Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
betrachten
ahd. bitrahton, mhd. betrahten; der ursprünglichen Bedeutung von "trachten" entsprechend zunächst ›über etwas nachdenken, überlegen‹: gedenke der vorigen Zeit und betrachte, was er getan hat (Luther), betrachte immerdar Gottes Gebot (Luther). Erst abgeleitet (frühnhd.) ist die Bedeutung ›mit den Augen beschauen‹, die uns heute als ursprünglich erscheint. Charakteristisch für die Bewahrung der ursprünglichen Bedeutung noch im 18. Jahrhundert ist folgende Stelle: eben so wenig könnte man abwechselnd itzt sehen, itzt betrachten, weil das Schauspiel eine fortgesetzte Aufmerksamkeit verlangt, die von der Betrachtung unterbrochen wird (Übersetzung der Heloise,1761). Reflexiv ›sich für etwas halten‹: er betrachtet sich als meinen freund (L059 DWb). ⇓ "S183" RückbildungBetracht, ursprünglich Wort der Kanzleisprache (16. Jahrhundert), nur in bestimmten Verbindungen: in jedem Betracht (in allem Betracht Schiller), in Betracht kommen/ ziehen (wofür nehmen Herder); für in Betracht mit Genitiv (in Betracht der schönen Seele Wieland, in Betracht Ihrer Art zu arbeitenGoethe) oder mit daß (in Betracht, daß es wohlgetan sein möchte (Goethe)) wird jetzt in ↑ "Anbetracht" verwendet.
Betrachtung mhd. betrahtunge; die Betrachtung eines Gemähldes(L004 Johann Christoph Adelung); früher auch wie Betracht: was der König in Betrachtung der Kirche ist (Lessing), so kommen sie [meine Gründe] in keine Betrachtung (Schiller), bei diesem allen aber kommt in Betrachtung, daß… (A075 Johann Wolfgang von Goethe Wahlverwandtschaften 20,37,14). Seit dem 15. Jahrhundert auch ›religiöse Versenkung‹ (meditatio, oratio mentalis).
beträchtlich (frühnhd.) ursprünglich ›was in Erwägung zu ziehen ist‹; ⇓ "S229" seit Lessing, Wieland (vielleicht unter Einfluß von franz. considérable) »nicht geringe, erheblich« (L004 Johann Christoph Adelung).
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