Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
bleiben
ahd. biliban, mhd. b(e)liben, mit bi-Präfix zu einem untergegangenen germanischen Simplex, verwandt "Leib", "Leben". Weil es schließlich als einfaches Wort empfunden wurde, ist statt des älteren Partizips blieben (fest noch im 17. Jahrhundert) geblieben eingetreten; mit neuer Präfigierung ↑ "verbleiben". Als Bewirkungswort zu bleiben fungiert "lassen". Wir denken jetzt bei bleiben zunächst an das Verharren in einem schon bestehenden Verhältnis. Es bezeichnet ursprünglich aber auch das Ergebnis eines Vorgangs, weshalb auch das Partizip mit seinumschrieben wird. Die Reste dieser Verwendungsweise werden im folgenden gezeigt. Es kann sich auf räumliche Verhältnisse beziehen: er bleibt (drei Tage) in Berlin; bleibe bei uns; es blieb kein Stein auf dem andern; veraltet hier ist meines Bleibens nicht. Der Ort braucht nicht angegeben zu sein, sondern kann aus dem Kontext verstanden werden (bleib noch ein wenig), wobei dann "gehen" den Gegensatz bilden kann: soll ich bleiben oder gehen? Verbindungen, die zunächst räumlich sind, können übertragen gebraucht werden, vgl. das bleibt unter uns (›wird niemandem sonst mitgeteilt‹). Weiterhin werden Zustands- und Vorgangsbezeichnungen mit Präpositionen angeknüpft: so ihr bleiben werdet an meiner Rede (Luther); bleib auf deinem Sinn (Goethe); das muß aus dem Spiele bleiben; er bleibt bei seiner Meinung, Behauptung, bei der Wahrheit u. dgl.; es blieb bei bloßen Vermutungen, bei ihrer Verabredung u. dgl.; es bleibt hinter den Erwartungen zurück; in Gang, in Bewegung, in einer Lage, einem Zustand, unter jmds. Aufsicht, Schutz bleiben; ohne Frucht, Wirkung bleiben. Vgl. ferner sie bleibt darauf, ihr soll der Tod willkomm'ner sein(Wieland); ich bleibe darauf, sie soll Königin von meinen Schlössern werden (Goethe); er bleibt dabei, daß er uns gesehen hat; es bleibt dabei, daß wir uns morgen treffen.Eine Spezialisierung des räumlichen bleiben ist ›im Kampfe fallen‹ (eigentlich ›den Kampfplatz nicht verlassen‹), genauer auf dem Platze bleiben, auch auf der Stelle bleiben (Goethe). Mit dem Infinitiv von Verben, die eine Ruhelage bezeichnen, wird bleiben verbunden. Es kann dadurch einerseits das Verharren in der betreffenden Ruhelage ausgedrückt werden, in der sich also das Subjekt schon vorher befunden hat, so immer bei sitzen bleiben, liegen bleiben. Dann entsprechen Verbindungen mit lassen. Es kann andererseits auch das Geraten in die betreffende Ruhelage aus einem Zustande der Bewegung ausgedrückt werden. Beides kann sein bei stehen bleiben, welches einerseits Gegensatz zu sich setzen, sich legen, umfallen oder zu fortgehen usw. sein, andererseits ein Haltmachen mit einer Bewegung bezeichnen kann; ähnlich verhalten sich stecken bleiben, hängen bleiben, kleben bleiben, haften bleiben.Poetisch ist schweben bleiben (Klopstock, Goethe), halten bleiben (Goethe). Diese Ausdrücke können auf Unräumliches übertragen werden, vgl. er ist in seiner Entwicklung stehengeblieben; von diesen Lehren ist nichts bei ihm hängengeblieben. Von anderen Verben werden lebenund bestehen so mit bleiben verbunden (leben bleiben, bestehen bleiben); poetisch ist grünen bleiben (Schiller). ⇓ "S073" Indem bleiben auch auf das Verharren in einem Zustande bezogen wird, kann es sogar wie sein und werden mit einem prädikativen Substantiv oder Adjektiv verbunden werden und nähert sich so dem Charakter eines Hilfsverbs: er bleibt Soldat, fest; das Tor bleibt verschlossen; das wird nicht unbemerkt bleiben. Dabei kann durch bleiben auch ausgedrückt werden, daß durch einen Umstand nichts an einem Verhältnisse geändert wird, vgl. bei allen seinen Fehlern bleibt er doch ein bedeutender Mensch; wenn er mich auch schwer gekränkt hat, bleibt er doch immer mein Bruder. Ein anderes Verhältnis besteht bei übrig bleiben, indem übrig nicht einen Zustand bezeichnet, in dem man sich schon vorher befunden hat, sondern einen, in den man erst gerät; es ist also = ›als übrig bleiben‹, s. unten. Entsprechend verhält es sich mit dem von Luther gebrauchten tot bleiben (auf dem Schlachtfelde), s. oben. Für sich stehendes bleiben kann den Gegensatz zu verändert, zerstört werden ausdrücken, vgl. der Herr aber bleibt ewiglich (Luther). Besonders wird so das Partizip bleibend gebraucht. Das Bleibende kann in Gegensatz zu etwas sich Entfernendem gestellt werden, vgl. er blieb, als alle anderen gingen. Daraus ergeben sich besondere Schattierungen der Bedeutung. Hierher gehört zunächst bleiben mit Dativ, ursprünglich von einem Besitz: ihm bleibt sein Haus, ein Vermögen von Mark (während das übrige verloren gegangen ist), noch ein Sohn; ferner von Zuständen: ihm bleibt die Hoffnung, der Trost, das Bewußtsein usw.; auch ihm bleibt nichts, als sich aufzuhängen (gewöhnlicher bleibt übrig); auch ohne Dativ es bleibt (ihm) noch viel zu tun. Vgl. ferner zwei von fünf, bleibt drei.Wenn man fragt wo ist der Mann (das Geld usw.) geblieben?, so ist dabei zunächst die Voraussetzung, daß der Betreffende zurückgeblieben ist, während man sich selbst entfernt hat; indem aber die Vorstellung des unbemerkt Verschwundenseins in den Vordergrund tritt, wird eine derartige Frage verwendet, wo vielmehr der Vermißte sich entfernt hat. Schon im Mittelhochdeutschen kann bleiben den Sinn von "unterbleiben" haben. Die Vorstellung, durch die dieser Gebrauch mit der ursprünglichen Bedeutung vermittelt wird, ist wohl, daß eine Sache bleibt, wie sie ist, daß nichts damit geschieht, vgl. "lassen" im Sinne von "unterlassen". Jetzt ist diese Verwendung von einfachem bleiben teilweise wieder unüblich geworden, doch sagt man noch das kann bis morgen bleiben u. dgl. und allgemein etwas bleiben lassen. Wenn man jemanden erwartet, sagt man er bleibt lange. Ursprünglich muß das verstanden worden sein als ›an dem Orte, wo er sich jetzt befindet‹. Man schließt dann aber auch die Zeit mit ein, die er zu dem Wege braucht, den er zurückzulegen hat, wie bei "ausbleiben", so daß er bleibt lange soviel ist als ›es dauert lange, bis er kommt‹. Die Frage wo bleibt er? kann verwendet werden, ohne daß man darauf eine dem Wortlaut ensprechende Antwort erwartet, vielmehr = warum kommt er (noch) nicht? – ⇑ "ausbleiben", "überbleiben", "unterbleiben", "verbleiben", "Hinterbliebener". D.Rosenthal: Studien zu Syntax und Semantik des Verbs bleiben unter besonderer Berücksichtigung des Niederdeutschen und Niederländischen, 1984. DazuBleibe (L269 Daniel Sanders/ L269 J. Ernst Wülfing 1909) noch selten für älteres Bleibeort, Bleibestätte, besonders in der Jugendbewegung: Alles löst sich in Wohlgefallen auf, scheint's. Man zieht zur Bleibe (1920; A157 Werner Kindt 91).
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