Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
begreifen
ahd. pikrifan, bigrifan, mhd. begrifen < ↑ {{link}}be{{/link}}-und ↑ "greifen";1 ursprünglich ›anfassen, berühren, betasten‹: da sprach Isaac zu Jacob, trit erzu, das ich dich begreife (Luther; L059 DWb); darumb pfleg hie des arztes rat, / der dir dein puls begreifen sol(Sachs; L059 DWb); verklungne instrumente, die weder begriffen noch gebraucht werden (F.Müller; L059 DWb); als Partizip Perf. frühneuhochdeutsch auch noch im Sinne von ›abgenutzt‹: Ein begriffener Hut (L004 Johann Christoph Adelung);
2 ›ergreifen, (mit den Händen) erfassen, fassen‹, im Mittelhochdeutschen häufig, in bezug auf Personen: sie suchtent in zu begrifen und tödten (Keisersberg; L059 DWb); dies weib ist begriffen auf frischer that im ehebruch (Luther; L059 DWb); in bezug auf Gegenstände: sie schlagen einander bisz ihm der jung fürst das schwert begreift (Sachs; L059 DWb); auch im Sinne von ›mit der Hand umspannen, umfassen‹ (L004 Johann Christoph Adelung): wer… begreift die erden mit einem dreiling? (Luther; L059 DWb); hierzu auch in etwas begriffen sein, ursprünglich ›bei etwas ertappt werden‹, heute ›von einer Sache in Anspruch genommen, gerade mit etwas beschäftigt sein‹: da der Deutsche… in steter Verwandlung begriffen ist, ohne jedoch zum Schmetterling zu werden (L092 GoeWb); Ich bin im dicktiren begriffen, und muß noch vor Tische damit fertig werden (L092 GoeWb); (veraltet) auch mit der Präposition mit: wie ich mit Schreiben begriffen war(Schiller); wo man soeben mit der Ernte begriffen war (Eichendorff), oder ohne Präposition: hier war der hohe schwung, den Fanias zu nehmen begriffen war, gehemmt (Wieland; L059 DWb);
3 ›zusammenfassen, umfassen, in sich enthalten‹: Alles in ein buch Begreyffen unnd setzen (L200 Josua Maaler 1561); Kurtz begreyffen / das ist / Mit kurze worten sagen (L200 Josua Maaler 1561); dasz ein einziges blätlein mehr in sich hält und begreift, als der alten grosze bücher (Schuppius; L059 DWb); das ungeheure Ganze, in dem alle Existenzen begriffen sind (L092 GoeWb); heute eher einbegreifen; daraus
4 die ⇓ "S027" übertragene Bedeutung ›von etwas umfangen, überwältigt werden‹: Darzwischend mit kranckheit Begriffen od überfalle werde (L200 Josua Maaler); Heinrich, als er schon mit der peste begriffen war (Micrälius; L059 DWb); bisz dasz der abend in begrif (Sachs; L059 DWb);
5 schon althochdeutsch (Tatian und Notker für lat. comprehendere) in der heute üblichsten Bedeutung ›mit dem Verstand erfassen, verstehen‹, wohl im Anschluß an (3): unsere magistri können solches nit begrifen (J.Fischart; L059 DWb); etwas begreifen, d. h. in dem grade durch die vernunft und a priori erkennen, als zu unserer absicht hinreichend ist. nichts kann mehr begriffen werden als was der mathematiker demonstriert und doch begreift er nicht, wie es zugehe, dasz eine so einfache figur diese eigenschaften habe (I.Kant; L059 DWb); begreifen heiszt ein denken an ein anderes anknüpfen, das erstere vermittelst des letzteren denken (J.G.Fichte; L059 DWb); daß nicht die Rede sein könne, die Nationen sollen sich überein denken, sondern sie sollen nur einander gewahr werden, sich begreifen, und wenn sie sich wechselseitig nicht lieben mögen, sich einander wenigstens dulden lernen (L092 GoeWb); Ich verstehe nicht, ich begreife nicht, sagte die Schwester, indem sie den Kopf schuttelte (A074 Johann Wolfgang von Goethe, 25,359 LH); Sie scheinen den Ernst der Lage immer noch nicht begriffen zu haben (1946 A296 Carl Zuckmayer, General 558); dazu
begreiflich mhd. begriflich;
1 ›fähig‹: dasz die sach nit so schwer noch so scharf ist an ir selber, sunder die hörer seint so einfältig und so unbegreiflich [›schwer von Begriff‹], so musz man sie begreifenlich machen, man schaft sunst nichts, sie würden sprechen ›was hat er gesagt?‹ (Keisersberg; L059 DWb); der himel ein cörper, der da begreiflich ist des liechts(Melanchthon; L059 DWb);
2 ›verständlich, verstehbar‹ (L200 Josua Maaler 1561): die seel wird vergleicht dem fewr, denn sie ist subtil und unbegreiflich, der leichnam der erden, denn er ist grob und begreiflich (G.Wagner; L059 DWb); kann nicht allein keine vernunft sich ohne beispiel begreiflich, sondern nicht einmal ohne anschauung verständlich machen(I.Kant; L059 DWb); dazu jmdm. etwas begreiflich machen: Die… Jünglinge… wurden von Freunden erinnert dergleichen [das Nacktbaden] zu unterlassen. Man machte ihnen begreiflich, sie weseten nicht in der uranfänglichen Natur (L092 GoeWb).
Begriff mhd. begrif;
1 zu ↑ begreifen (3), noch im 16./ 17. Jahrhundert überwiegend im Sinne von ›Umfang, Bezirk‹, z. B. einer Stadt: Der Begriff einer Stadt / ambitus urbis (L308 Kaspar Stieler 1691); ferner ›Zusammenfassung, kurzer Auszug‹: so wird man auch einen und den andern missetäter in diesem kurzen begriffe verliebter geschichte und briefe leicht vertragen(Hofmannswaldau; L059 DWb); dieser hat die etwas weitläufigen Schriften des Herrn Doktors in einen kurzen Begriff gebracht (Nicolai); erhalten in Inbegriff;
2 ›(zusammenfassende) Darstellung‹: Kurtzer Begryff und underrichtung/ Kurtze anzeigung eines Dings (L200 Josua Maaler 1561); Kurzer Begriff dieser Deduction (I.A153 Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft; AA 3,129);
3 »Das Vermögen der Seele, sich von den Dingen eine Vorstellung zu machen« (L004 Johann Christoph Adelung): Wir haben bei uns einen Bildhauer, einen Mann von leichtem Begriff und schneller Hand… dem es aber an Imagination fehlt (L092 GoeWb);
4 ⇓ "S208" ›Wort (insbesondere fachsprachlich), Terminus‹: thut die… Bergmannssprache dem reinen Ausdrucke… sehr vielen Eintrag, sie ist theils von den bergmännischen Begriffen unzertrennlich geworden (L092 GoeWb);
5 ›Wortinhalt, Bedeutung‹: Meph. Im Ganzen – haltet euch an Worte!.. Schuler. Doch ein Begriff muß bei dem Worte seyn. Meph. Schon gut! Nur muß man sich nicht allzu angstlich qualen; / Denn eben wo Begriffe fehlen, / Da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein(A075 Johann Wolfgang von Goethe Faust I,1993ff.); Der Begriff ist im Wort fertig aufgestellt, Im Worte erstarrt (L092 GoeWb); dazu etwas auf einen Begriff bringen ›das treffende, zusammenfassende Wort für eine Sache finden‹;
6 zu begreifen(5) in der neueren ⇓ "S168" philosophischen Sprache seit der Aufklärung ›(abstrakte, sprachunabhängige) Vorstellung, Idee‹, durch Thomasius und Wolff üblich geworden: Denken ist das Erkenntniß durch Begriffe. Begriffe aber beziehen sich, als Prädicate möglicher Urtheile, auf irgend eine Vorstellung von einem noch unbestimmten Gegenstande (I.A153 Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft; AA 3,86); Die Allegorie verwandelt die Erscheinung in einen Begriff, den Begriff in ein Bild, doch so, daß der Begriff im Bilde immer noch begränzt und vollständig zu halten und zu haben… sei (A075 Johann Wolfgang von Goethe, 48,205); Unter Wörtern versteht man die Zeichen der einzelnen Begriffe (W.v.A137 Wilhelm von Humboldt, VII,72); Solange von Lebenseinheiten die Rede war, konnte nur fälschlich von Elementareinheiten die Rede sein, denn der Begriff der Einheit umschloß ad infinitum den Mitbegriff der untergeordnet-aufbauenden Einheit, und elementares Leben, also etwas, was schon Leben, aber noch elementar war, gab es nicht (Th.A183 Thomas Mann, Zauberberg 398); Ein Begriff ist eine an Sprache gebundene, sprachlich formulierte und geschichtlich bedingte Vorstellung, die wir aufgrund unseres je gegenwärtigen Erkenntnisstands an die uns umgebende Welt herantragen (A.Burkhardt, Zeitschrift für philosophische Forschung 37,72); auch im Sinne von ›zusammenfassende Vorstellung einer Klasse‹: das Fallen eines Gegenstandes unter einen Begriff ist eine nicht umkehrbare Beziehung (G.Frege, Funktion, Begriff, Bedeutung [31969] 68); dazu einen (deutlichen, undeutlichen) Begriff von etwas haben ›etwas (mehr oder weniger gut) verstehen‹, ›eine (klare, unklare) Vorstellung von etwas haben‹: Sprech' ich das Wort Gesang aus, so habe ich davon keinen bestimmtern Begriff, als Ihr und die meisten Euresgleichen wenn sie aussprechen: Reputation, Schande, Ehre (L092 GoeWb); Vom Schönen kann man einen Begriff haben, und dieser Begriff kann überliefert werden (L092 GoeWb), und sich einen Begriff von etwas machen: so, daß er[der Verstand] sich… von einem anderen möglichen Verstande.. nicht den mindesten Begriff machen kann (I.A153 Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft; AA 3,112); dazu umgangssprachlich
⊚⊚ schwer von Begriff sein ›dumm, im Verstehen, Denken nur sehr langsam sein‹ sowie jmdm. ein Begriff sein ›jmdm. (wie selbstverständlich) bekannt sein‹: war sie doch viel zu jung, als daß ihr die erwähnten, zum Teil längst vergessenen Filme ein Begriff hätten sein können (B.A254 Botho Strauß, Paare 93);
7 zu begriffen sein, seit dem 18. Jahrhundert (L305 Christoph Ernst Steinbach 1734) im Begriff sein, etwas zu tun ›unmittelbar davor stehen, eine Handlung zu vollziehen‹: und befreite den unglücklichen Johann aus den Händen der Scharwacht, die eben über ihn herzufallen im Begriff stand (E.T.A.A127 Ernst Theodor Amadeus Hoffmann, Das steinerne Herz 10,39); Auf der Etage der Vettern, nicht weit von ihren Zimmern, lag ein ganz junges Mädchen, Leila Gerngroß mit Namen, die den Mitteilungen Schwester Alfredas zufolge im Begriff war, zu sterben (Th.A183 Thomas Mann, Zauberberg 422); Ich gehe, ja, ich bin im Begriff zu gehen… So sage ich denn Lebwohl (M.A064 Max Frisch, Andorra 522); über alle Begriffe: Madame Szymanowska… Pianospielerin über alle Begriffe, anmuthig über allen Preis (L092 GoeWb).
Begriffsgeschichte in jüngerer Zeit v. a. verwendet im Zusammenhang mit der historischen Analyse geschichtlicher Grundbegriffe wie "Bürger" oder "Freiheit", wobei »die Begriffe von den tragenden Worten her angegangen werden« (R.Koselleck, L086 GG, Bd. 1, Einleitung, S. XXII), der onomasiologische Aspekt also hinter den semasiologischen zumindest arbeitstechnisch zurücktritt. Vgl. weiter R.Koselleck (Hg.), Historische Semantik und Begriffsgeschichte, 1979; H.G.Meier, Begriffsgeschichte, in: L138 HWbPh 1, 1971, 788ff.; Archiv für Begriffsgeschichte.
Begriffsprägung (1896 R.M.Meyer, in: L400 ASNS96,18) ›Prägung eines neuen Ausdrucks (z. B. Fachterminus, Schlagwort) für einen neu eingeführten oder neu definierten Begriff‹, auch ›inhaltliche Veränderung eines schon bestehenden Ausdrucks‹; im Unterschied zum Bedeutungswandel in der Regel ein willentlicher Akt eines (bekannten) Individuums; vgl. Goethe: "Morphologie" (Neuprägung), "Wahlverwandtschaft" (Umprägung).
begriffsstutzig ›schwer von Begriff‹, Mitte des 19. Jahrhunderts, zunächst auch mit Umlaut: begriffsstützig; dazu Begriffsstutzigkeit.
2 ›ergreifen, (mit den Händen) erfassen, fassen‹, im Mittelhochdeutschen häufig, in bezug auf Personen: sie suchtent in zu begrifen und tödten (Keisersberg; L059 DWb); dies weib ist begriffen auf frischer that im ehebruch (Luther; L059 DWb); in bezug auf Gegenstände: sie schlagen einander bisz ihm der jung fürst das schwert begreift (Sachs; L059 DWb); auch im Sinne von ›mit der Hand umspannen, umfassen‹ (L004 Johann Christoph Adelung): wer… begreift die erden mit einem dreiling? (Luther; L059 DWb); hierzu auch in etwas begriffen sein, ursprünglich ›bei etwas ertappt werden‹, heute ›von einer Sache in Anspruch genommen, gerade mit etwas beschäftigt sein‹: da der Deutsche… in steter Verwandlung begriffen ist, ohne jedoch zum Schmetterling zu werden (L092 GoeWb); Ich bin im dicktiren begriffen, und muß noch vor Tische damit fertig werden (L092 GoeWb); (veraltet) auch mit der Präposition mit: wie ich mit Schreiben begriffen war(Schiller); wo man soeben mit der Ernte begriffen war (Eichendorff), oder ohne Präposition: hier war der hohe schwung, den Fanias zu nehmen begriffen war, gehemmt (Wieland; L059 DWb);
3 ›zusammenfassen, umfassen, in sich enthalten‹: Alles in ein buch Begreyffen unnd setzen (L200 Josua Maaler 1561); Kurtz begreyffen / das ist / Mit kurze worten sagen (L200 Josua Maaler 1561); dasz ein einziges blätlein mehr in sich hält und begreift, als der alten grosze bücher (Schuppius; L059 DWb); das ungeheure Ganze, in dem alle Existenzen begriffen sind (L092 GoeWb); heute eher einbegreifen; daraus
4 die ⇓ "S027" übertragene Bedeutung ›von etwas umfangen, überwältigt werden‹: Darzwischend mit kranckheit Begriffen od überfalle werde (L200 Josua Maaler); Heinrich, als er schon mit der peste begriffen war (Micrälius; L059 DWb); bisz dasz der abend in begrif (Sachs; L059 DWb);
5 schon althochdeutsch (Tatian und Notker für lat. comprehendere) in der heute üblichsten Bedeutung ›mit dem Verstand erfassen, verstehen‹, wohl im Anschluß an (3): unsere magistri können solches nit begrifen (J.Fischart; L059 DWb); etwas begreifen, d. h. in dem grade durch die vernunft und a priori erkennen, als zu unserer absicht hinreichend ist. nichts kann mehr begriffen werden als was der mathematiker demonstriert und doch begreift er nicht, wie es zugehe, dasz eine so einfache figur diese eigenschaften habe (I.Kant; L059 DWb); begreifen heiszt ein denken an ein anderes anknüpfen, das erstere vermittelst des letzteren denken (J.G.Fichte; L059 DWb); daß nicht die Rede sein könne, die Nationen sollen sich überein denken, sondern sie sollen nur einander gewahr werden, sich begreifen, und wenn sie sich wechselseitig nicht lieben mögen, sich einander wenigstens dulden lernen (L092 GoeWb); Ich verstehe nicht, ich begreife nicht, sagte die Schwester, indem sie den Kopf schuttelte (A074 Johann Wolfgang von Goethe, 25,359 LH); Sie scheinen den Ernst der Lage immer noch nicht begriffen zu haben (1946 A296 Carl Zuckmayer, General 558); dazu
begreiflich mhd. begriflich;
1 ›fähig‹: dasz die sach nit so schwer noch so scharf ist an ir selber, sunder die hörer seint so einfältig und so unbegreiflich [›schwer von Begriff‹], so musz man sie begreifenlich machen, man schaft sunst nichts, sie würden sprechen ›was hat er gesagt?‹ (Keisersberg; L059 DWb); der himel ein cörper, der da begreiflich ist des liechts(Melanchthon; L059 DWb);
2 ›verständlich, verstehbar‹ (L200 Josua Maaler 1561): die seel wird vergleicht dem fewr, denn sie ist subtil und unbegreiflich, der leichnam der erden, denn er ist grob und begreiflich (G.Wagner; L059 DWb); kann nicht allein keine vernunft sich ohne beispiel begreiflich, sondern nicht einmal ohne anschauung verständlich machen(I.Kant; L059 DWb); dazu jmdm. etwas begreiflich machen: Die… Jünglinge… wurden von Freunden erinnert dergleichen [das Nacktbaden] zu unterlassen. Man machte ihnen begreiflich, sie weseten nicht in der uranfänglichen Natur (L092 GoeWb).
Begriff mhd. begrif;
1 zu ↑ begreifen (3), noch im 16./ 17. Jahrhundert überwiegend im Sinne von ›Umfang, Bezirk‹, z. B. einer Stadt: Der Begriff einer Stadt / ambitus urbis (L308 Kaspar Stieler 1691); ferner ›Zusammenfassung, kurzer Auszug‹: so wird man auch einen und den andern missetäter in diesem kurzen begriffe verliebter geschichte und briefe leicht vertragen(Hofmannswaldau; L059 DWb); dieser hat die etwas weitläufigen Schriften des Herrn Doktors in einen kurzen Begriff gebracht (Nicolai); erhalten in Inbegriff;
2 ›(zusammenfassende) Darstellung‹: Kurtzer Begryff und underrichtung/ Kurtze anzeigung eines Dings (L200 Josua Maaler 1561); Kurzer Begriff dieser Deduction (I.A153 Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft; AA 3,129);
3 »Das Vermögen der Seele, sich von den Dingen eine Vorstellung zu machen« (L004 Johann Christoph Adelung): Wir haben bei uns einen Bildhauer, einen Mann von leichtem Begriff und schneller Hand… dem es aber an Imagination fehlt (L092 GoeWb);
4 ⇓ "S208" ›Wort (insbesondere fachsprachlich), Terminus‹: thut die… Bergmannssprache dem reinen Ausdrucke… sehr vielen Eintrag, sie ist theils von den bergmännischen Begriffen unzertrennlich geworden (L092 GoeWb);
5 ›Wortinhalt, Bedeutung‹: Meph. Im Ganzen – haltet euch an Worte!.. Schuler. Doch ein Begriff muß bei dem Worte seyn. Meph. Schon gut! Nur muß man sich nicht allzu angstlich qualen; / Denn eben wo Begriffe fehlen, / Da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein(A075 Johann Wolfgang von Goethe Faust I,1993ff.); Der Begriff ist im Wort fertig aufgestellt, Im Worte erstarrt (L092 GoeWb); dazu etwas auf einen Begriff bringen ›das treffende, zusammenfassende Wort für eine Sache finden‹;
6 zu begreifen(5) in der neueren ⇓ "S168" philosophischen Sprache seit der Aufklärung ›(abstrakte, sprachunabhängige) Vorstellung, Idee‹, durch Thomasius und Wolff üblich geworden: Denken ist das Erkenntniß durch Begriffe. Begriffe aber beziehen sich, als Prädicate möglicher Urtheile, auf irgend eine Vorstellung von einem noch unbestimmten Gegenstande (I.A153 Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft; AA 3,86); Die Allegorie verwandelt die Erscheinung in einen Begriff, den Begriff in ein Bild, doch so, daß der Begriff im Bilde immer noch begränzt und vollständig zu halten und zu haben… sei (A075 Johann Wolfgang von Goethe, 48,205); Unter Wörtern versteht man die Zeichen der einzelnen Begriffe (W.v.A137 Wilhelm von Humboldt, VII,72); Solange von Lebenseinheiten die Rede war, konnte nur fälschlich von Elementareinheiten die Rede sein, denn der Begriff der Einheit umschloß ad infinitum den Mitbegriff der untergeordnet-aufbauenden Einheit, und elementares Leben, also etwas, was schon Leben, aber noch elementar war, gab es nicht (Th.A183 Thomas Mann, Zauberberg 398); Ein Begriff ist eine an Sprache gebundene, sprachlich formulierte und geschichtlich bedingte Vorstellung, die wir aufgrund unseres je gegenwärtigen Erkenntnisstands an die uns umgebende Welt herantragen (A.Burkhardt, Zeitschrift für philosophische Forschung 37,72); auch im Sinne von ›zusammenfassende Vorstellung einer Klasse‹: das Fallen eines Gegenstandes unter einen Begriff ist eine nicht umkehrbare Beziehung (G.Frege, Funktion, Begriff, Bedeutung [31969] 68); dazu einen (deutlichen, undeutlichen) Begriff von etwas haben ›etwas (mehr oder weniger gut) verstehen‹, ›eine (klare, unklare) Vorstellung von etwas haben‹: Sprech' ich das Wort Gesang aus, so habe ich davon keinen bestimmtern Begriff, als Ihr und die meisten Euresgleichen wenn sie aussprechen: Reputation, Schande, Ehre (L092 GoeWb); Vom Schönen kann man einen Begriff haben, und dieser Begriff kann überliefert werden (L092 GoeWb), und sich einen Begriff von etwas machen: so, daß er[der Verstand] sich… von einem anderen möglichen Verstande.. nicht den mindesten Begriff machen kann (I.A153 Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft; AA 3,112); dazu umgangssprachlich
⊚⊚ schwer von Begriff sein ›dumm, im Verstehen, Denken nur sehr langsam sein‹ sowie jmdm. ein Begriff sein ›jmdm. (wie selbstverständlich) bekannt sein‹: war sie doch viel zu jung, als daß ihr die erwähnten, zum Teil längst vergessenen Filme ein Begriff hätten sein können (B.A254 Botho Strauß, Paare 93);
7 zu begriffen sein, seit dem 18. Jahrhundert (L305 Christoph Ernst Steinbach 1734) im Begriff sein, etwas zu tun ›unmittelbar davor stehen, eine Handlung zu vollziehen‹: und befreite den unglücklichen Johann aus den Händen der Scharwacht, die eben über ihn herzufallen im Begriff stand (E.T.A.A127 Ernst Theodor Amadeus Hoffmann, Das steinerne Herz 10,39); Auf der Etage der Vettern, nicht weit von ihren Zimmern, lag ein ganz junges Mädchen, Leila Gerngroß mit Namen, die den Mitteilungen Schwester Alfredas zufolge im Begriff war, zu sterben (Th.A183 Thomas Mann, Zauberberg 422); Ich gehe, ja, ich bin im Begriff zu gehen… So sage ich denn Lebwohl (M.A064 Max Frisch, Andorra 522); über alle Begriffe: Madame Szymanowska… Pianospielerin über alle Begriffe, anmuthig über allen Preis (L092 GoeWb).
Begriffsgeschichte in jüngerer Zeit v. a. verwendet im Zusammenhang mit der historischen Analyse geschichtlicher Grundbegriffe wie "Bürger" oder "Freiheit", wobei »die Begriffe von den tragenden Worten her angegangen werden« (R.Koselleck, L086 GG, Bd. 1, Einleitung, S. XXII), der onomasiologische Aspekt also hinter den semasiologischen zumindest arbeitstechnisch zurücktritt. Vgl. weiter R.Koselleck (Hg.), Historische Semantik und Begriffsgeschichte, 1979; H.G.Meier, Begriffsgeschichte, in: L138 HWbPh 1, 1971, 788ff.; Archiv für Begriffsgeschichte.
Begriffsprägung (1896 R.M.Meyer, in: L400 ASNS96,18) ›Prägung eines neuen Ausdrucks (z. B. Fachterminus, Schlagwort) für einen neu eingeführten oder neu definierten Begriff‹, auch ›inhaltliche Veränderung eines schon bestehenden Ausdrucks‹; im Unterschied zum Bedeutungswandel in der Regel ein willentlicher Akt eines (bekannten) Individuums; vgl. Goethe: "Morphologie" (Neuprägung), "Wahlverwandtschaft" (Umprägung).
begriffsstutzig ›schwer von Begriff‹, Mitte des 19. Jahrhunderts, zunächst auch mit Umlaut: begriffsstützig; dazu Begriffsstutzigkeit.