Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
denn
ahd. danna, danne, denne, than(n)e (L175 Friedrich Kluge/ L175 Elmar Seebold), mhd. dan(ne), den(ne) (L190 Lexer); erst seit der Mitte des 18. Jahrhunderts deutliche Trennung von älterem, bis dahin gleichbedeutend ↑ "dann" (L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt); mundartlich (z. B. im Bairischen und Hessischen) zuweilen dann, ostfälisch auch denne;1 temporales Adverb
1.1dann, danach‹, schon mittelhochdeutsch (L190 Lexer); frühneuhochdeutsch Denne zu dem male. istance. istotempore(L327 Voc.Teut.-Lat. 1482), »Nun« (L200 Josua Maaler 1561): Wenn du denn wirst hören das rausschen oben auf den Maulberbewmen einher gehen / so far er aus zum streit (A180 Martin Luther, 1.Chronik 15,15); Erst wollen wir essen, denn spazieren gehen (L004 Johann Christoph Adelung); Oberwachtmeister… Nach Verbüßung Ihrer Strafe sind Sie ins Ausland gegangen. Voigt Jawoll, nach Böhmen und denn nach Bukarest (A296 Carl Zuckmayer, Hauptmann 308f.); frühneuhochdeutsch auch im Sinne von ›bisweilen‹, ›dann und wann‹: Der Konich kommt denn auf dis Lustschloß (L305 Christoph Ernst Steinbach 1734); norddeutsch noch heute üblich, insgesamt jedoch dann gebräuchlicher (vgl. L004 Johann Christoph Adelung);
1.2 zur Bezeichnung einer Folge, ›schließlich, endlich‹: Kommt denn der Winter angeschlichen, / So muß die Erd' im Trauren gehn (Günther; L305 Christoph Ernst Steinbach); häufig in Verbindung mit Abtönungspartikeln: und die Königin sagt denn ja auch: ›In meinem Frankreich war's doch anders‹ (Th.A183 Thomas Mann, Zauberberg 414); auch im Konditionalsatz gelegentlich für dann: Wenn einer kranke Nerven hat, denn ist er gesund (Döblin; L337 WdG);
1.3 bis ins 18. Jahrhundert in direkten und indirekten Fragesätzen auch in temporaler Bedeutung ›nun‹: Ach ist denn solchs die Freundschafft dein / Die du mir offt versprochen hast (1551 A218 Hans Sachs, Fastnachtsspiele 19); Was denn? (L105 Georg Henisch 1616); ich bin sehr besorgt, was denn wegen der Landschaft wird beschlossen werden (L305 Christoph Ernst Steinbach 1734); in kausaler Ausdeutung der temporalen Folge
2 Adverb, ›also, infolgedessen, somit‹ (schon Williram; L320 Trübner), in Imperativ- und Aussagesätzen: [es] kann nicht ›das‹ dabei ym latinischen stehen, wie es denn auch Erasmus und alle sampt verdolmetschen (Luther; L060 2DWb); Wohlan, vernichte denn durch deinen Unverstand, die Sorgfalt, die ich angewandt! (Gellert; L004 Johann Christoph Adelung); Eine Welt zwar bist du, o Rom, doch ohne die Liebe / Wäre die Welt nicht die Welt, wäre denn Rom auch nicht Rom (A074 Johann Wolfgang von Goethe, 1,259 LH); »Erfahre denn«, sprach Willibald, »daß Exters Palast dicht am Bosporus lag… « (E.T.A.A127 Ernst Theodor Amadeus Hoffmann, Das steinerne Herz 10,34); ⇓ "S209" insbesondere in Aufforderungen und Ausrufen häufig in Verbindung mit satzeinleitender Konjunktion ↑ "so": So werden die denn an dem endt / All drey auffhalten jre hendt (1553 A218 Hans Sachs, Fastnachtsspiele 44); So komm denn, liebes Kind! was halt dich ab davon? (A074 Johann Wolfgang von Goethe, 7,58 LH); So lebt denn wohl! (A074 Johann Wolfgang von Goethe, 9,201 LH); Nun, so stirb denn einsam und verlassen! (E.T.A.A127 Ernst Theodor Amadeus Hoffmann, Das steinerne Herz 10,48); Vorwärts denn also, Mann! (H.A182 Heinrich Mann, Unrat 543); häufig verbunden mit "doch": »… Aber da bin ich denn doch gespannt«, sagte er(Th.A183 Thomas Mann, Zauberberg 453); verbunden mit abtönendem "auch": Vom Mittelalter war ja denn auch verschiedentlich die Rede (ebenda 540); besonders häufig in einigen Wendungen: Auf denn! nicht trage denn! / Strebend und hoffend hinan! (A074 Johann Wolfgang von Goethe, 2,68 LH); Nun denn also ›ja‹ (A060 Theodor Fontane, Schach; 1,576); Nun denn, nein! (Th.A183 Thomas Mann, Zauberberg 139); Na denn prost (A296 Carl Zuckmayer, General 3,512). Was ›nun‹, ›schließlich‹ und ›somit‹ Gegenstand einer Frage ist, mag später als Hinweis auf deren Veranlassung durch die jeweilige Situation verstanden worden sein, daher der Gebrauch (schon des ahd. thanne, z. B. Otfrîd von Weißenburg; L012 Otto Behaghel, Syntax 3,112f.) als
3"S002" Abtönungspartikel, in direkten und indirekten Fragesätzen: Woltestu denn die gantze Stad verderben vmb der funffe [Ungerechten] willen? (A180 Martin Luther, 1. Mose 18,28); zunächst wohl eher im Sinne von ↑ "etwa"(6): hast du denn das gethan? (L305 Christoph Ernst Steinbach 1734); ist dir denn der Nutzen vom Rindvieh angenehmer, als von den Bienen (ebenda); später dann in der Bedeutung ›Sprecher zeigt an, daß es einen aktuellen, aus der Situation begründeten Anlaß für seine Frage gibt und daß er an dem gefragten Inhalt ein echtes Interesse hat‹, weshalb »es oft eine Verwunderung, einen Unwillen, andeutet« (L033 Joachim Heinrich Campe): Mein Thales sag mir doch in guet / Hastw den kain weib zw der e / Oder ist dir in kranckheit we / Kuerczlich dein gemahel gangen ab (1555 A218 Hans Sachs, Fastnachtsspiele 99); Seid ihr denn aller Mittel so gantz entblosset?(A095 Andreas Gryphius, Horribilicribrifax 7,90); Wo habt Ihr denn / Die ganze Zeit gesteckt? (A177 Gotthold Ephraim Lessing, Nathan 1,6); Wie hast du denn das angefangen? (A075 Johann Wolfgang von Goethe, 3,333); Hören Sie denn nichts, hören Sie denn nicht die entsetzliche Stimme, die um den ganzen Horizont schreit, und die man gewöhnlich Stille heißt? (A030 Georg Büchner, Lenz 100); Warum sind Sie denn Ingenieur geworden?(Th.A183 Thomas Mann, Zauberberg 370); häufig (besonders bei Raabe und O.E.Hartleben) verbunden mit abtönendem ↑ "eigentlich": »Aber sage mir nur, lieber Vetter, was wollte denn eigentlich der Baron von Dir?« (1817 E.T.A.A127 Ernst Theodor Amadeus Hoffmann, Majorat 2,112); gelegentlich mit "übrigens" und "überhaupt": Wieviel [Fieber] ist es denn übrigens? (Th.A183 Thomas Mann, Zauberberg 246); Halt, halt, wer sind Sie denn überhaupt? (A296 Carl Zuckmayer, General 3,553); auch im fragenden Ausruf: Zeitung für die elegante Welt? Wo haben Sie die denn her? (A082 Christian Dietrich Grabbe, Scherz 1,3); gelegentlich auch mit Starkton: Wem frommt es dénn, / daß er so neubegierig ist? wem dénn?(Lessing; L264 Daniel Sanders); auch in rhetorischen Fragen: Ist denn die Welt nicht groß genug? (A075 Johann Wolfgang von Goethe, 3,189); Wer kennt Sie denn nicht als den freigiebigsten Wohltäter der Bedürftigen,… ? (1817 E.T.A.A127 Ernst Theodor Amadeus Hoffmann, Das steinerne Herz 10,25); Warum prahlen Sie denn dann mit Erhabenheit?! Sie wissen doch, daß das Humbug ist (A273 Frank Wedekind, Frühlings Erwachen 3,7); Was soll denn die Welt mit einer Person anfangen, wie ich bin? (A130 Hugo von Hofmannsthal, Schwierige 2,14); Wer sind wir denn, daß man uns solche Dinge sagen muß? (A004 Ingeborg Bachmann, Unter Mördern und Irren 2,178);
4 Konjunktion, einen Hauptsatz einleitend, althochdeutsch noch zumeist temporal im Sinne von ›während, sobald‹ oder konditional im Sinne von ›falls‹ (L060 2DWb), nur vereinzelt in der mittelhochdeutsch bereits voll ausgebildeten (L190 Lexer) heutigen kausalen Bedeutung ›weil‹: mich iamert des volcks, denn sie haben nu drey tage bey myr beharret vnd haben nichts zu essen (Luther; L060 2DWb); Denn (diese Konjunktion liebte Naphta ganz besonders; sie gewann etwas Triumphierend-Unerbittliches in seinem Munde, und seine Augen hinter den Brillengläsern blitzten auf, jedesmal, wenn er sie einfügen konnte), denn der Begriff des Politischen sei mit dem des Katholischen psychologisch verbunden (Th.A183 Thomas Mann, Zauberberg 620); auch als Einschub: Ihr Liebhaber, denn als solchen stellte sich Herr Schmidt gleich dar (L092 GoeWb); selten mit Nebensatzstellung wie bei "weil": Denn sie selber bekennen müssen(Luther; L264 Daniel Sanders); auch, in Verbindung mit Modalwörtern und mit wiezuweilen mit Umstellung von Subjekt und Prädikat: Vermuthlich steckt etwas anderes dahinter: denn wirklich sahe er sehr verwirrt aus (L004 Johann Christoph Adelung); in der gesprochenen Sprache auch, um den Grund für die Frage zu bezeichnen, »z.B. der vortreffliche Mann! Lebt er noch? denn in meiner Einsamkeit höre ich schon lange nichts mehr, kann so ergänzt werden: lebt er noch? ich muß nach ihm fragen, dennu. s. f.« (L004 Johann Christoph Adelung); selten substantivisch: Sehen Sie selbst, wie bündig sein Denn ist (Lessing; L264 Daniel Sanders);
5 Konjunktion (veraltet), nachgestellt, mit dem Konjunktiv (12. Jahrhundert; L060 2DWb), ›wenn nicht, außer‹, »enklitisches« denn in Nebensätzen, die ursprünglich im Mittelhochdeutschen mit der Negation en- gebildet wurden: Jch las dich nicht / du segenest mich denn (A180 Martin Luther, 1. Mose 32,26); Du sollst nicht sterben, du habest denn erst den Herren gesehen (L004 Johann Christoph Adelung); dafür heute die schon um 1400 (L060 2DWb) belegte Wendung es sei denn: Sie wissen, daß meines Bruders Teufelei mir den härtesten Stoß gab, den ich erlittenes sei denn, daßdoch still davon (E.T.A.A127 Ernst Theodor Amadeus Hoffmann, Das steinerne Herz 10,26); hierher auch geschweige denn (↑ "geschweige");
6 Konjunktion und Vergleichspartikel (mit dem Komparativ) ›als‹ (schon Ende des 8. Jahrhunderts Benediktinerregel; L060 2DWb); »in welcher Bedeutung es aber, bei guten Schriftstellern wenigstens, nicht gebrauchlich ist« (L033 Joachim Heinrich Campe): Meine Sünde ist grösser / denn das sie mir vergeben werden müge (A180 Martin Luther, 1.Mose 4,13); Vnd hatte Rahel lieber denn Lea (A180 Martin Luther, 1. Mose 29,30); Mehr denn es gut vnd billich ist (L105 Georg Henisch 1616); heute vor allem zur Vermeidung des doppelten 1"als": Du hast dich in diesem Falle mehr als Schriftsteller denn als Advokat erwiesen (Goethe; L264 Daniel Sanders); häufig auch mit Negativpronomen: Kain groser frewd hab ich auf erd / Den zv lesen die pucher werd (A218 Hans Sachs, Fastnachtsspiele 140); er war um so erstaunter, als er nichts weniger denn diese Vorwurfe zu verdienen glaubte (A074 Johann Wolfgang von Goethe18,202 LH); in der Verbindung ehe denn (daß) (Ende des 8. Jahrhunderts Benediktinerregel; L060 2DWb): ehe denn ich sterbe (1523/ 6 Eberlin; L060 2DWb); heute vor allem noch in der Verbindung von Komparativen mit denn je: Sehen Sie, Freund, ist sie nicht schöner denn je?(A060 Theodor Fontane, L'Adultera; 2,87).
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