Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
be-
aus ahd. bi, welches nicht bloß in der Zusammensetzung, sondern auch als Präposition gebraucht wurde. Dieses bi war Nebenform zu bi (nhd. ↑ "bei"), das ursprünglich nur adverbial gebraucht wurde. Ein Rest der Verwendung als Präposition ist erhalten in ↑ "behende". In Verbindung mit einem Adverb steht es in "bevor", "binnen". Als im Mittelhochdeutschen das Adverb bi zur Präposition wurde, übernahm es nicht die ganze Funktion, die im Althochdeutschen bi hatte. Dieses wurde auch mit dem Akkusativ verbunden und hatte zunächst den Sinn ›um etwas herum‹, dann auch ›in Bezug auf etwas‹. Hieran knüpft die Verwendung von bi-(be-) in der Zusammensetzung mit Verben an.1 Selten in der neueren Sprache, früher häufiger ist be- in der Zussammensetzung mit intransitiven Verben, die dabei ihre intransitive Natur bewahren. Es drückt darin das Festsitzen, Beharren an einem Punkt oder in einem Zustand aus, vgl. "beharren", "beruhen", "bestehen".
2 Häufiger sind transitive Verben, die durch die Zusammensetzung mit be- ihre Konstruktion nicht verändern. In manchen dieser Zusammensetzungen ist der Unterschied zum Simplex unbedeutend, mitunter ist das Simplex unüblich geworden; in anderen Fällen bestehen stärkere Unterschiede, die zum Teil erst Folge sekundärer Entwicklung sind, vgl. bedecken, "bekleiden", bekränzen, bewaffnen, bedrängen, bedrücken, beklemmen, bezwingen, "beschließen", "behalten", bewässern, bemalen, "bezeichnen", "besuchen", bemessen, "befinden", "betreffen", "betreiben", beschützen, beschirmen, "behüten", beschädigen, beloben, bestrafen, "belehren", belügen, benutzen, "bemühen", "bekümmern", bedünken, "befördern", "befragen", "befürchten", "begeben", "begründen", "begrüßen", "behandeln", "behindern", belassen, "benehmen", benennen, "berichten", "berufen", "bezeigen". Hierher gehörte auch eine Anzahl aus Adjektiven abgeleiteter Verben, die außerhalb der Zusammensetzung zum Teil unüblich geworden sind: beengen, befeuchten, benetzen, "befreien", "beschweren", bestärken, "betäuben", "betrüben", "bewähren", "bezähmen", bereichern, "bekräftigen", "berichtigen", "beruhigen", "befähigen", "beschleunigen", "befestigen", begüten ("begütigen"), beschönen ("beschönigen"), besänften ("besänftigen"), "bestätigen".
3 Eine Menge von intransitiven Verben nimmt in der Zusammensetzung einen Akkusativ zu sich, der eigentlich von be-abhängig ist; das Objekt drückt dann allgemein einen Gegenstand aus, in bezug auf den die Handlung vor sich geht; im einzelnen Fall spezialisiert sich der Bezug, bei manchen Verben sind mehrere verschiedenartige Bezüge möglich: befahren, befliegen, "begehen", beschreiten, "betreten", besteigen, "bespringen", beschleichen, "berennen", bereisen, beschiffen, "befallen", bestreichen, "bekommen", "bestehen", "besitzen", "belagern", bespritzen, beregnen, bereifen, beschneien, betauen, berieseln, begrünen, bewachsen, beschmutzen, besudeln, beklecksen, "bescheißen", bespeien, begeifern, bekritzeln, beglänzen, "beleuchten", bescheinen, bestrahlen, befühlen, betasten, betupfen, begaffen, beglotzen, begucken, "beschauen", "besehen", behorchen, belauern, belauschen, bewachen, "bereden", beschwatzen, "beschreien",besingen, belachen,belächeln, begrinsen,beklatschen, bejammern,beklagen, beweinen, betrauern, bestaunen, "bewundern", bekritteln, "bemäkeln", "bearbeiten", beackern, behobeln, "begraben", bekämpfen, bekriegen, "bestreiten", besiegen, "bedenken", "betrachten", "beachten", "beurteilen", bezweifeln, "besorgen", bedrohen, "beschimpfen", belohnen, "bedienen", "bedingen", "bedeuten", "befolgen", begrenzen, "beherrschen", behexen, "bezaubern", berauben, "beraten", beschlafen, beschwindeln, "besiegeln", "bewirken", bewohnen, beantragen, beantworten, beargwöhnen u. a., wozu sich immer noch neue bilden lassen. Dazu die reflexiven sich "behelfen", "beklagen", bezechen, "bestreben", "bewerben".
4 Im Grunde die gleiche Erscheinung ist es, wenn eine Anzahl von Zusammensetzungen mit transitiven Verben eine andere Art von Objekt zu sich nimmt als die einfachen Wörter, wobei auch dieses Objekt eigentlich von be- abhängig ist: "belegen", "besetzen", "bestellen", behängen, bestecken, bewinden, bewerfen, behauen, beschneiden, bestreuen, beschütten, besprengen, begießen, bespannen, begürten, bekleben, beladen, bepacken, bepflanzen, besäen, besiedeln, "beschreiben", beschmieren, bebauen, beschießen, beschenken, beleihen, "beschicken", beliefern, beriechen, "beerben", bestehlen; reflexiv sich "befassen", "betrinken", besaufen, "berufen".
5 Unter (3) und (4) befindet sich eine Anzahl von Verben, die aus Substantiven abgeleitet sind. Die Zusammensetzungen mit be-konnten zu diesen Substantiven in direkte Beziehung gesetzt werden, z. B. bekränzen zu Kranz, welches dann also aufgefaßt werden konnte als ›mit einem Kranz versehen‹. Das führte weiter dazu, direkt aus Substantiven Zusammensetzungen mit be- abzuleiten, wozu Simplizia nicht existieren: belauben (sich), befiedern, "beflügeln", beschwingen, "befruchten", "besamen", begaben, befrachten, "bemannen", beweiben (sich), "bemänteln", bestäuben, "bewölken", "beflecken" (vom Schuhmacher), besohlen, behausen, beherbergen, "belehnen", "besolden", besteuern, beseelen, "beleben", "betiteln", beziffern, benam(s)en, "befehden", "beanspruchen", "beanstanden", beeinflussen, begutachten, "bemitleiden", "beobachten", "beurlauben", bevorrechten, bevorteilen, "bevorzugen", bevatern, "bemuttern", bevormunden, "bewirten"; an den Plural angelehnt: bebändern, "begeistern", "bevölkern". Wie von Adjektiven abgeleitet verhalten sich in der Bedeutung "betören", befreunden (sich), ähnlich ist "bejahen" direkt aus "ja" gebildet. Häufig hat Weiterbildung mit -ig- stattgefunden, die sich zunächst an wirklich vorhandene Adjektive auf -iganlehnte, dann aber auch weitergriff; die einfacheren Bildungen sind meist in der älteren Sprache vorhanden und werden allmählich unüblich: "belästigen" (wegen der Bedeutung nicht von "lästig" abzuleiten), "beängstigen" (beängsten E. v.Kleist, Goethe), "beeinträchtigen", "beerdigen", "befrieden", "befriedigen", beglauben, "beglaubigen", begnaden, "begnadigen", "begünstigen", beköstigen, bekreuzen,bekreuzigen, belustigen, bemächtigen (sich), bevollmächtigen, benachrichtigen, benachteiligen, "berechtigen", "berücksichtigen", "bescheinigen", "besichtigen", "beabsichtigen" (beabsichten Schiller), beaufsichtigen, "beteiligen" (sich), bezichten, "bezichtigen", "beschäftigen" (zu Geschäft), "bewältigen" (zu "Gewalt"), abweichend in bezug auf die Bedeutung "beseitigen", beherzen, "beherzigen". Manche Bildungen aus Substantiven sind nur im Partizip üblich: behaart, bebrillt, "beherzt", "bejahrt", beleibt, "betagt", bewaldet, besaitet, begütert, "bemittelt", bewehrt (zu die 1"Wehr"), befugt, mit abweichender Funktion benachbart, auch "Beamter" (ursprünglich der Beamtete) gehört hierher.
6 In der Umgangssprache werden spontan mit be-zusammengesetzte Verben gebildet, z. B. sie behauptet, sie sei die Frau Junkern; aber ich will sie bejunkern (C.F.Weiße); Vaterchen.Ja ich will dich bevaterchen(J.M.R.Lenz). Auch im sonder- und fachsprachlichen Gebrauch entstehen laufend Neubildungen mit be-: (einen Platz) bespielen, (Kinder) beschulen, betanken, (Getreide) begasen usw.
7 In nominalen Zusammensetzungen trug im Althochdeutschen bi- den Hauptton und blieb daher im Mittelhochdeutschen ungeschwächt, erhalten in ↑ "bieder" aus mhd. bí-derbe, ↑ "Beichte" aus ahd. bíjiht. Durch Anlehnung an die entsprechenden verbalen Zusammensetzungen trat aber teilweise schon im Mittelhochdeutschen und dann weiter im Neuhochdeutschen unbetontes be- an die Stelle von bí-; z. B. mhd. bígraft neben begráftBegräbnis‹. Dazu sind dann Substantive gekommen, die erst aus den verbalen Zusammensetzungen abgeleitet sind: "Bedarf", "Befehl", "Befund", "Behelf", "Beleg", "Bereich", "Bericht", "Beruf", Besatz, "Bescheid", "Beschlag", "Besuch", "Betracht", "Betrag", "Betreff", "Betrieb", Betrug, "Beweis", Bewurf, "Bezirk", "Bezug". Eine adjektivische Zusammensetzung ist "bequem". – Vgl. W.Wilmanns, Deutsche Grammatik 2,133ff.; W.Henzen, Deutsche Wortbildung 98ff., 238ff.; H.Günther, System der Verben mit be-, 1974; H.W.Eroms, Be-Verb und Präpositionalphrase, 1980.
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