Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
Arbeit
gemeingermanisch (got. arbaiþs), ⇓ "S063" etymologisch unklar, eventuell verwandt mit altslav. rabota ›Knechtschaft, Sklaverei‹ (↑ "Roboter"); ahd. / mhd. arbeit, die Nebenform er(e)beit (durch Sekundärumlaut) noch Luther. ⇓ "S026"1.1 Im Althochdeutschen und Mittelhochdeutschen überwiegt die Vorstellung des Beschwerlichen, Lästigen, so daß mit "Mühsal", "Strapaze", (innere) "Qual", "Not" zu übersetzen wäre, vgl. er leit (›litt‹) … arbeit (Nibelungenlied 136,4), noch ⇓ "S036" A180 Martin Luther (Psalm 90,10) Vnser Leben … wens köstlich gewesen ist / so ists Mühe vnd Erbeit gewesen (lat. labor et dolor); im 18. Jahrhundert Klopstock (L059 DWb) wie hat in unaussprechlicher arbeit seine seele gerungen!;
1.2 inzwischen (1.1) gewöhnlich abgeschwächt ›Anstrengung, Mühe‹ (ohne Plural) keine Mühe und Arbeit scheuen; die ganze Arbeit war umsonst.
2.1"S028" Zwar ist die Bedeutung ›produktive Tätigkeit zur Befriedigung eigener oder fremder Bedürfnisse‹ auch in älterer Sprache (Rittertum, Mystik) angelegt (L059 DWb), doch hat Luther bedeutenden Anteil an der neuzeitlichen, positiven Bewertung von Arbeit (H.Geist, Luther-Jahrbuch 1931,83ff.; zu frühnhd. arbeit auch R.R.Anderson/ U.Goebel/ O.Reichmann, in: Philologische Untersuchungen, hg. v. A.Ebenbauer, 1984,1ff.), die besonders durch calvinistisch-puritanistische Strömungen verstärkt (L138 HWbPh; L252 RGG) und schließlich gesellschaftlich-ökonomisch neu begründet wurde (Locke, A.Smith u. a.), vgl. Arbeit ist des Bürgers Zierde (Schiller, Glocke), sogar Arbeit adelt (Titel bei Liliencron); ⇓ "S175" das ⇓ "S192" Schlagwort Recht auf Arbeit nach franz. droit au travail (1808 C.Fourier; L027 Büchmann). Nach Ansätzen schon im 19. Jahrhundert wurde 1933 der 1. Mai gesetzlich als »Feiertag der nationalen Arbeit« (L281 Cornelia Schmitz-Berning 600) eingeführt, die bald übliche Bezeichnung Tag der Arbeit wurde nach der offiziellen Umbenennung in »Nationaler Feiertag des Deutschen Volkes« (1934) bekämpft (L360 ZDW 27,119); eine Spannung zwischen Kapital und Arbeit besteht besonders seit Marx (L086 GG1,154ff.). Seit dem Frühneuhochdeutschen ist Arbeit (Des gemuts Arbeit »Mentis actio« L200 Josua Maaler 1561) ausgedehnt auf geistige, künstlerische Betätigung: bey dichterischen Arbeiten; durch geistige Arbeiten (L092 GoeWb); Geistesarbeit (18. Jahrhundert, ↑ "Geist"); Kopfarbeit (L059 DWb1854) als Gegensatz zu Handarbeit; Der Großteil der Menschheit … heuchelt Arbeit, schauspielert … Arbeit vor und perfektioniert bis ins hohe Alter die geschauspielerte Arbeit (Th.A011 Thomas Bernhard, Auslöschung 94). Weiter "Hausarbeit", Heimarbeit, "Schularbeit", "Schwarzarbeit", Schwerarbeit.
2.2 Schon mittelhochdeutsch im Handwerk spezialisiert ›Beschäftigungsverhältnis, Anstellungbei jmdm. in Arbeit sein; Arbeit finden; ohne Arbeit sein (s. unten arbeitslos).
3 Spätestens frühneuhochdeutsch (Luther; L059 DWb) metonymisch ›Werk (als Produkt bzw. Ziel von Arbeit)‹, mit Plural: meine künstlerischen Arbeiten haben mir … im Monat durchschnittlich 4,50 M. … eingebracht (A010 Gottfried Benn, Kunst und Staat 259).
4"S169" Arbeit heißt in der Mechanik und Maschinentechnik das Produkt aus der Kraft und dem Weg, den der Angriffspunkt der Kraft in der Richtung dieser Kraft beschreibt (1898 14L025 Brockhaus I,808). Zum Begriff Arbeit im europäischen Rahmen vgl. L069 Europäische Schlüsselwörter 2,258ff.; Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache 1993,43ff.
Sisyphusarbeit (L056 Duden 81905), ⇓ "S055""S143" nach der griechischen Sagenfigur (Homer) ›mühselige, nicht endende, vergebliche bzw. sich nicht lohnende Arbeit‹. Zusammensetzungen ohne Fugen-s:
Arbeitgeber »der für sich arbeiten läszt, die arbeit bestellt und zahlt« (L059 DWb1854) und
Arbeitnehmer »der die aufgetragene arbeit annimmt« (L059 DWb1854), bei Marx »nur einmal« und von F.Engels ⇓ "S207" kritisiert (L239 PBB(H) 84,468); beide Wörter seit den 1840er Jahren (L086 GG1,223) und an Arbeit (2.2) anzuschließen;
arbeitsam
1 althochdeutsch/ mittelhochdeutsch ›mühselig‹,
2 frühneuhochdeutsch übergehend zu ›fleißig‹; sonst mit Fugen-s (z. T. im 19. Jahrhundert noch ohne):
ArbeitsamtBehörde zur Vermittlung von Arbeitskräften (u. a.)Wir bekommen nicht einmal Arbeitslosenunterstützung, wenn wir die Arbeit nicht annehmen, die uns das Arbeitsamt zuschustert (M.v.d.A093 Max von der Grün, Irrlicht 133) und
ArbeitsbeschaffungBereitstellung/ Subventionierung von Arbeitsplätzen durch die öffentliche Hand‹ (beides L056 Duden 111934); ⇓ "S149" neu
Arbeitsbeschaffungsmaßnahme (1966; L060 2DWb), kurz ⇓ "S094" ABM: Man habe diesen Mann mit einer ABM-Stelle nach VGR abgespeist (A156 Walter Kempowski, Hundstage 244); ⇓ "S145""S032" Arbeitsdienst (A257 Erwin Strittmatter, Bienkopp 119), ⇓ "S032" Arbeitsfront sind nationalsozialistische Prägungen, Arbeitsdienst als Gegensatz zu Militär- bzw. Frontdienst ist allerdings älter (1874; L060 2DWb);
ArbeitshausBesserungsanstalt mit Zwang zur Arbeit‹ (wie Zuchthaus L169 Matthias Kramer 1700), bis ins 20. Jahrhundert;
Arbeitskampf (L097 GWb1976) ›unter Anwendung von Kampfmaßnahmen geführte Auseinandersetzung um Fragen der Arbeitsbedingungen‹;
Arbeitskollektiv"S032" »Neuprägung DDR« (L337 WdG) ↑ "Kollektiv", dagegen Arbeitsteam »Neuprägung BRD« (ebenda);
arbeitslos zunächst ›untätig, müßig‹ (L308 Kaspar Stieler), dann im heutigen Sinn ›ohne Erwerbsarbeit‹ (1787; L060 2DWb);
Arbeitslosigkeit, im heutigen Sinn seit der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts: Durch Wegfall der Erzlieferungen aus Elsaß-Lothringen und Oberschlesien bevorstehende Arbeitslosigkeit von Millionen(Th.A183 Thomas Mann, Tagebücher 28.11.1918);
Arbeitslosengeld und anschließende
Arbeitslosenhilfe sind Einrichtungen nach 1945, älter Arbeitslosenunterstützung (1894; L060 2DWb).
Arbeitsmann 1484 ›Handwerker‹ (L046 DRWb), »im gemeinen Leben, für Arbeiter« (L004 Johann Christoph Adelung), so noch B.Brecht (L337 WdG);
Arbeitsmarkt"S129" 1865 Marx/ Engels;
Arbeitsmoralinnere Einstellung zur beruflichen Arbeit‹ (1946; L060 2DWb);
ArbeitsplatzBeschäftigungsverhältnis, Job‹ (1911; L060 2DWb), synonym
Arbeitsstelle (1889; L060 2DWb);
arbeitsscheu L005 Johann Christoph Adelung, Suppl.1818;
Arbeitsteilung nach der Kapitelüberschrift The division of labour bei A.Smith (1776; vgl. L181 Otto Ladendorf), im Deutschen zunächst als Verteilung, Teilung der Arbeit; 1808 Arbeitsteilung; die nach dem Prinzip der Arbeitsteilung geordnete soziale Gemeinschaft (Th.A183 Thomas Mann, Zauberberg 399); dazu
arbeitsteilig (1879; L060 2DWb) arbeitsteilige Gesellschaft;
Arbeitswissenschaft als Hochschulfach, vgl. Zentralblatt für Arbeitswissenschaft und soziale Betriebspraxis (1942).
arbeiten (ahd. ), entsprechend Arbeit(1.1) zunächst mehr
1.1sich abmühen, plagen‹, heute noch in bildlichen Ausdrücken wie mit Händen und Füßen arbeiten; sich krankarbeiten, krummarbeiten, totarbeiten; arbeiten wie ein Pferd (↑ "abarbeiten" reflexiv);
1.2 inzwischen abgeschwächt ›sich bemühen, anstrengen‹ (entsprechend franz. travailler) Ich arbeite für ihr Glück und ihre Beruhigung (Gellert; L004 Johann Christoph Adelung); Ritter: Und du, … ziehst ihn nicht aus diesem Irrthum? Graf: Ich arbeite daran (L092 GoeWb); Man darf nie aufhören, an sich selbst zu arbeiten (L003 Johann Christoph Adelung 1774).
2 Intransitiv (mit Präposition) ›zielgerichtet, produktiv tätig sein‹, heute die Hauptbedeutung (südwestdt. synonym "schaffen" L066 Jürgen Eichhoff, Karte 11), vgl. A180 Martin Luther Sechs tage soltu erbeiten / vnd alle dein ding beschicken. Aber am siebenden tage ist der Sabbath (2.Mose 20,9); so jemand nicht wil erbeiten / der sol auch nicht essen (2.Thessalonicher 3,10); an einem Gedichte, an einem Aufsatze arbeiten (L004 Johann Christoph Adelung); arbeitende Klasse als Gegensatz zu verzehrende Klasse schon 1787 Moser (L086 GG1,218f.); Weiber, die im Akkord arbeiteten (H.A182 Heinrich Mann, Untertan 260); übertragen er läszt sein kapital arbeiten (L109 Moriz Heyne). Für (schwer) arbeiten umgangssprachlich ⇑ "ackern", rackern (↑ "Racker"), (sich) "abrackern", "ranklotzen" (↑ "Klotz"), "malochen", (sich) "schinden", schindern (↑ "schinden"), "rabotten", "rammeln", werkeln (↑ "Werk") , "krampfen", krüppeln (↑ "Krüppel"), "buckeln", hackeln (↑ "hacken"), "schöpfen", sich krummlegen (↑ "krumm"), sich abplagen (↑ "ab"[3.18]), "asten", "schuften" (vgl. L066 Jürgen Eichhoff, Karte 3–49); auch kläjen (thüring.). Transitivierend ⇑ "aufarbeiten","ausarbeiten", "überarbeiten".
3 Transitiv ›herstellen‹ (A180 Martin Luther, 1. Könige 7,14): Ich habe diese … Schrift mit der größten Sorgfalt gearbeitet (L092 GoeWb); früher häufig wie ↑ "bearbeiten": erbeite deinen acker (A180 Martin Luther, Sprüche Salomos 24,27); Wachs ist leicht zu arbeiten (L092 GoeWb); ⇓ "S100" jägersprachlich ›abrichten‹: Ein rein gearbeiteter Hund (L004 Johann Christoph Adelung).
4.1 Mit sachlichem oder abstraktem Subjekt ›in Bewegung sein‹, ›gärender Wein arbeitet im Faß (L169 Matthias Kramer 1700); Holz arbeitetverzieht sich‹; das Arbeiten meines Blutes in den Schläfen, am Halse (A129 Hugo von Hofmannsthal, Erlebnis 74); weiter übertragen von Wünschen, Gefühlen ›sich bemerkbar machenDieses Verlangen arbeitete schon lang in mir (L092 GoeWb);
4.2in Betrieb sein, funktionieren‹, besonders technisch (vom Schmelzofen; L092 GoeWb); die Nebenniere arbeitet nicht, das Hormon fehlt (Ch.A286 Christa Wolf, Störfall 96).
Arbeiter meist zu "arbeiten"(2), schon 13. Jahrhundert (L320 Trübner), Arbeiterin um 1400 (L060 2DWb), Lohnarbeiter L305 Christoph Ernst Steinbach 1734; ⇓ "S129" das Proletariat, die Klasse der modernen Arbeiter(K.Marx / F.Engels; L337 WdG; zu Arbeiter bei Marx und Engels vgl. L239 PBB(H) 84,458ff.); Trennung in Kopfarbeiter und Lohnarbeiter (1842 J.G.Hoffmann; L086 GG1,225), Geistesarbeiter (Auerbach; L265 Daniel Sanders, Erg.); im ⇓ "S145" Nationalsozialismus ⇓ "S192" Schlagwort Arbeiter der Stirn und der Faust (von Hitler geprägt, Völk. Beobachter 5.6.21); ⇓ "S032" Arbeiter-und-Bauern-Staat »Neuprägung-DDR« (L337 WdG); der Arbeiter ist der Demokratie liebstes Kind. Aber, Kameraden, doch nur vor den Wahlen! (M.v.d.A093 Max von der Grün, Irrlicht 86); {{link}}Schwer(st)arbeiter{{/link}} ↑ "schwer"; seit dem 19. Jahrhundert mit der verstärkten Arbeiterbildung
Arbeiterliteratur (1869; L257 3RL1,120ff.) und Arbeiterdichtung;
Arbeiterbewegung"S129"Gesamtheit der (internationalen) Bestrebungen der Arbeiterklasse‹ (1845 K.Marx / F.Engels; L060 2DWb);
Arbeiterbildungsverein des kommunistischen arbeiterbildungsvereins in London (1841; L060 2DWb); Arbeiterklasse, Arbeiterassoziation, Arbeiterpartei, Arbeiterverein und ähnliche Prägungen in den 1840er Jahren;
Arbeiterschaft »Gesamtheit von Arbeitern« (L264 Daniel Sanders 1860).
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