Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
Demokratie
(democraty 1592; L060 2DWb) über ⇓ "S082" lat. democratia < griech. demokratía (demos ›Volk‹, krateín ›herrschen‹); ⇓ "S175"Volksherrschaft‹, bis zur Französischen Revolution als Wort der Gelehrtensprache gewöhnlich auf die klassische Antike bezogen (democratia in Luthers Tischreden auf die Schweiz und Dithmarschen); im 18. Jahrhundert Entwicklung zum heutigen Verständnis: »Democratie… Regiments-Form, in welcher die Majestät bey dem gesammten Volck ist« (1734 L361 Johann Heinrich Zedler), »diejenige Verfassung des gemeinen Wesens, wo sich die höchste Gewalt bey dem Volke, oder allen einzelnen Gliedern ohne Unterschied befindet« (L004 Johann Christoph Adelung); als Staatsform in Reaktion auf den französischen Jakobinerterror kritisch reflektiert: Democratie… ein Despotism, weil sie eine executive Gewalt gründet, da… Alle, die doch nicht Alle sind, beschließen (I.A152 Immanuel Kant, Zum ewigen Frieden; hg. Cassirer 437), von oben geächtet auch nach dem deutschen Revolutionsversuch von 1848/ 49; seit der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts in verschiedenen Ausdeutungen repräsentative Demokratie (1823; L138 HWbPh), soziale Demokratie (L025 Brockhaus 1838), vom ⇓ "S129" Marxismus mit ›Kommunismus‹ gleichgesetzt: Die Demokratie ist proletarisches Prinzip (1845/ 46 Engels; A186 Karl Marx/ A186 Friedrich Engels 2,613); nach 1919 erneute Abwertung durch die Rechte; ⇓ "S144" nach 1945 mit Betonung der Merkmale ›Freiheit‹, ›Recht‹, ›MitbestimmungDemokratie (Erklärung siehe Fremdwörterbuch) statt Parteidiktatur! (L282 Wolfgang Schneider, Demontagebuch, 1990,60); übertragen im Sinne von ›GleichberechtigungDemokratie der Dichtung (1835 Gutzkow; L395 Wulf Wülfing 1982, 109). Demokratur (etwa 1950), jargonale ⇓ "S119" Kreuzung aus Demokratie und Diktatur, vgl. ⇓ "S119" Filzokratie, Eurokrat. (L086 GG1,821ff).demokratisch (1592; L060 2DWb) seit Ende des 18. Jahrhunderts auf die Staatsform bezogen: demokratische Verfassung (1788 Köln); Alle Staaten… werden demokratisch werden (1814 E.M.Arndt; L086 GG1,853), so als Verfassungsbegriff: Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat (Grundgesetz 20,1); im Sinn einer Maxime demokratisches Prinzip (1814 Görres; L181 Otto Ladendorf), auf die Haltung bezogen: die demokratische Tendenz unserer Zeit (1834 Laube; L395 Wulf Wülfing 1982, 247), demokratische Parteien; übertragen Dampf und Eisenbahn sind… demokratische Mächte des Lebens (1836; ebenda 232).
Demokrat < franz. démocrate (1550), zuerst 1760 A161 Friedrich Gottlieb Klopstock: O Freiheit, Freiheit! nicht nur der Demokrat / Weiß, was du bist (Das neue Jahrhundert); seit der Französischen Revolution ›Republikaner‹, positiv und negativ gedeutet: der Demokrat will… , daß das Volk durch seine Stellvertreter herrsche (1792 L033 Joachim Heinrich Campe; L086 GG1,856); Gegen Demokraten helfen nur Soldaten (1848; L086 GG1,885).
demokratisieren"S175" ursprünglich als Meinungskundgabe »freibürgerliche Gesinnungen äußern… einflößen« (L033 Joachim Heinrich Campe 1813); »demokratisch gesinnt machen« bei Wieland (L151 Josef Kehrein).  
Demokratisierung (1849; L060 2DWb) »veränderung… zu demokratischen verhältnissen« (L060 2DWb), nach 1945 als eines der »vier D's der westlichen Besatzungsmächte (Demilitarisierung, Denazifizierung, Demontage, Demokratisierung)«. Antonym zu ↑ "Entnazifizierung", v. a. im Rahmen der »Re-education«: ›Erziehung zur Demokratie‹, zugleich auch wieder allgemein auf Wirtschaft, Bildung, Gesellschaft bezogen ›Organisation nach demokratischen Grundsätzen‹, vgl. J.Kilian, Demokratische Sprache. 1997,303f.; in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts im Umkreis von Studentenbewegung, APO und SPD erneut aktualisiert und nochmals verallgemeinert: der Generaltenor aller Ansprüche der Zeit auf Veränderung… findet seine knappste Formel in einem Wort: »Demokratisierung« (W.Hennis 1969; L315 Georg Stötzel/ L315 Martin Wengeler, 394).
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