Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
da
Es sind zwei aus dem Stamm des Artikels (Demonstrativums) abgeleitete Wörter zusammengefallen.1 Räumliches da, ahd. dar, mhd. dar, da, urgermanische Bildung (vgl. "wo", "hier").
1.1 Formales. Das auslautende rblieb erhalten bei enger Verbindung mit einem vokalisch anlautenden Wort, indem es zur folgenden Sprechsilbe hinübergezogen wurde (vgl. die analogen Verhältnisse bei wo und hier, siehe auch "eher"). Daher noch jetzt "daran", "darauf", "daraus", "darein", "darin", darob, "darüber", "darum", "darunter", in denen allerdings teilweise dar-auf mhd. dar zurückzuführen ist (siehe "dar"), ohne daß noch eine genaue Scheidung möglich ist. Von diesen Verbindungen aus ist das r auch auf solche mit konsonantisch anlautenden Adverbien übertragen, so daß Formen entstanden sind wie darbei, dardurch, darfür, dargegen, darmit, darnach, darneben, darvor, darwider, darzu neben "dabei" usw. Diese sind frühneuhochdeutsch häufig, aber auch im 18. Jahrhundert noch nicht ganz außer Gebrauch gekommen, am längsten, wie es scheint, im Kanzleistil erhalten; Goethe hat sie öfters in seinen Briefen. Es wurden auch Ansätze gemacht, isoliertes dar wieder einzuführen, und noch im 18. Jahrhundert gebraucht man von dar und hier und dar. Durch Abschwächung des Vokals infolge der Tonlosigkeit sind schon im Mittelhochdeutschen Formen wie derbi, derfür entstanden; noch jetzt landschaftlich umgangssprachlich derbei, dervor. Gänzlich ausgestoßen ist der Vokal, wo das sich anschließende Adverb mit Vokal anlautet: "dran", "drauf", drauß, "drein", "drin", drob, "drüber", "drum", "drunter", Formen, die in der Umgangs- und Dichtersprache, frühneuhochdeutsch auch allgemein in der Prosa gebraucht werden. Ausschließlich üblich geworden sind "droben", "drunten", "drinnen", "draußen", "drüben", dazu die Verbindungen drauf und dran, drum und dran, drüber und drunter, auch "drein" in gewissen Verwendungen. Mit der Abschwächung verbindet sich zum Teil Modifikation der Bedeutung, s. unten.
1.2 Der Gebrauch von da ist zunächst demonstrativ (↑ "der") und rein lokal. Es bildet vielfach einen Gegensatz zu "hier", indem es auf das dem Sprechenden ferner Stehende hinweist. Wo es direkt hinweisend ist, kann es sich auch eng an ein Nomen anschließen: die Frau da, die da, du da. Mit ergänzender präpositionaler Bestimmung sagt man da zu Lande. Zwei korrespondierende da können sich gegensätzlich gegenüberstehen (wie derder): da ist Mangel, da ist Überfluß; mit Variation dadort. Da und da meint ›an Orten, die man nicht näher bezeichnen will‹ (s. der und der); auch hierfür da und dort. Über hier und da ↑ "hier". Die Richtung woher wird durch von da bezeichnet (vgl. "dannen"). Vgl. ferner "daher", "dahin". Aus dem lokalen und demonstrativen der umgangssprachliche Gebrauch als ⇓ "S209" Sprechhandlungspartikel bei der Übergabe eines Gegenstandes: Jud. Zwee Grosche. Woyzeck. Da! Geht ab. Jud. Da! Als ob's nichts wär. Und s'is doch Geld (A030 Georg Büchner, Woyzeck 180); Übrigens vollzog die Rückgabe sich in den einfachsten Formen, was aber ganz nach Hans Castorps Sinne war… abgestumpft und verwöhnt, wie er war, durch den intimen Verkehr mit Hippe. »Da«, sagte er. »Danke sehr.« (Th.A183 Thomas Mann, Zauberberg 174); gelegentlich beim Austeilen von Prügel oder bei demonstrativer Zerstörung eines Gegenstandes aus Wut: Ruprecht: Du Schweinetier? Helmuth: Galgenvogel!! Ruprecht (schlägt ihn ins Gesicht): Da!(1891 A273 Frank Wedekind, Frühlings Erwachen 3,4); Jenny. Und ich gehe auch nicht mehr in Stellung! Ich hab's satt. Da! (Sie zerreißt die Bücher und wirft sie auf die Erde). Da! (O.E.A108 Otto Erich Hartleben, Ausgewählte Werke III,170); auch verkürzt für Da haben wir's im Sinne von ›nun ist das Befürchtete tatsächlich passiert‹: Da, jetzt sitzt es fest! (A082 Christian Dietrich Grabbe, Scherz 1,4); da! es regnet (L059 DWb); Nachdem er am Eßtisch schon Platz genommen, sagte er bestürzt und ärgerlich, indem er sich mit beiden Händen betastete: »Da, ich habe mein Taschentuch vergessen!… « (Th.A183 Thomas Mann, Zauberberg 205); Rums! Da! Weg ist er. Reingesprungen. Stand zu dicht am Wasser. Hat ihn wohl untergekriegt (A019 Wolfgang Borchert, Draußen 103); frühneuhochdeutsch reduplizierend auch ⇓ "S057" Empfindungswort (L200 Josua Maaler 1561), als Ausruf der Freude und Begeisterung: Da da / da hast du es da! (L308 Kaspar Stieler 1691); da da! Da da / das sehen wir gerne(ebenda); in abgeschwächter Bedeutung zur Verstärkung der verneinten Antwort auf eine Frage nichts da: darf ich diese blume brechen? nichts da. ja wol, wenn man in den büchern gott und natur finden könnte, aber nichts da, die finden sich drauszen (Steffen; L059 DWb); zusammengesetzt in heda (↑ "he"). Indem sich da auf einen Ort bezieht, den der Sprechende und der Angeredete schon vorher im Sinn haben, büßt es von seiner demonstrativen Natur ein und wird Ausdruck dafür, daß etwas anwesend, zur Hand ist, vgl. Karl ist noch unterwegs, Fritz ist schon da; alle Eingeladenen sind schon da; es ist ein Brief für dich da; bleibe doch noch ein wenig da; er hat seinen Mantel dagelassen. In er steht da wie ein armer Sünder, er sitzt, liegt müßig da u.dgl. drückt da nur aus, daß sich etwas dem Gesicht darstellt. In wozu ist er da (auf der Welt), das ist noch nicht dagewesen usw. wird da zum Ausdruck dafür, daß etwas überhaupt vorhanden ist, vgl. "Dasein". – In den oben erwähnten droben, drunten usw. kommt nur noch der zweite Bestandteil zu entschiedener Geltung, weshalb man auch da droben usw. sagen kann. – Auf nicht räumliche Verhältnisse übertragen erscheint daim Sinne von ›unter solchen Umständen‹, vgl. Sie kennen ihn nicht, o da kennen Sie einen großen Geist weniger (Lessing); ich bringe Gold statt Spezerein, da werd' ich überall willkommen sein (Goethe); du hast lange warten müssen, da kann man dir nicht verdenken, wenn du ungeduldig geworden bist. Hierher läßt sich wohl auch nichts da! ziehen. In der älteren Sprache wurde da häufig zur Einleitung einer Antwort verwendet; auch sonst zur Einleitung eines Satzes, wo wir jetzt nichts dergleichen gebrauchen würden, vgl. da komme ich von St.Veit (Goethe). – Schon althochdeutsch ist die Verwendung neben dem Relativpronomen, wie sie jetzt noch im höheren Stil üblich ist, vgl. allerlei Tier, das da lebet und webet (Luther), wer da hat, dem wird gegeben(Luther). Das, worauf verwiesen oder gezeigt werden kann, mag später als etwas Offensichtliches oder Bekanntes betrachtet worden sein, ⇓ "S002" daher schon seit mittelhochdeutscher Zeit auch ein Gebrauch als Abtönungspartikel ›Sprecher kennzeichnet das Gesagte als offensichtlich oder dem Hörer (normalerweise) bekannt‹, in Verbindung mit dem Relativpronomen: der da gern hört eer abschneiden, der schneidet eben als wol der, der da hinderredet (Keisersberg; L059 DWb); ich weis / das Messias kompt / der da Christus heist (A180 Martin Luther, Johannes 4,25); drei sind die da herschen auf erden(Goethe; L059 DWb); Denn wer da bittet / der empfehet / Vnd wer da suchet / der findet / Vnd wer da anklopfft / dem wird auffgethan(A180 Martin Luther, Matthäus 7,8); heute v. a. beim Erzählen im Gespräch: »Also ich ruf da im Soziologischen Institut an… «(D.A236 Dietrich Schwanitz, Campus 248).
1.3 Wie jedes Demonstrativpronomen wurde da auch relativ gebraucht bis ins 18. Jahrhundert, jetzt durch "wo" abgelöst, vgl. im Meer, da es am tiefsten ist(Luther), da ich bin, könnt ihr nicht hinkommen (Luther). – Hierher zu stellen, nicht unter (2), wird wohl auch zu der Zeit, da u.dgl. sein, wofür jetzt auch wo eingetreten ist, vgl. zu der Zeit, da der Herr mit Mose redete (Luther), bis auf den Tag, da ihr eurem Gott Opfer bringt (Luther), das letzte Mal, da ich Euch sah(Klinger), den schönen Morgen, da er ihn pflanzte(Goethe), bis den Augenblick, da mich Ihr Billet aus dem Schlafe weckt (Goethe), dies ist der Tag, da Tauris seiner Göttin dankt (Goethe), mir jetzt, da ich an ihn dachte, ganz beklommen war (A018 Heinrich Böll, Billard 368). – Goethe liebt es in seinen späteren Prosaschriften, da in dem Sinn ›unter welchen Umständen‹ zu verwenden, meist mit denn verbunden, vgl. er saß fast niemals, als wenn er seine Harfe nahm und darauf spielte; da er sie denn meistens mit Gesang begleitete. – Weiterhin ist da in kausalen Sinn übergegangen (seit dem 17. Jahrhundert) und hat sich so erhalten, vgl. da du nicht magst, mag ich auch nicht. – Im 18. Jahrhundert wird es auch gebraucht wie unser "indem", vgl. das Vergnügen, welches ich empfinde, da ich im Niederschreiben die Vergangenheit mir wieder näher bringe (Iffland). Ferner bei Gegensätzen, wo wir jetzt "während" verwenden, vgl. über diese findet sich der Verstand zurecht, da jene das Herz vergiften (Herder), wobei er sich sehr von den übrigen unterschied, indem er richtig accentuierte, da jene ihre Antworten in dem gewöhnlichen singenden Tone der Schulknaben herbeteten (Moritz), du machst mich gar zum Diebe, da du die Diebin bist (Goethe), die Berge sind hier meistens mit schönen Buchen bewachsen, da sie an der Mur fast durchweg mit Schwarzwald bedeckt sind (Seume), hier könnt ich meine Seele von mir hauchen, so mild und leise wie das Wiegenkind… , da fern von dir, ich rasend toben würde (A.W.Schlegel). Noch jetzt üblich da doch, mit Trennung bei Goethe: er wolle ihm eine reiche Frau geben, da einem wohldenkenden Manne doch nur mit einer haushältischen gedient sei.
1.4 Schon althochdeutsch wird darmit den Adverbien verbunden, die zugleich Präpositionen sind, und diese Verbindungen vertreten die Stelle der Präposition mit einem Kasus des Demonstrativpronomens, auf einen Satz oder einen Gedanken bezogen (vgl. oberdeutsch zu dem wie "dazu"). Ursprünglich ist die Verbindung nicht so eng, daß nicht andere Wörter dazwischen geschoben werden könnten; so noch häufig bei Luther, vgl. da soll es bei bleiben, da lässet er einen andern für sorgen; auch später: da habt ihr kein Recht zu(Wieland), da behüte mich Gott vor (Goethe) und noch jetzt landschaftlich umgangssprachlich, besonders redensartlich da sei Gott vor. Bei solcher Trennung fällt auf daimmer ein starker Ton. Dagegen bei enger Verbindung kann entweder der erste oder der zweite Bestandteil den stärkeren Ton haben. Im letzteren Fall vertritt da nicht mehr einen Kasus von das, sondern vielmehr von ↑ "es". Man kann z. B. auf die Frage wird er kommen? antworten ich glaube es oder ich zweifle darán; man kann sagen ich verlange es oder ich bestehe daráuf, daß er bezahlt. Entsprechend verhält es sich auch mit "daher", "dahin". – Der Bezug des da in diesen Verbindungen auf ein einzelnes Nomen wird von den Grammatikern meist verpönt, läßt sich aber seit der mittelhochdeutschen Zeit massenhaft belegen, vgl. die Mauer und was daran war (Luther), die Erde ist des Herrn, und was darinnen ist, der Erdboden, und was darauf wohnet (Luther), nur Gold zu Hauf! wir legen unsere Klauen drauf (Goethe), ich will die Erklärung schreiben: nur versprechen Sie mir, nicht eher Gebrauch davon zu machen (Goethe), ich habe eine Speise, da wisset ihr nicht von (Luther). Dieser Gebrauch ist durchaus üblich und nicht zu vermeiden, wenn man nicht das schwerfällige "derselbe" setzen will. Wider den Sprachgebrauch ist es allerdings, wenn Goethe daran in zeitlichem Sinn verwendet: ich danke dir für die stille Feier meines Geburtstages; wir haben daran getanzt. – Auch auf ein vorhergehendes Relativpronomen kann ein solches da zurückweisen, vgl. was ich früher sehnlich gewünscht habe, danach verlangt mich jetzt nicht mehr. Dagegen ist es eine seltene Freiheit, umgekehrt das Relativpronomen sich auf ein vorhergehendes dabeziehen zu lassen, vgl. daß ich ohne Freude dabei sein kann, was mich sonst in den Himmel gehoben haben würde (Goethe). – Auch diese Verbindungen wurden relativ gebraucht, zuweilen auch getrennt und gleichfalls häufig auch auf ein einzelnes Nomen bezogen, sind jetzt aber durch woran, wobei usw. ersetzt, vgl. ein Weib, da der Mann keine Freude an hat (Luther), jetzt habe ich etwas vor, daran ich viel lerne (Goethe), den Berg, da du auf wohnest(Luther), das Land, daraus du uns geführet hast (Luther), das Land, dadurch wir gegangen sind (Luther), ich bin nicht der, dafür ihr mich haltet (Luther), Canaan, darein ich euch führen will(Luther), eine Klage, dagegen ich verstummen muß(Schiller), einen Spiegel, darin ich das Ende meiner Verrätereien erkennen soll (Goethe), der traurigen Situation, darein Sie geraten müssen (Iffland), das Brot, damit ich euch gespeist habe (Luther), das Erbe, darnach man zuerst eilet(Luther), ein Gespräch, darüber es Nacht wurde(Schiller), die Sache, darum ihr hier seid (Luther), bis du wieder zur Erden werdest, davon du genommen bist (Luther), etwas, davon ich mir selbst die Ursache nicht angeben konnte (Wieland), über den Eichen, da ihr Lust zu habt (Luther).
2 Zeitliches da, ahd. / mhd. do, spätmhd. da (entspricht wohl gotisch þo, Akkusativ Singular Fem. des Artikels, nach dem eine substantivische Zeitbestimmung ausgefallen ist; vgl. W.L244 Wolfgang Pfeifer, anders L113 Rolf Hiersche), weist ursprünglich auf einen Punkt der Vergangenheit und bildet den Gegensatz zu "jetzt" (mhd. nu). Jetzt aber wird, wo ein Gegensatz, sei es zu der Gegenwart oder zu einem anderen Punkt der Vergangenheit ausgedrückt werden soll, "damals", altertümelnd "dazumal" angewendet. Nur von da an ist noch allgemein üblich. Als Wiederaufnahme einer Zeitbestimmung erscheint es zuweilen, vgl. so vor zwanzig Jahren… da war ich gefährlich (Lessing); Lessing gebraucht auch wie dawie mhd. wie do statt des jetzigen wie dann. In allgemeiner Verwendung ist dageblieben als Verknüpfungsmittel in der Erzählung, vgl. Vnd jederman gieng… Da machet sich auff auch Joseph (A180 Martin Luther, Lukas 2,4). Auch temporales dawurde relativ gebraucht statt unseres jetzigen 1"als", welches schon bei Luther damit konkurriert, vgl. da die Engel von ihnen gen Himmel fuhren, sprachen die Hirten (A180 Martin Luther, Lukas 2,15); häufig noch bei Goethe und Schiller, auch jetzt zuweilen im Anschluß an die Bibelsprache gebraucht, aber aus der lebenden Sprache verschwunden; mit einem Präsens, durch den Parallelismus veranlaßt: ach, da ich irrte, hatt' ich viel Gespielen, da ich dich kenne, bin ich fast allein (Goethe); doch auch sonst zuweilen: Sie entfernen sich, da ich komme (F.L.Schröder).
3 Auch vom temporalen, relativ gebrauchten dakonnte die Entwicklung zur kausalen Konjunktion (s. o. [1.3]) erfolgen, vgl. "weil"(2); kausales da ist im wesentlichen auf die Schriftsprache beschränkt. Vgl. L012 Otto Behaghel, Syntax 3,92ff.,341.
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