Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
bei
ahd. / mhd. bi ursprünglich nur Adverb, übernahm dann aber, z. T. schon althochdeutsch, auch die Funktion der entsprechenden Präposition ahd. bi (↑ "be-"); urverwandt mit griech. amphí, lat. ambi ›um – herum‹.1 P r ä p o s i t i o n
1.1 Ursprünglich nur mit D a t i v und Ruhelage bezeichnend. In eigentlichstem Sinn drückt es räumliche Nähe aus. Es knüpft sich öfters noch ein speziellerer Sinn daran: ich bin bei ihm gewesen, d. h. in seinem Haus, was man sogar sagen kann, wenn man jemanden nicht getroffen hat; er wohnt bei Müller (als Gast oder Mieter); er hört bei Professor N.; er ist bei (jetzt zu) Tisch. Es wird übertragen auf eigentlich unräumliche Beziehungen: bei Gott ist kein Ding unmöglich; das steht bei Gotthängt von ihm ab‹; er ist beim Chef gut angeschrieben; bei sich seinbei Besinnung sein‹; es bleibt bei unserer Verabredung (dabei). In jmdn. bei der Hand fassen, beim Rockschoß erwischen u.dgl. handelt es sich nicht bloß um Nähe, sondern um direkte Berührung. Häufig ist bei etwas sein (scheinen, bleiben) ›mit etwas versehen sein‹, ›sich in einem gewissen Zustand befinden‹; bei Geld, Jahren, Stimme, Kräften, guter Gesundheit, Verstand, Sinnen, guter Laune, beim Alten, beim Ankleiden sein; da er beim Leben war (Luther) (jetzt am Leben), die Irrlichter schienen wieder gut genährt und wohl bei Flammen (Goethe); entsprechend jmdn. bei guter Gesundheit usw. finden, treffen, verlassen, jmdn. bei Kräften, bei guter Laune erhalten u.dgl. Häufig steht es ferner mit Zustandsbezeichnungen und mit diesen eine adverbiale Bestimmung bildend: wir reisten bei Sonnenschein (Regen, gutem Wetter) ab; er arbeitet bei Gaslicht; nicht selten liegt darin auch eine Zeitbestimmung: beim Erwachen (Aufstehen, Ankleiden, Essen) bemerkte ich; bei Beginn des Krieges; hierher auch bei Tage, Nacht (und Nebel), Zeiten (beizeiten), Lebzeiten, Tagesanbruch usw. Die so angeknüpfte Bestimmung kann in einem Kausalverhältnis zu dem Prädikat stehen; sie gibt einen Grund an, weswegen etwas eingetreten ist, oder eine Bedingung, unter der etwas eintreten wird: bei diesem Stand der Dinge mußte er seine Absicht aufgeben; bei schlechtem Wetter werde ich nicht ausgehen; hierher auch dabei(jetzt daran) sollt ihr merken, daß mich der Herr gesandt hat (Luther). Man kann aber auch dabei das Nichteintreten einer erwarteten Wirkung im Sinn haben, so daß die Bestimmung einem Satz mit "wiewohl" entspricht, vgl. bei seiner Begeisterung für Schiller ist es auffallend; das ist beim besten Willen unmöglich; bei alledem. Jmdn. bei Namen nennen wird am nächsten zu vergleichen sein mit bei der Hand fassen usw. In Versicherungen wird mit bei eine Person (oder Sache) angeknüpft, die eigentlich als Zeuge gegenwärtig gedacht wird: ich schwöre bei Gott, meiner Ehre usw.; auch ohne das Verb der Versicherung: beim Himmel, es ist wahr. Daran schließt sich zunächst die Verwendung bei dringenden Bitten: ich beschwöre dich bei allem, was heilig ist. Neben Geboten und Verboten wird die angedrohte Strafe durch bei angeknüpft: etwas ist bei Strafe verboten bereits mhd. (vgl. L320 Trübner); früher auch das mit Strafe Bedrohte, daher noch beileibe (↑ "Leib"). Schon alt ist die Verwendung von beiin Verbindungen wie bei Paarenpaarweise‹, vgl. noch lasset sie sich setzen bei Schichten, je funfzig und funfzig (Luther); bei Tropfen (Hagedorn, Klopstock); bei großen Brocken (A.W.Schlegel); häufig im 18. Jahrhundert bei Tausenden, bei Hunderten; der Ursprung dieses Gebrauchs ist nicht klar; entsprechend kann man sagen Paar bei Paar; dicht bei dicht usw. Schon mittelhochdeutsch bei ungefähren Zahlenangaben: bi fünf hundert marken eigentlich ›in der Nähe von 500 Mark‹, d. h. ›ungefähr 500 Mark‹. Dieser Sprachgebrauch setzt sich frühneuhochdeutsch fort; es muß dabei eine solche Verbindung die Funktion verschiedener Satzteile übernehmen, vgl. bei Luther es war bei einem Opha Gerste; es begab sich nach diesen Reden bei acht Tagen (ungefähr 8 Tage nach..); mein Kind, das ich bei drei Jahren gesäuget habe; noch bei Pestalozzi welches er sonst bei Jahren (Jahre hindurch) nicht getan hatte. Es tritt dann aber auch ohne Rücksicht auf das bei anstelle des Dativs der von der Stellung innerhalb des Satzes geforderte Nominativ oder Akkusativ, schon bei Luther: da sie daselbst gewohnt hatten bei zehn Jahre (Original jar), durchweg in der neueren Sprache: die Zeichnung ist bei sieben Fuß lang (Goethe). Jetzt ist dafür "gegen" üblich, bei dem die Entwicklung analog lief.
1.2 Ein A k k u s a t i v, der die Richtung bezeichnet, zuerst in mitteldeutschen Quellen, bei Luther ziemlich häufig: da er kam bei die Stätte, Petrus setzte sich bei die Knechte, begrabet mich bei meine Väter usw.; so noch bei Klopstock, Goethe und J.Grimm vereinzelt: Filangieris kommen diese Tage bei mich zu Tische (A075 Johann Wolfgang von Goethe Italienische Reise 9.3.87); noch heute in mitteldeutscher und niederdeutscher Umgangssprache: er ging bei die Soldaten. Der Hesse J.Grimm setzt sich mit Wärme für diesen Gebrauch seiner Mundart ein: »Die deutschheit dieser accusativfügungen wird sich nicht bestreiten lassen… Wenn auch die herrschende schriftsprache lieber gehn und kommen mit zu als mit bei verbindet, wird die trauliche rede das beivorziehen: komm bei mich!… Es ist ein vortheil, kein nachtheil, dasz wir auf dreierlei weise sagen können: setze dich an das feuer, bei das feuer, zu dem feuer« (L059 DWb1,1348). Es findet sich dann auch die Vermengung der Konstruktionen, daß man bei zwar mit dem Dativ verbindet, aber als Richtungsbezeichnung gebraucht: G. entschloß sich bei (›zu‹) ihm zu ziehen (Moritz). Allgemein ist das als Zusammensetzung aufgefaßte ↑ "beiseite" (meist mit Verben der Bewegung verbunden), an dem kein Kasus erkennbar ist.
2 Als A d v e r b erscheint bei– abgesehen von "dabei" usw., wo es die Präposition vertritt – in Verschmelzungen mit anderen Adverbien: nahebei, anbei, nebenbei, "vorbei", "herbei"; "beisammen", "beinahe". Hiervon ist "herbei" (↑ "her") Richtungsbezeichnung und pflegt mit folgendem Verb zusammengeschrieben zu werden; auf Unräumliches übertragen: "herbeiführen" (ein Unglück usw.), sich herbeilassen zu etwas; zeitlich: das Himmelreich ist nahe herbei gekommen (Luther), die Zeit rücke nun herbei(Wieland). Ferner erscheint bei in unfesten Zusammensetzungen mit Verben. In diesen kann es einen Ruhestand bezeichnen: "beiliegen", "beiwohnen", beisitzen, "beistehen", beisein (jetzt nur noch substantivisch), beibehalten; zuweilen ein Begleiten bei einer Bewegung: beifolgen (beigehen, "beikommen"); meist aber eine Richtung wie bei mit dem Akkusativ: "beifallen", beigehen, "beikommen", beispringen, beitreten, "beipflichten", beistimmen; "beibringen", beifügen, "beigeben", "beilegen", "beisetzen", beikleben, beimengen, beimischen, beigesellen, beiordnen, "beimessen", beirechnen, beizählen, "beitragen", beisteuern, beischießen; Richtung auf das Subjekt (›herbei‹): beitreiben, beischaffen (Goethe); mit der Bedeutung ›beiseite‹: "beilegen". Daran schließen sich nominale Zusammensetzungen an wie Beigabe, "Beilage", Beisatz, "Beitrag", "Beitritt", "Beihilfe", Beirat, "Beistand", Beisteuer; "beiläufig". Auch Zusammensetzungen ohne solchen verbalen Anschluß sind üblich, in denen bei sich in der Bedeutung mit "neben" berührt: Beigeschmack, Beiblatt, "Beiname", Beiwagen, Beiboot, Beiwerk; anders ↑ "Beileid".
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