Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
denken
ahd. / mhd. denken, gemeingermanisches Verb (got. þagkjan), verwandt mit altlat. tongere ›wissen‹. Präteritum und Partizip unregelmäßig dachte, gedacht, mhd. dahte, gedaht, schon got. þahta aus þanhta. Der Gegenstand, mit dem sich das Denken beschäftigt, stand früher im Genitiv, der allmählich durch das schon früh daneben vorkommende an mit Akkusativ ersetzt worden ist, geflügelt: Denk ich an Deutschland in der Nacht, / Dann bin ich um den Schlaf gebracht (A118 Heinrich Heine, Nachtgedanken). Nur wenn denkendie Erinnerung an etwas Vergangenes bezeichnet, in welchem Fall übrigens häufiger "gedenken" gebraucht wird, kann noch im 19. Jahrhundert der Genitiv stehen: denkst du noch der Zeiten… ? Ungewöhnlich gebraucht ihn Schiller auch für andere Fälle, z. B. daß der entjochte Mensch jetzt seiner Pflichten denkt, der eigenen Rettung denkt jetzt keiner mehr. Der Inhalt des Denkens kann im Akkusativ stehen: etwas, nichts, Gutes, Böses denken, einen Gedanken denken; Alles Gescheidte ist schon gedacht worden, man muß nur versuchen, es noch einmal zu denken (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Maximen und Reflexionen 42.2,167. Die Grenze zwischen Inhalt und Gegenstand ist fließend; daher greift besonders in der poetischen Sprache die Verwendung des bloßen Akkusativ auf solche Fälle über, wo an das Gewöhnliche wäre, vgl. Lazarus dachte den Tod und die Auferstehung vom Tode (Klopstock); noch denk' ich mit Entzücken dich, du Götterstand der ersten Liebe (Wieland); Urenkel denkend (Klopstock); [der Verbannte] denkt Kinder und Enkel (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Iphigenie 1765); du denkst nur dich, und denkst den Fürsten nicht (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Tasso 2662); gib mir den Mann, den Mann, den ich jetzt denke, den ich anbete (Schiller). Verschieden davon sind Fälle, in denen zum Akkusativ eine prädikative Bestimmung hinzutritt, wobei die Anwendung von an unmöglich wäre, vgl. ich denke mir ihn als einen stattlichen Mann; Therese war ihm noch viel werter geworden, seitdem er das Kind in ihrer Gesellschaft dachte (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Lehrjahre 23,114,16). Jetzt veraltet es jmdm. denken statt gedenken, wo der Akkusativ aus dem alten Genitiv umgedeutet ist, vgl. ich denk' es Euch wieder, komm ich diesmal nur los(Goethe). Wo denken auf die Zukunft gerichtet ist, kann sich die Vorstellung der Absicht anschließen. Dann ist die Verbindung mit zuund Infinitiv üblich: ich denke (gewöhnlicher und unzweideutiger gedenke), ihn zu überraschen. Ferner sagt man auf etwas denken (jetzt meist "sinnen"), z. B. auf Mittel zur Rettung; früher auch ohne Bezug auf die Zukunft: eine große Ansicht, auf welche der beschränkte Gegner niemals denken konnte (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Dichtung und Wahrheit 28,265,19). Frühneuhochdeutsch ist nach etwas denken: sie denken nicht darnach, daß sie sich kehreten zu ihrem Gott(Luther). Veraltet reflexiv sich denkensich dünken‹: du denkst dich was Rechts (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Egmont 4,1); schriftsprachlich veraltet und mundartlich ist unpersönliche Konstruktion: so lang als mir's denkt (Goethe); so lang mir denkt, daß ich dem König diene (Schiller); mich denkt des Ausdrucks noch(Lessing). Dazu ausdenken, umdenken, ⇑ "bedenken", "verdenken", "zudenken", ferner ⇑ "Andacht", "Bedacht", "Verdacht", "Gedächtnis", "Andenken", "eingedenk", "Gedanke", "Dank", "dünken".DenkanstoßAnregung zum weiteren Nachdenken‹ mit synonymem Denkimpuls 1909 (L060 2DWb).
Denkart »bey den Dichtern zuweilen« (L003 Johann Christoph Adelung 1774); Adelung bucht auch
Denkungsart (1734 Gottsched; L060 2DWb): ein vortreffliche, eine schlechte Denkungsart; hierzu im freien Gebrauch gewöhnlich das geflügelte Wort die Milch der frommen Denkart (⇓ "S074" A222 Friedrich Schiller, Tell 4,3); scherzhaft doppeldeutig A060 Theodor Fontane: Er machte sich nun an die Milch… ›Milch der frommen Denkungsart‹ würde Papa sagen (Treibel; 4,387). Zu Denkfreiheit vgl. "Gedankenfreiheit".
Denkmal zunächst allgemein für jedes Erinnerungszeichen, vgl. darum soll dir's [das Essen der ungesäuerten Brote] sein ein Zeichen in deiner Hand und ein Denkmal vor deinen Augen (A180 Martin Luther, 2.Mose 13,9); jene auch richten einander zum Denkmal schöne Geschenke (Voß); dies Denkmal meiner Gnade [ein Gürtel] (Schiller); seit dem 17. Jahrhundert ›Monument, Standbild‹, dazu Denkmalschutz (1905; L060 2DWb).
Denkpause (1939; L060 2DWb) umgangssprachlich eine Denkpause einlegen zur geistigen Entspannung.
Denkschrift (1648; L060 2DWb) bis ins 20. Jahrhundert im Plural wie "Memoiren", seit Anfang des 19. Jahrhunderts wie heute ›Abhandlung zu einer Angelegenheit von öffentlichem InteresseIn der Denkschrift von 1970 wurde die Bedeutung von Primaten als Versuchstiere für die biologische Forschung… dargestellt (DFG mitteilungen 4/ 75,36).
DenksportKnobelei, TüfteleiDenksportaufgaben, als Rubrik in Zusammensetzungen usw. (1928; L060 2DWb).
Denkspruch"S071" L284 Justus Georg Schottelius 1663,428 für Symbolum, entsprechend griech. apóphthegma, franz. devise, vgl. L138 HWbPh.
denkwürdigdes Erinnerns wert, bedeutsam‹ (1532; L060 2DWb).
Denkzettel ursprünglich ›Zettel, auf dem etwas notiert ist, um es nicht zu vergessen‹ (vgl. A180 Martin Luther, Maleachi 3,16, Matthäus 23,5) nach dem ⇓ "S181" Rechtsterminus mittelniederdt. denkcedelschriftliche Nachricht, Vorladung‹ (vgl. L046 DRWb). Jetzt über die Schulsprache ›Verweis, Strafe‹ (16. Jahrhundert).
denkbarvorstellbar, möglich‹ (1752 Wieland; L060 2DWb). Umgangssprachlich die Interjektion
denkste (1920, wohl zuerst in Berlin; H.Küpper, dtv-Wörterbuch der Alltagssprache, 1958), zusammengezogen aus denkst du, zunächst für
1.1du irrst dich!; keineswegs!‹ (L024 Brockhaus-Wahrig), auch schnippisch
1.2das hast du dir so gedacht!‹ (22 L056 Duden 2000): Denkste!: Bist gar nicht von mir bevollmächtigt! (A.Schmidt, Das steinerne Herz, 4,154); davon ausgehend zusätzlich
2 Gebrauch ähnlich einem Nomen im Sinne von ›Irrtum‹ (1930ff.; L179 Heinz Küpper, 1987): Typischer Fall von denkste, wie sie sich nun beim Aufstiegsturnier der vier besten Teams… herausstellte (Frankfurter Rundschau, 9.7.1997, 6).
Denker"S124" Lehnübersetzung von engl. thinker ( > franz. penseur), um 1750 (Klopstock, Wieland, Herder; L083 Peter F. Ganz), vgl. "Freidenker" (↑ "frei"). Zur Formel Dichter und Denker2"dichten".
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