36,24); hierher auch das teils abbrechende, teils weiterführende und doch: Noch nie war ich glücklicher, noch nie war meine Empfindung an der Natur… voller und inniger, und dochIch weiß nicht, wie ich mich ausdrücken soll (A075 Johann Wolfgang von Goethe 19,57). Was ›trotzdem‹ geschieht, mag später als etwas betrachtet worden sein, das entgegen der Erwartung oder entgegen allem Anschein der Fall ist und vom Hörer akzeptiert werden muß, daher der Gebrauch als
4"S002" Abtönungspartikel, unbetont, ›Sprecher zeigt an, daß der Hörer in bezug auf den ausgedrückten Sachverhalt eine gegenteilige Ansicht, Erwartung oder Absicht haben könnte, daß diese falsch bzw. unerwünscht wären und der Hörer daher letztlich zustimmen wird‹ (schon ahd. Hildebrandslied; L060 2DWb);
4.1 in Aussagesätzen, stets nach dem finiten Teil des Verbs als Andeutung einer »Voraussetzung« (L033 Joachim Heinrich Campe), wobei »der Satz, worauf sich doch beziehet, versteckt, und weit vorher zu suchen« ist (L004 Johann Christoph Adelung), ähnlich ↑ "ja": Aber Menschen sind doch ja nichts (A180 Martin Luther, Psalm 62,10); ich weiß doch wohl / daß ihr eine redliche Frau seyd (A095 Andreas Gryphius, Horribilicribrifax 7,55f.); ich mochte doch wissen, was er vorhat (L033 Joachim Heinrich Campe); »Na höre mal, das ist doch stark!« rief er. »Fährt auf ihn los und sagt einfach zu ihm: ›Stellen Sie sich nicht so an!‹ Zu einem Sterbenden! Das ist doch stark! Ein Sterbender ist doch gewissermaßen ehrwürdig. Man kann ihn doch nicht so mir nichts, dir nichts… Ein Sterbender ist doch sozusagen heilig, sollte ich meinen!« (Th.A183 Thomas Mann, Zauberberg 80); Nachts schlafen die Ratten doch (A019 Wolfgang Borchert, Dienstag 216); häufig beim Einwand: »Aber Effi, Kind, das ist doch alles bloß leere Torheit. Du kommst ja nicht nach Petersburg oder Archangel.« »Nein, aber ich bin doch auf dem Wege dahin… «(A060 Theodor Fontane, Effi Briest; 4,28); in Verbindung mit anderen Abtönungspartikeln und Modalwörtern: Es ist freilich nicht recht, doch ist es mehr seiner Unwissenheit zuzurechnen (L033 Joachim Heinrich Campe); Das Briefgeheimnis ist uns ja doch garantieret (1891 A210 Wilhelm Raabe, Stopfkuchen 18,177); Der vermummte Herr. Erinnern Sie sich meiner denn nicht? Sie standen doch wahrlich auch im letzten Augenblick noch zwischen Tod und Leben.Übrigens ist hier meines Erachtens doch wohl nicht ganz der Ort, eine so tiefgreifende Debatte in die Länge zu ziehen (A273 Frank Wedekind, Frühlings Erwachen 3,7); gelegentlich mit Umstellung von Subjekt und Prädikat (v. a. in Sätzen kausalen Gehalts): Bleibt doch der Schnee lenger / auff den Steinen im felde / wens vom Libano herab schneiet (A180 Martin Luther, Jeremia 18,14); Was geht es mich an, habe ich doch nichts gethan (L305 Christoph Ernst Steinbach 1734); Hab' ich doch dich, Fernando! (A074 Johann Wolfgang von Goethe 10,159 LH); Das scheint mir sehr paradox, versetzte Charlotte; sind wir doch fast niemals fur uns(A074 Johann Wolfgang von Goethe 17,281 LH); im Sinne von ›wenigstens, immerhin‹ (ahd. Tatian; L060 2DWb): Sie solten entweder sterben / oder aber / wo nicht in besser / doch / allein / zum wenigsten in etlicher hoffnung leben (L105 Georg Henisch 1616); Und sterb' ich denn, so sterb' ich doch / Durch sie, durch sie, / Zu ihren Füßen doch (A074 Johann Wolfgang von Goethe 1,180 LH); in Verbindung mit ⇑ "aber", "ei", "ja", "nein", "nicht", "nun" »zur Verstarkung einer Bejahung und Verneinung« (L033 Joachim Heinrich Campe), »wo die Partikel zugleich einigen Unwillen verräth« (L004 Johann Christoph Adelung): Cyrille. Ja so meent ihr? Sempron. Nein doch! (A095 Andreas Gryphius, Horribilicribrifax 7,65); ga doch (L308 Kaspar Stieler 1691); Aber doch (ebenda); Nun doch (ebenda); ey doch! (L169 Matthias Kramer 1702); ja doch / muß man euch ein Ding tausendmal sagen? (ebenda); Der Wirth. Ist es nicht der rechte? Ey ja doch!Francisca. Ey nicht doch! (A177 Gotthold Ephraim Lessing, Minna 2,8); Er faßte ihre Hande, Blick in Blick: »Lucinde, sind Sie mein?«Sie versetzte: »nun ja doch« (A074 Johann Wolfgang von Goethe 21,162 LH); »Wird sie lieben?« Ja! »Und mich?« Ja! / »Mein seyn?« Ja! »Und bleiben?« Ja doch! / »Werden wir uns wieder finden?« / Ja gewiß! »Treu wieder finden? / Nimmer scheiden?« Ja doch, ja! / … Ja doch! ja! (A074 Johann Wolfgang von Goethe 40,392 LH); Nicht doch, so weit wollte Hans Castorp nicht gehen (Th.A183 Thomas Mann, Zauberberg 893); hierher auch empört zurückweisendes ich muß doch (sehr) bitten (z. B. A318 Heinrich Böll, Frauen vor Flußlandschaft 685);
4.2 in Ergänzungsfragen (altsächsischer Heliand; L060 2DWb) zunächst im Sinne von abtönendem ↑ "denn": Was sol ich doch dir nu thun / mein Son? (A180 Martin Luther, 1.Mose 27,37); Warumb doch? (L200 Josua Maaler 1561); Die kommt, und »ach, Herr Gott!« ruft sie, und »Ruprecht! / Was ist dir doch?« (H.v.A160 Heinrich von Kleist, Zerbrochener Krug, 7. Auftritt); in rhetorischen Fragen (mit unwilligem Unterton): Wje lange sol doch das Land so jemerlich stehen (A180 Martin Luther, Jeremia 12,4); Was reden sie doch? (L004 Johann Christoph Adelung); später dann in der spezielleren Bedeutung ›Sprecher zeigt an, daß er (im Gegensatz zu seinem jetzigen Zustand) den erfragten Inhalt schon einmal gewußt habe‹, ⇑ "gleich", "noch": Wie hieß doch der Titel der Bearbeitung der Adelphen? (A075 Johann Wolfgang von Goethe 4,10,357); Wie heißt doch die Feuchtigkeit auf lateinisch? (Th.A183 Thomas Mann, Zauberberg 525); in Fragen mit Aussagesatzstellung in der Bedeutung ›im Gegensatz zu dem, was man annehmen oder befürchten könnte‹: Daja. … Wo habt Ihr denn / Die ganze Zeit gesteckt?Ihr seyd doch wohl / Nicht krank gewesen? (A177 Gotthold Ephraim Lessing, Nathan 1,6); Ehrwurd'ger Herr, ihr schlaft doch bei uns? (A074 Johann Wolfgang von Goethe 8,17 LH); Als er den ersten Zug getan und die Wolke weggeblasen hatte, wandt' er sich kavalierhaft verbindlich an Wanda und Stine und sagte: »Die Damen erlauben doch?« (A060 Theodor Fontane, Stine; 2,497); auch alleinstehend: Aber müde wurden Sie gar leicht bei körperlicher und geistiger Arbeit? Doch? Und haben viel Herzklopfen? (Th.A183 Thomas Mann, Zauberberg 255);
4.3 in Wunschsätzen ›im Gegensatz zu dem, was der Fall zu sein scheint‹ (ahd. Tatian, Otfrîd von Weißenburg; vgl. Hentschel, s. unten), ⇑ "bloß", "nur": das doch jemand hören wolte! (A180 Martin Luther, Jeremia 6,10); O, daß doch mein Vater käme! (L004 Johann Christoph Adelung);
4.4 in Ausrufesätzen ›im Gegensatz zu dem, was erwartbar wäre‹, ⇑ "bloß", "nur": Was plaget jr doch meine Seele / Vnd peiniget mich mit worten? (A180 Martin Luther, Hiob 19,2); und wie doch immer gepfuscht wird!!(A075 Johann Wolfgang von Goethe 4,5,296); Was ist der Mensch, wie leicht betrügt sich doch sein Gewissen! (Th.A183 Thomas Mann, Zauberberg 226);
4.5 in Aufforderungen ›im Gegensatz zu dem, was der Hörer zu tun den Anschein macht‹: Er aber sprach zu seinen Brüdern / Trett doch her zu mir (A180 Martin Luther, 1.Mose 45,4); Komm doch / sag doch / gehe doch! (L308 Kaspar Stieler 1691); Laß mich doch zufrieden! (ebenda); Laß doch seyn! (ebenda); Setzen Sie sich doch, Herr Kasten (Th.A183 Thomas Mann, Zauberberg 431); »Schweigen Sie doch!« zischte Settembrini sie von der Seite an (ebenda 754); häufig mit einleitendem so: So bleibts doch hier, so gebts mir doch einen Rat, so sagts mir doch, was ich tun soll (A130 Hugo von Hofmannsthal, Schwierige 2,3); in Verbindung mit anderen Abtönungspartikeln mit Lächeln und Winken und der Aufforderung »doch nur ja« Platz zu behalten (Th.A183 Thomas Mann, Zauberberg 809); Fahrt doch mal leise nach Paris!! (A167 Wolfgang Koeppen, Treibhaus 2,324); Ach was! Stell dir doch bloß mal vor, was das den Steuerzahler kostet! (B.A254 Botho Strauß, Paare 20); »Oft hat es auch nur die Gestalt einer Bitte« (L004 Johann Christoph Adelung): Wo ist er denn? O, zeiget mir ihn doch (Gellert; L004 Johann Christoph Adelung);
5"S209" Sprechhandlungspartikel, ›Sprecher erklärt, daß der Vorgängersatz, im Gegensatz zu der in ihm enthaltenen oder ihm zugrundeliegenden Annahme, zutrifft‹, zumeist als Antwort auf (negierte) Entscheidungsfragen: Doch gwüßlich (L200 Josua Maaler 1561); Du hast mir nicht geschrieben. O doch! zweimahl habe ich geschrieben (L033 Joachim Heinrich Campe); Emilia. Solcher Väter giebt es keinen mehr.Odoardo. Doch, meine Tochter, doch! (A177 Gotthold Ephraim Lessing, E.Galotti 5,7); »Messen Sie sich etwa überhaupt nie?« »Doch, Frau Oberin. Wenn ich Fieber habe.« (Th.A183 Thomas Mann, Zauberberg 236); Ich verstehe es. Doch, ja, ich verstehe es (A004 Ingeborg Bachmann, Unter Mördern und Irren 173); nicht selten verdoppelt: Al-Hafi. Das Spiel ist ja nicht aus. Ihr habt ja nicht verloren, Saladin. Saladin (kaum hinhörend) Doch! doch! (A177 Gotthold Ephraim Lessing, Nathan 2,2); Schmeckt die Suppe nicht? Doch, doch (U.A312 Uwe Timm, Currywurst 151); beim Widerspruch gegen ein Verbot, eine Warnung: Erster [Mann]. Bleib' mir von meinen Ziegen! Zweiter. Doch! (… nimmt eine Ziege und fort.) (A075 Johann Wolfgang von Goethe 39,207); »Endlich gebraucht man es im N. D. [Niederdeutschen] auch fragend fur wirklich so? Und verbindet auch wol wirklich damit« (L033 Joachim Heinrich Campe): A. Ich habe heute viel gearbeitet. B. Doch? oder Doch wirklich? (ebenda). E.Hentschel, Funktion und Geschichte deutscher Partikeln. Ja, doch, halt und eben. 1986.
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