Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
Bürger
ahd. burgari, mhd. bürgære, burgære zu "Burg"; ursprünglich1 ›Burg-, Stadtbewohner‹: die burgære von der stat(Nibelungenlied; L059 DWb); bezogen auf den Staatsbürger unter Einfluß des lat. civis, bei dem die Veränderung des Begriffs sich aus gesellschaftlichen Veränderungen ergab, so zuerst in der Bibelübersetzung: stritten wider euch die bürger von Jericho (A180 Martin Luther, Josua 24,11); ⇑ "ausbürgern", "einbürgern";
2 ⇓ "S175" als »dritter Stand eines Staates, im Gegensatze der Adeligen und Geistlichen« (L003 Johann Christoph Adelung 1774); mit den Auswirkungen der Französischen Revolution und vor dem Hintergrund der Spätaufklärung zunehmende Festigung des Begriffs im späteren 18. Jahrhundert: Derjenige, welcher das Stimmrecht in dieser Gesetzgebung hat, heißt ein Bürger… Die dazu erforderliche Qualität ist… ein Eigentum… welches ihn ernährt (I.A153 Immanuel Kant, AA 8,295f.); spezifische Merkmale literarisch gedeutet: Arbeit ist des Bürgers Zierde (A222 Friedrich Schiller, Glocke); Wo kam die schönste Bildung her, / Und wenn sie nicht vom Bürger wär'? (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Zahme Xenien IX,928); um 1840 als Klassenbegriff konkurrierend mit Bourgeois (↑ "Bourgeoisie"; vgl. L086 GG1,713ff.);
3 dann zunehmende Verallgemeinerung, die mit der Gesetzgebung der Weimarer Verfassung ihren heutigen Stand erreicht hat im Sinne von ›Einwohner mit gesetzlichen Rechten (und Pflichten)‹: Bürger dieses Landes,
⊚ Bürger in Uniform ›Soldat‹ (1967 Der Spiegel, Nr. 43,40); so auch in Zusammensetzungen: ⇓ "S149" ⇓ "S175" Bürgerinitiative (L056 Duden 171973), bürgernah (L322 UWb), ↑ "Spießbürger";
4 übertragen ›Angehöriger‹ seit dem 17. Jahrhundert: burger des meers, lufts und der erden(Weckherlin; L059 DWb), dazu ⇑ "Mitbürger", "Weltbürger"; Erdenbürger (W.Meschke, Das Wort Bürger, 1952; ferner L001 ABG34,225ff.)
Bürgerkrieg ⇓ "S124" Lehnübersetzung des 17. Jahrhunderts nach bellum civile;
Bürgermeister 13. Jahrhundert, Nebenform Burgemeister, Bürgemeister (vgl. zur Form E.Schröder, L355 ZDA24,22); ›Oberhaupt einer Gemeinde‹: zum bürgermeister seiner vaterstadt erhoben (Goethe; L059 DWb), der regierende Bürgermeister von Berlin (vgl. L097 GWb), (L046 DRWb2,603,631);
Bürgerpflicht (L308 Kaspar Stieler) 1806 in Ruhe ist die erste Bürgerpflichtzum ⇓ "S192" Schlagwort geworden durch v. Schulenburg-Kehnert nach der Schlacht bei Jena (vgl. L027 Büchmann 41989);
Bürgerschreck (19. Jahrhundert) ›jmd. , der durch von der bürgerlichen Norm abweichendes Verhalten provoziert‹: ein junger Bürger-Schreck (Freiligrath; L264 Daniel Sanders);
Bürgersteig um 1820 für franz. trottoir (L059 DWb), dafür besonders süddeutsch/ österreichisch auch Gehsteig, Gehweg, norddeutsch ↑ Fußweg; vgl. L066 Jürgen Eichhoff, Karte 30.
bürgerlich mhd. burgerlich; zunächst Bürger(1) folgend
1 auf den Stadtbewohner bezogen: Sich bürgerlich nehren, eine bürgerliche Tracht (L308 Kaspar Stieler);
2 als Standesbegriff ›adelig‹ und ›geistlich‹ entgegengesetzt: der stolz und steif und bürgerlich / im schmausen keinem fürsten wich (Hagedorn; L059 DWb), dazu auch seit 1783 bürgerliches Trauerspiel: Kabale und Liebe. Ein bürgerliches Trauerspiel, die Sache bereits 1755 mit Lessings ›Miss Sara Sampson‹; bürgerliche Sitten (L308 Kaspar Stieler) auch abwertend »von feinen Sitten entfernt« (L003 Johann Christoph Adelung 1774), pejorativ weiterentwickelt im Sinne von ›spießig‹: bürgerliche spieszbürger (Jean Paul; L059 DWb), so dann auch seit Mitte des 19. Jahrhunderts Gegensatz zu "marxistisch"; allgemein
3 auf das Staats-, Gesellschaftsmitglied bezogen unter Einfluß von lat. civilis: Die bürgerliche Gesellschaft »da sich viele dem Willen Eines unterworfen haben« (L004 Johann Christoph Adelung), Bürgerliche Gesetze »wonach man im gemeinen Leben seine Handlungen einzurichten hat« (L004 Johann Christoph Adelung), Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) seit dem 1.1.1900 (vgl. L124 HRG), im bürgerlichen Leben z. B. der Lebensform des Künstlers, Soldaten entgegengesetzt, bürgerlicher Name Gegensatz von Künstlername;
Bürgertum ⇓ "S124" Lehnübersetzung von franz. bourgeoisie; fester Begriff erst seit ⇓ "S032" Fichte: Die Menschheit sondert sich ab vom Bürgertum, um mit absoluter Freiheit sich zur Moralität zu erheben(1796 J.G.A058 Johann Gottlieb Fichte, Naturrecht; Werke 3,206), als Stand mit eigener Lebensform: dem Besten des neuen Bürgertums, der Gleichheitsliebe, der Prunklosigkeit und der Ehrlichkeit (A118 Heinrich Heine, Französische Zustände Art. II, Paris 19.1.1832);
Bürgerschaft(mhd. ) ⇓ "S113" ›Gesamtheit der Bürger (einer Stadt)‹, in norddeutschen Hansestädten noch heute auch ›Stadtparlament‹ ⇓ "S083" Hamburger Bürgerschaft.
2 ⇓ "S175" als »dritter Stand eines Staates, im Gegensatze der Adeligen und Geistlichen« (L003 Johann Christoph Adelung 1774); mit den Auswirkungen der Französischen Revolution und vor dem Hintergrund der Spätaufklärung zunehmende Festigung des Begriffs im späteren 18. Jahrhundert: Derjenige, welcher das Stimmrecht in dieser Gesetzgebung hat, heißt ein Bürger… Die dazu erforderliche Qualität ist… ein Eigentum… welches ihn ernährt (I.A153 Immanuel Kant, AA 8,295f.); spezifische Merkmale literarisch gedeutet: Arbeit ist des Bürgers Zierde (A222 Friedrich Schiller, Glocke); Wo kam die schönste Bildung her, / Und wenn sie nicht vom Bürger wär'? (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Zahme Xenien IX,928); um 1840 als Klassenbegriff konkurrierend mit Bourgeois (↑ "Bourgeoisie"; vgl. L086 GG1,713ff.);
3 dann zunehmende Verallgemeinerung, die mit der Gesetzgebung der Weimarer Verfassung ihren heutigen Stand erreicht hat im Sinne von ›Einwohner mit gesetzlichen Rechten (und Pflichten)‹: Bürger dieses Landes,
⊚ Bürger in Uniform ›Soldat‹ (1967 Der Spiegel, Nr. 43,40); so auch in Zusammensetzungen: ⇓ "S149" ⇓ "S175" Bürgerinitiative (L056 Duden 171973), bürgernah (L322 UWb), ↑ "Spießbürger";
4 übertragen ›Angehöriger‹ seit dem 17. Jahrhundert: burger des meers, lufts und der erden(Weckherlin; L059 DWb), dazu ⇑ "Mitbürger", "Weltbürger"; Erdenbürger (W.Meschke, Das Wort Bürger, 1952; ferner L001 ABG34,225ff.)
Bürgerkrieg ⇓ "S124" Lehnübersetzung des 17. Jahrhunderts nach bellum civile;
Bürgermeister 13. Jahrhundert, Nebenform Burgemeister, Bürgemeister (vgl. zur Form E.Schröder, L355 ZDA24,22); ›Oberhaupt einer Gemeinde‹: zum bürgermeister seiner vaterstadt erhoben (Goethe; L059 DWb), der regierende Bürgermeister von Berlin (vgl. L097 GWb), (L046 DRWb2,603,631);
Bürgerpflicht (L308 Kaspar Stieler) 1806 in Ruhe ist die erste Bürgerpflichtzum ⇓ "S192" Schlagwort geworden durch v. Schulenburg-Kehnert nach der Schlacht bei Jena (vgl. L027 Büchmann 41989);
Bürgerschreck (19. Jahrhundert) ›jmd. , der durch von der bürgerlichen Norm abweichendes Verhalten provoziert‹: ein junger Bürger-Schreck (Freiligrath; L264 Daniel Sanders);
Bürgersteig um 1820 für franz. trottoir (L059 DWb), dafür besonders süddeutsch/ österreichisch auch Gehsteig, Gehweg, norddeutsch ↑ Fußweg; vgl. L066 Jürgen Eichhoff, Karte 30.
bürgerlich mhd. burgerlich; zunächst Bürger(1) folgend
1 auf den Stadtbewohner bezogen: Sich bürgerlich nehren, eine bürgerliche Tracht (L308 Kaspar Stieler);
2 als Standesbegriff ›adelig‹ und ›geistlich‹ entgegengesetzt: der stolz und steif und bürgerlich / im schmausen keinem fürsten wich (Hagedorn; L059 DWb), dazu auch seit 1783 bürgerliches Trauerspiel: Kabale und Liebe. Ein bürgerliches Trauerspiel, die Sache bereits 1755 mit Lessings ›Miss Sara Sampson‹; bürgerliche Sitten (L308 Kaspar Stieler) auch abwertend »von feinen Sitten entfernt« (L003 Johann Christoph Adelung 1774), pejorativ weiterentwickelt im Sinne von ›spießig‹: bürgerliche spieszbürger (Jean Paul; L059 DWb), so dann auch seit Mitte des 19. Jahrhunderts Gegensatz zu "marxistisch"; allgemein
3 auf das Staats-, Gesellschaftsmitglied bezogen unter Einfluß von lat. civilis: Die bürgerliche Gesellschaft »da sich viele dem Willen Eines unterworfen haben« (L004 Johann Christoph Adelung), Bürgerliche Gesetze »wonach man im gemeinen Leben seine Handlungen einzurichten hat« (L004 Johann Christoph Adelung), Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) seit dem 1.1.1900 (vgl. L124 HRG), im bürgerlichen Leben z. B. der Lebensform des Künstlers, Soldaten entgegengesetzt, bürgerlicher Name Gegensatz von Künstlername;
Bürgertum ⇓ "S124" Lehnübersetzung von franz. bourgeoisie; fester Begriff erst seit ⇓ "S032" Fichte: Die Menschheit sondert sich ab vom Bürgertum, um mit absoluter Freiheit sich zur Moralität zu erheben(1796 J.G.A058 Johann Gottlieb Fichte, Naturrecht; Werke 3,206), als Stand mit eigener Lebensform: dem Besten des neuen Bürgertums, der Gleichheitsliebe, der Prunklosigkeit und der Ehrlichkeit (A118 Heinrich Heine, Französische Zustände Art. II, Paris 19.1.1832);
Bürgerschaft(mhd. ) ⇓ "S113" ›Gesamtheit der Bürger (einer Stadt)‹, in norddeutschen Hansestädten noch heute auch ›Stadtparlament‹ ⇓ "S083" Hamburger Bürgerschaft.