Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
Brief
ahd. briaf< lat. brevis (libellus) ›kurzes Schreiben‹.1 Ursprünglich ein offizielles Schriftstück, besonders ›Urkunde‹, noch erhalten in ⇓ "S243"
Brief und Siegel (14. Jahrhundert) und in Zusammensetzungen (meist 14./ 15. Jahrhundert) wie Adelsbrief, Frachtbrief, Kaufbrief, Lehnsbrief, Meisterbrief, Schuldbrief, Wechselbrief, "Freibrief", "Steckbrief"; dazu auch blauer Brief (↑ "blau"); offener Brieföffentliche Urkunde‹ (13. Jahrhundert), seit dem 19. Jahrhundert »Kundgebung eines einzelnen« (L320 Trübner) in Briefform, die öffentlich, z. B. in Zeitungen, verbreitet wird, v. a. mit politischem Inhalt: »An die Mörder unseres Bruders« / Die Brüder des ermordeten Gerold von Braunmühl schreiben einen offenen Brief an die RAF (1986 TAZ, 7.11.). Vgl. L046 DRWb2,499ff. ↑ "verbriefen".
2.1an einen bestimmten Adressaten gerichtete schriftliche Mitteilung‹ (zur Abgrenzung von (1) früher Sendbrief); das Postulat des natürlichen Tons bei A066 Christian Fürchtegott Gellert: Das erste, was uns bey einem Briefe einfällt, ist dieses, daß er die Stelle eines Gesprächs vertritt… Er ist die freye Nachahmung eines guten Gesprächs (Praktische Abhandlung 2); »kurzer schriftlicher Vortrag« (L004 Johann Christoph Adelung), vgl. Aber ich bemerke, daß ich anstatt eines Briefes eine Abhandlung zu schreiben im Begriff bin (A222 Friedrich Schiller an Goethe, 23.8.1794); gewöhnlich (im Briefkopf) adressiert und datiert: Mir ist für meinen Brief im Kopf keine reale Adresse eingefallen, also habe ich einige Schimpfwörter ausgestoßen (Ch.A286 Christa Wolf, Störfall 113); dazu Abschiedsbrief, Bittbrief (L105 Georg Henisch), "Liebesbrief" (Zesen), neu "Leserbrief" »an die Redaktion einer Zeitung, an einen Autor« (L097 GWb);
2.2 literarisch-philosophische Gattung, gewöhnlich als thematische Sammlung, z. B. A121 Johann Gottfried Herder, Briefe zu Beförderung der Humanität (1793ff.); A222 Friedrich Schiller Ueber die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen; A130 Hugo von Hofmannsthals Chandosbrief (1902 ›Ein Brief‹).
2.3 Als Typ des Gelehrtenbriefs in wissenschaftlicher Korrespondenz, besonders im 19. Jahrhundert (mit Vorläufern im 18. Jahrhundert): heute morgen empfing ich Ihren brief vom 26. vorigen monats und antworte ungesäumt darauf, da ich etwas Ihnen vielleicht entgangnes über Berthold von Holle mitzutheilen habe (J.Grimm an K.Bartsch, 10.11.1857). Vgl. L139 HWbRhet.
3 Meist als Diminutiv Briefchen »ein zusammen gelegtes Blatt Papier, worin die Steck- und Haarnadeln gesteckt und so im Einzelnen verkauft werden« (L004 Johann Christoph Adelung), dann überhaupt zum Verpacken »kleine[r] Gegenstände in größerer Zahl« (L097 GWb). Zusammensetzungen zu Brief(2):
Brieffreund »anfänglich persönlich nicht bekannter Briefpartner, mit dem man regelmäßig korrespondiert« (L097 GWb);
Briefgedicht »eine Art Gedichte, welche die Form eines Briefes hat, oder ein Brief, der in Versen abgefaßt ist« (L033 Joachim Heinrich Campe);
Briefgeheimnis (L059 DWb 1860);
Briefkasten, ⇓ "S155" zuerst bei A075 Johann Wolfgang von Goethe (Campagne 33,148,23) Briefkästchen, ›öffentlicher Briefkasten‹, seit 1824 ›Postbriefkasten‹;
Briefkopf (L218 Muret/ Sanders);
Briefmarke »zum Freimachen der Briefe« (L109 Moriz Heyne), davor Frankomarke (G.Keller);
Briefroman (19. Jahrhundert, vgl. L081 FWbs. v. Roman) mit einem (Goethe, Werther; Hölderlin, Hyperion) oder mehreren Schreibern (Sophie von La Roche, Geschichte des Fräulein von Sternheim): Als die Zivilisation fortschritt, und man ›die Post‹ erfand, wurde hier die nächstraffiniertere Technik möglich, der ›Briefroman‹ (A.A226 Arno Schmidt, Trommler 270);
Briefsteller
1 noch bei J. L.L078 Johann Leonhard Frisch 1741 »der Briefe aufsetzt«,
2 »ein Buch, in welchem Muster oder Formulare zu Briefen enthalten sind« (L004 Johann Christoph Adelung), im Titel zuerst bei A.Bohse (Talander): Der allzeitfertige Brieffsteller (1690), vgl. L139 HWbRhet;
Briefstil »diejenige mittlere Art des Styles, deren man sich in Briefen bedient« (L004 Johann Christoph Adelung);
Brieftasche zunächst ›Tasche oder Mappe (»in Gestalt eines Buches« L033 Joachim Heinrich Campe) für Briefe u. a. Papiere oder Utensilien‹, dann eingeengt auf ›Portemonnaie‹ (zunächst für Geldscheine, vgl. L092 GoeWb), heute besonders österreichisch, ↑ "Portemonnaie";
Brieftaube (L033 Joachim Heinrich Campe), vorher Posttaube (16. Jahrhundert);
Briefträger (brieftragerGerichtsbote‹ 14. Jahrhundert) »in engerer Bedeutung, ein Postdiener« (L033 Joachim Heinrich Campe);
Briefwahl"S149" (neu) »briefliche Stimmabgabe bei Wahlen« (L097 GWb);
Briefwechsel 1644 als Verdeutschung von "Korrespondenz" bei ⇓ "S071" Harsdörffer;
brieflich (ahd. ) ›schriftlich‹ als Form der Mitteilung;
Briefschaft es ist unter seinen Briefschaften gefunden worden (L169 Matthias Kramer).  L257 3RL; G.Steinhausen, Geschichte des deutschen Briefes. 2 Bde. 1889/ 91, Nachdruck 1968.
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