Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
Bild
ahd. bilidi, mhd. bilde; nur westgermanisches Wort (nicht englisch), etymologisch bisher nicht sicher erklärt (A.Wolf, Sprakvetensk. Sällsk. Förh. 1928/ 30; L239 PBB66,291ff.; W.Foerste, Bild, in: Festschrift J.Trier, 112ff.), vgl. "billig", "Unbill", "Weichbild"; vielleicht ursprünglich mit magischer Bedeutung soviel wie ›Wunderzeichen‹, dann wohl ›Entsprechendes, Gehöriges‹ und weiter ›entsprechend Geformtes, Gestaltetes‹, also1Gebilde‹: Vnd Gott sprach / Lasst vns Menschen machen / ein Bild / das vns gleich sey (A180 Martin Luther,1.Mose 1,26), kein schöner Bild sah ich in meinem Leben (Goethe), kein lebendig Bild (Schiller), dazu "Mannsbild" (›männliches Wesen‹), "Weibsbild" früher nicht abwertend, poetisch Frauenbild;
2 insbesondere ›von Menschenhand nach Analogie der natürlichen Gebilde Geformtes‹, ursprünglich vor allem Werke der Bildhauerkunst und der Gießerei: gegossene Bilder, Götzenbilder häufig bei Luther – dazu Bilderstürmer (bei Luther Bildestürmer; vgl. L059 DWb), übertragen er war wechselnd der anbeter und bilderstürmer der etiquette (Jean Paul; L059 DWb) -, deinem Bilde von Marmor (Goethe), Wo ein verschleiert Bild… / Dem Jüngling in die Augen fiel (A222 Friedrich Schiller, Das verschleierte Bild zu Sais), so in Erzbild, "Standbild", "Bildsäule", "Bildhauer", Bildschnitzer; erst in neuerer Zeit auf die Arbeit des Malers beschränkt; seit Mitte des 19. Jahrhunderts auch für Fotografien (↑ "Lichtbild"), daher
im Bild seinBescheid wissen‹ (österreichisch, L171 Paul Kretschmer 595), dazu Bildband, Bilddokument, im Nationalsozialismus Bildbericht, Bildberichterstatter (↑ "erstatten"), Gruppenbild (19. Jahrhundert; L059 DWb), Gruppenbild mit Dame (Titel A018 Heinrich Böll); auch bewegte Bilder: als die Bilder laufen lernten; übertragen auf die sprachliche Darstellung: diese Beschreibung gibt ein deutliches Bild von der Sache, dazu Lebensbild, Stimmungsbild, Zeitbild; ferner für das nur in der Vorstellung Gestaltete: Bilder aus hellerer Zeit leuchtet ihr mir in die Nacht? (A131 Friedrich Hölderlin, Elegie), Erinnerungsbild, Phantasiebild, Traumbild, Schreckensbild, dazu sich ↑ "einbilden",
sich ein Bild von etwas machen (L109 Moriz Heyne) ›eine Vorstellung zu erhalten suchen‹;
3MusterAdam zeugete einen Sohn, der seinem Bilde ähnlich war (Luther), hier sitz' ich, forme Menschen nach meinem Bilde (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Prometheus), find' ich so den Menschen wieder, dem wir unser Bild geliehn (Schiller), ⇑ "Vorbild", "Urbild";
4Nachbildung von etwas anderem‹: Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde (Luther), "Ebenbild" (↑ "eben"), lebendes Bild: Ihr kommt Gebildetes allhier zu schauen, / Gebildet scheinbar, doch ein lebend Bild (L092 GoeWb),
5Aufstellung der Schauspieler auf der Bühne‹, dazu z. B. als Untertitel Localposse… in sechs Bildern (1841 Niebergall, Datterich);
6 als Verkörperung von etwas Abstraktem: die Lilie ist das Bild der UnschuldSinnbild‹, er ist ein Bild der Gesundheit;
7 seit dem 18. Jahrhundert (L109 Moriz Heyne) ›Metapher, Gleichnis‹: in Bildern reden; dazu bildlich (s. unten), Bildlichkeit, vgl. L139 HWbRhet 2,10ff.
BilderbogenDruckblatt mit Bilderfolgen‹ (17. Jahrhundert);
Bilderbuch (L308 Kaspar Stieler) »besonders in der Sprechart der Kinder« (L004 Johann Christoph Adelung);
Bilderrahmen (L033 Joachim Heinrich Campe);
BilderschriftHieroglyphen‹ seit J.Fischart 1575;
Bildersprache (L033 Joachim Heinrich Campe) »diejenige Art sich auszudrucken, bei der man sich… uneigentlicher bildlicher Ausdrücke bedient« (ebenda).
Bildfläche"S220" technisch in der Fotografie, ⇓ "S027" übertragen in
⊚⊚ auf der Bildfläche auftauchen/ erscheinensichtbar werden, vor Augen treten‹ bzw. von der Bildfläche verschwinden (2. Hälfte des 19. Jahrhunderts).
Bildhauer seit dem Ende des 15. Jahrhunderts, mhd. ein bilde houwen. Luther hat dafür Bildmacher, das auch J. L.L078 Johann Leonhard Frisch und L033 Joachim Heinrich Campe noch haben, aber auf Ton, Gips und Wachs beschränken.
Bildnis (ahd. ) früher allgemein wie Gebilde (s. unten), vgl. aufersteht ein Riesenbildnis (Goethe); für ein plastisches Abbild bei Luther: daß man ein Bildnis und Abgott machen soll; jetzt nur von einem Abbild auf einer Fläche: dies Bildnis ist bezaubernd schön (Schikaneder, Zauberflöte 1,4).
Bildsäule ursprünglich nur die Säule, auf die ein gehauenes oder gegossenes Bild gestellt wurde, schloß dann aber dieses selbst mit ein, ähnlich
Bildstock"S163" oberdeutsch ›geschnitztes Kruzifix oder Heiligenbild‹.
Bildschirm (L056 Duden 151961) des Fernsehapparates, des ⇓ "S043" PC (entsprechend engl. screen); dafür auch Monitor; Bildschirm zuvor schon für den "Schirm" des Bildwerfers. ⇓ "S228"
bildschön seit 1775 (Wieland, Platen), wohl ursprünglich auf Heiligenbilder bezogen, löst älteres engelschön ab;
bildhübsch Anfang des 19. Jahrhunderts (L320 Trübner).  
bildlich (ahd. )
1anschaulich, wahrnehmbar‹ (mhd. ),
2nicht wörtlich zu verstehen, übertragen‹: ein bildlicher Ausdruck (L004 Johann Christoph Adelung).
Gebilde (mhd. ) ⇓ "S148" von den Schriftstellern des 18. Jahrhunderts neu belebt, mit Bewahrung der allgemeineren Bedeutung von Bild(1), dabei enger an bilden angelehnt: Tand, Tand / Ist das Gebilde von Menschenhand (A060 Theodor Fontane, Die Brück' am Tay).
bilden ahd. bilidon, mhd. bilden; ›gestalten‹, sowohl von Gott oder der Natur – so bei A075 Johann Wolfgang von Goethe: ein junger Mensch,… reich und schön gebildet (Italienische Reise 22.2.88) – wie vom Künstler und Erzieher, hat im 18. Jahrhundert durch Wolff den Sinn des schöpferischen Gestaltens bekommen, den J. L.L078 Johann Leonhard Frisch 1741 noch nicht verzeichnet: Eines Herz, eines Gemüth bilden (L004 Johann Christoph Adelung). Da bei Naturprodukten gewöhnlich nicht an ein aktives Wesen gedacht wird, ist in bezug auf sie vorzugsweise reflexiv ›entstehen‹ in Gebrauch: Es bilden sich Krystalle, Wolken (L264 Daniel Sanders). Sehr verblaßt ist die sinnliche Bedeutung in Wendungen wie der Rhein bildete die Grenze Deutschlands; er bildete den Gegenstand ihrer Unterhaltung. Ursprünglich bezieht sich bildenimmer auf die sichtbare Gestalt, daher bildende Künste als Oberbegriff zu Malen, Bildhauerei u. dgl. (vgl. ›Des Herrn Pernety Handlexikon der Bildenden Künste‹, 1764), später im Singular. In neuerer Zeit ist unter mystisch-pietistischem Einfluß immer mehr der von der Bedeutung von Bildsich ⇓ "S227" entfernende Bezug auf die Bildung des Geistes in den Vordergrund getreten; auch geistige Erzeugnisse wie Sprache und Literatur werden gebildet: weil ein Vers dir gelingt in einer gebildeten Sprache (Schiller); Wörter, Sätze bilden. ⇑ "abbilden", "ausbilden", "einbilden", "vorbilden", "unverbildet".
gebildet als Erziehungsideal: ein gebildeter Mensch, häufig in der Verbindung gebildete Stände (1789; L086 GG), als Zusammensetzung oder Untertitel, so sind Fichtes ›Reden an die deutsche Nation‹ gerichtet an die gebildeten Stände Deutschlands(1808); gegen die Veräußerlichung zu reinem Formalwissen setzt schon fast gleichzeitig die Kritik ein: Klasse von Menschen, die wir ungebildet… nennen. Wir gebildetenzu nichts verbildeten! (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Werther 19,118,25); Eichendorff spöttisch Wir nun, als das gebildete Jahrhundert.
Bildung ahd. bildunga, mhd. bildunge, ⇓ "S124" Lehnübersetzung von lat. imaginatio: muotes pildungaVorstellung‹ bei Notker 1,335,13 und 337,8;
1Gestalt‹ schon bei Meister Eckhart (L358 ZDP16,27); die himmelskörper sind runde massen, also von der einfachsten bildung, die ein körper haben kann (I.Kant; L059 DWb), vgl. "Abbildung" (↑ "Abbild"); daneben wie bilden
2Entstehung‹: sich mit der Bildung des Ministeriums… geeilt (Heine; L264 Daniel Sanders), grammatisch z. B. ↑ "Wortbildung".
3 Auf geistiges und charakterliches Vermögen bezogen seit Klopstock, vorbereitet vom inbildeneinprägen (Gottes)‹ der Mystiker; vgl. auch bei Luther wölt gott, das wir das yns hertz bildeten; seit dem 18. Jahrhundert die allgemeinere philosophische, ästhetische und pädagogische Bedeutung: 1738 in der deutschen Shaftesbury-Übersetzung für formation of a genteel character und innere Bildung für inward form; Gemütsbildung (Wieland); pädagogisch (Wieland): Bildung der Jugend Kunst, welche junge Leute lehret, das Gute und Böse vermittels des bloßen Geschmacks richtig zu unterscheiden (1754 Privat-Unterweisung, zitiert in: L138 HWbPh); 1765 Mendelssohn: Die Worte Aufklärung, Kultur, Bildung sind in unserer Sprache noch neue Ankömmlinge, sie gehören… bloß zur Büchersprache, der gemeine Haufe versteht sie kaum(zitiert in: L164 Friedrich Kluge); ⇓ "S139" um 1790 schon ⇓ "S207" angezweifeltes Modewort: die großen Wörter… Bildung, Weltbürgergeist… für Lockspeisen oder höchstens für gutgemeinte leere Worte zu nehmen (A163 Adolf Freiherr von Knigge, 3Umgang 126); als individueller, lebensgeschichtlicher Begriff bei Goethe: Alles, was uns begegnet… trägt unmerklich zu unserer Bildung bei (1796; L092 GoeWb); bei Humboldt dann programmatisch: Der wahre Zweck des Menschen.. ist die höchste und proportionierlichste Bildung seiner Kräfte zu einem Ganzen (1792 W. v.Humboldt, hg. Flitner/ Giel 1,64), dazu Volksbildung (1792; L086 GG), allgemeine Bildung (1808; L086 GG), politische Bildung (1833; L086 GG) und zahlreiche Zusammensetzungen: Bildungsanstalt (L033 Joachim Heinrich Campe): Über die Zukunft unserer Bildungsanstalten (1870/ 71 Nietzsche); Bildungsgut (Ende des 19. Jahrhunderts; L086 GG), Bildungsideal (1848; L086 GG), Bildungsreise; Bildungstrieb (vgl. L092 GoeWb) zuerst naturwissenschaftlich nach J.F.Blumenbach, Über den Bildungstrieb; im 19. Jahrhundert auch Bildungsproletariat, Bildungsaristokratie; neu z. B. Bildungslücke (L056 Duden 151961), oft auch scherzhaft zum Ausdruck geringfügiger Unkenntnis; seit den 1960er Jahren wird Bildung zunehmend politisches Problem, vgl. G.Picht, Die deutsche Bildungskatastrophe (1964), dazu Bildungschancen, Bildungsnotstand, Bildungspolitik (alle L322 UWb), ferner Bildungsurlaub; als Grundwort weiterhin in "Halbbildung": die dilettantische halbbildung fast aller unserer bühnenleiter (1846; L059 DWbs. v. halbbildung), Theorie der Halbbildung (Adorno 1962), Weiterbildung: die gemeinschaft der bildung des talents (und der weiterbildung der natur durch dasselbe) (Schleiermacher; L059 DWbs. v. weiterbilden), heute Erwachsenenbildung (L337 WdG). L086 GG1,508ff. ↑ "Allgemeinbildung".
Bildungsbürger zuerst 1920 (⇓ "S032" K.Brombacher, Der deutsche Bürger; vgl. U.Engelhardt, ›Bildungsbürgertum‹. Begriffs- und Dogmengeschichte eines Etiketts, 1986,189f.) wohl in Anlehnung an Nietzsches Bildungsphilister (s. unten) und im Gegensatz zu Besitzbürger zur Kennzeichnung der Kulturbeflissenheit einer bestimmten bürgerlichen Schicht im ausgehenden 19. Jahrhundert; seit jeher markiert, denn »mit der Wortprägung Bildungsbürger wurde der Begriff des gebildeten Bürger(tums)… unter extremen Ideologieverdacht genommen« (U.Engelhardt, ›Bildungsbürgertum‹, 1986,192); heute auch neutral im historischen Bezug.
Bildungsphilister wurde durch A200 Friedrich Nietzsche (Unzeitgemäße Betrachtungen 1,165) zum ⇓ "S192" Schlagwort: Der Bildungsphilister… unterscheidet sich von der allgemeinen Idee der Gattung ›Philister‹ durch seinen Aberglauben. Er wähnt selber Musensohn und Kulturmensch zu sein (vgl. L181 Otto Ladendorf, L027 Büchmann); die Wortbildung Bildungsphilister schon 1848 bei B. v.Arnim (L138 HWbPh 1,938).
Bildungsroman 1807, ⇓ "S127" Romantypus (u. a. Goethe, Lehrjahre/ Wanderjahre), der im klassisch-romantischen Zeitalter die Entwicklung (im Sinne von ›Bildung‹) zur Persönlichkeit darstellt, dann auf Romane des 19. und 20. Jahrhunderts ausgedehnt, dafür auch "Entwicklungsroman".
Bildungssprache"S208" 1830 Varnhagen Staats- und Bildungssprache mit Bezug auf das Deutsche (L092 GoeWb); Volks- und Bildungssprache bei W.v.A137 Wilhelm von Humboldt als Gegensätze (Über die Verschiedenheit, 294); So viel Ursprüngliches und Kerniges auch der Dialekt hat, die Bildungssprache erfordert das reine Schriftdeutsch (K.Adelfels, Das Lexikon der feinen Sitte [1888], 234); neuerdings verbreitet besonders durch Habermas (Umgangssprache, Wissenschaftssprache, Bildungssprache, in: Jahrbuch der Max-Planck-Gesellschaft 1977,36ff).
bildungssprachlich (Duden, Vergleichendes Synonymwörterbuch, bearb. von P.Grebe, 1964), v. a. der stilistischen Kennzeichnung dienend: ›einer Sprachschicht zugehörig, die sich durch gelehrte Begrifflichkeit, Fremdwörter und Redewendungen v. a. griechischer u. lateinischer Herkunft auszeichnetOberhalb dieser [normalsprachlichen] Schicht ist eine Ausdrucksweise anzusiedeln, die gewisse Kenntnisse und eine gute schulische Ausbildung voraussetzt und die im Wörterbuch mit »bildungssprachlich« gekennzeichnet wird (L323 2UWb9).
Bildungswesen »die Gesamtheit der Grundsätze, Gesetze, Tätigkeiten und Anstalten, vermöge deren die innere Verwaltung die, dem einzelnen unerreichbaren, Bedingungen seiner individuellen geistigen Entwicklung und damit des geistigen Lebens der Völker herstellt« (1868 L. v.Stein; zitiert nach Lennert, Bildungsworte, in: Neue Sammlung 21). I.Schaarschmidt, Der Bedeutungswandel der Worte bilden und Bildung, 1931.
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