Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
anziehen
(mhd. )I zu transitiv "ziehen":
1 Heute nicht häufig sind Wendungen wie die Tür, die Läden anziehen (zum Verschluß oder so, daß sie dem Verschluß genähert werden).
2 Der Sinn ›an sich heran‹ liegt zugrunde in die Glocke anziehen (gewöhnlicher ziehen), auch in die Knie, Beine anziehen, ferner in den Zügel anziehen. Danach ist es dann ›straffer spannen‹ die Bogensehne, die Saiten eines Instruments anziehen. Phraseologisch man muß die Zügel/ Saiten straffer anziehen.
3 Besonders üblich ist anziehen in bezug auf Kleidungsstücke: jmdm. den Rock, die Schuhe anziehen, ohne Dativ mit Bezug auf den eigenen Körper. Man sagt aber auch jmdn. (sich) anziehen mit einem ursprünglich von an abhängigen Akkusativ; dazu können adverbiale Bestimmungen treten wie sauber, schön; dagegen nicht mehr daß er angezogen würde mit den Kleidern (Luther); vgl. "antun"(1), "anlegen"(1). Häufig ist in der A180 Martin Luther-Bibel und danach später übertragener Gebrauch: Denn er zeucht Gerechtigkeit an wie ein Panzer(Jesaja 59,17); Ziehet den alten Menschen mit seinen wercken aus / Vnd ziehet den Newen an (Kolosser 3,9f., vgl. A222 Friedrich Schiller, Wallenstein Lager 7).
4 Außer Gebrauch gekommen ist anziehen ›anführen‹ (eine Stelle u.dgl.): bei Lucas, eben angezogenen Orts (Lessing); dessen Zeit als das goldene Alter der Musen in allen künftigen Jahrhunderten angezogen werden wird (Wieland).
5 Sehr üblich anziehen ›an sich ziehen‹ in bezug auf eine in die Ferne ausgeübte Wirkung; zunächst ⇓ "S169" physikalisch: die Wand zieht Feuchtigkeit, der Magnet das Eisen an; dann auf geistige Wirkung übertragen: Du hast mich mächtig angezogen, An meiner Sphäre lang gesogen (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Faust I,483); auch ›reizen, interessieren‹ ob sie ihm gefallen oder mißfallen, ob sie ihn anziehen oder abstoßen (L092 GoeWb); ⇓ "S235" seit dem 17. Jahrhundert Partizipialadjektiv anziehend ›reizvoll, attraktiv‹; bei Wieland häufig für "interessant". Dazu Anziehung, Anziehungskraft physikalisch ›Schwerkraft‹, aber im 18. Jahrhundert auch schon zwischen Menschen, besonders erotisch: Nach wie vor übten sie [Eduard und Ottilie] eine unbeschreibliche, fast magische Anziehungskraft gegen einander aus (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Wahlverwandtschaften 20,396,6). Gegensatz "abstoßen".
6 Ohne Objekt, aber doch im Anschluß an transitiv "ziehen" steht anziehen in Wendungen wie der Bohrer, die Schraube zieht an ›dringt ein‹; daneben auch transitiv die Schraube anziehen; ⇓ "S106" entsprechend übertragen die Preise, die Aktienkurse ziehen an ›gehen in die Höhe‹ (1833; L277 Alfred Schirmer, Kaufmannssprache).
7 Ohne Objekt steht anziehen auch, wenn an das Anfangen mit einer Tätigkeit ausdrückt: die Pferde zogen an, der Wagen fuhr fort (S.Zweig; L337 WdG); besonders im Spiel: Weiß zieht an; er zieht mit dem Springer an.
II Selten zu intransitiv "ziehen": Als wie nach Windes Regel / Anzögen weiße Segel (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Faust II,8163), heute intransitiv heranziehen; üblich angezogen kommen, ↑ "ankommen"(1).
Anzug früher in zahlreicheren Bedeutungen (z. B. Anzugspredigt Rabener, Nicolai, Jean Paul wie Antrittspredigt),
1 ⇓ "S029" heute im wesentlichen ›Kleidung des Mannes, bestehend aus Jackett (Weste) und Hose‹; um 1800 noch »das Ganze, was dazu gehört um vollständig gekleidet zu sein, den Schmuck nicht ausgeschlossen« (L033 Joachim Heinrich Campe), früher auch für Frauen: alle kleineren Stücke des Anzugs … Schuhe, Strümpfe, Strumpfbänder mit Devisen, Handschuhe (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Wahlverwandtschaften II 18; 20,400,13), daher auch Zusammensetzungen wie Damenanzug, Frauenanzug bis ins 19. Jahrhundert (L264 Daniel Sanders).
2 Zu intransitiv anziehen in Verbindungen wie ein Gewitter, Gefahr ist im Anzug.
3 Nur frühneuhochdeutsch ›Vorwurf, Bezichtigung‹; hierzu
anzüglich
1.1 ›vorwurfsvoll, stichelnd‹ anzügliche Reden (L308 Kaspar Stieler), heute mehr
1.2 ›zweideutig, anstößig, auf (für den Hörer) Unangenehmes anspielend‹ anzüglicher Scherz (L004 Johann Christoph Adelung); anzügliche Witze; anzüglich werden.
2 ⇓ "S235" Frühneuhochdeutsch bis um 1900 auch wie anziehend (s. oben), das synonymes frühnhd. anzügig ablöste; vgl. Mdlle Amalia Joanna Louisa … so habe ich gute Hoffnung, daß Ihr anzüglicher Name noch mehr in mein Netz ziehen wird (A101 Johann Georg Hamann, Briefwechsel 2,180); Vieles von dem Anzüglichsten der Schönheit liegt ganz außer den Gränzen derselben [der Malkunst] (A177 Gotthold Ephraim Lessing, E.Galotti 1,4); so auch Wieland, J.M.R.Lenz, Goethe (L092 GoeWb). Zu anzüglich(1) heute
Anzüglichkeit(1619; L060 2DWb) Anzüglichkeiten und Stichelreden (A075 Johann Wolfgang von Goethe, W.Meisters Theatralische Sendung 52,203,23), früher auch zu anzüglich(2).
1 Heute nicht häufig sind Wendungen wie die Tür, die Läden anziehen (zum Verschluß oder so, daß sie dem Verschluß genähert werden).
2 Der Sinn ›an sich heran‹ liegt zugrunde in die Glocke anziehen (gewöhnlicher ziehen), auch in die Knie, Beine anziehen, ferner in den Zügel anziehen. Danach ist es dann ›straffer spannen‹ die Bogensehne, die Saiten eines Instruments anziehen. Phraseologisch man muß die Zügel/ Saiten straffer anziehen.
3 Besonders üblich ist anziehen in bezug auf Kleidungsstücke: jmdm. den Rock, die Schuhe anziehen, ohne Dativ mit Bezug auf den eigenen Körper. Man sagt aber auch jmdn. (sich) anziehen mit einem ursprünglich von an abhängigen Akkusativ; dazu können adverbiale Bestimmungen treten wie sauber, schön; dagegen nicht mehr daß er angezogen würde mit den Kleidern (Luther); vgl. "antun"(1), "anlegen"(1). Häufig ist in der A180 Martin Luther-Bibel und danach später übertragener Gebrauch: Denn er zeucht Gerechtigkeit an wie ein Panzer(Jesaja 59,17); Ziehet den alten Menschen mit seinen wercken aus / Vnd ziehet den Newen an (Kolosser 3,9f., vgl. A222 Friedrich Schiller, Wallenstein Lager 7).
4 Außer Gebrauch gekommen ist anziehen ›anführen‹ (eine Stelle u.dgl.): bei Lucas, eben angezogenen Orts (Lessing); dessen Zeit als das goldene Alter der Musen in allen künftigen Jahrhunderten angezogen werden wird (Wieland).
5 Sehr üblich anziehen ›an sich ziehen‹ in bezug auf eine in die Ferne ausgeübte Wirkung; zunächst ⇓ "S169" physikalisch: die Wand zieht Feuchtigkeit, der Magnet das Eisen an; dann auf geistige Wirkung übertragen: Du hast mich mächtig angezogen, An meiner Sphäre lang gesogen (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Faust I,483); auch ›reizen, interessieren‹ ob sie ihm gefallen oder mißfallen, ob sie ihn anziehen oder abstoßen (L092 GoeWb); ⇓ "S235" seit dem 17. Jahrhundert Partizipialadjektiv anziehend ›reizvoll, attraktiv‹; bei Wieland häufig für "interessant". Dazu Anziehung, Anziehungskraft physikalisch ›Schwerkraft‹, aber im 18. Jahrhundert auch schon zwischen Menschen, besonders erotisch: Nach wie vor übten sie [Eduard und Ottilie] eine unbeschreibliche, fast magische Anziehungskraft gegen einander aus (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Wahlverwandtschaften 20,396,6). Gegensatz "abstoßen".
6 Ohne Objekt, aber doch im Anschluß an transitiv "ziehen" steht anziehen in Wendungen wie der Bohrer, die Schraube zieht an ›dringt ein‹; daneben auch transitiv die Schraube anziehen; ⇓ "S106" entsprechend übertragen die Preise, die Aktienkurse ziehen an ›gehen in die Höhe‹ (1833; L277 Alfred Schirmer, Kaufmannssprache).
7 Ohne Objekt steht anziehen auch, wenn an das Anfangen mit einer Tätigkeit ausdrückt: die Pferde zogen an, der Wagen fuhr fort (S.Zweig; L337 WdG); besonders im Spiel: Weiß zieht an; er zieht mit dem Springer an.
II Selten zu intransitiv "ziehen": Als wie nach Windes Regel / Anzögen weiße Segel (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Faust II,8163), heute intransitiv heranziehen; üblich angezogen kommen, ↑ "ankommen"(1).
Anzug früher in zahlreicheren Bedeutungen (z. B. Anzugspredigt Rabener, Nicolai, Jean Paul wie Antrittspredigt),
1 ⇓ "S029" heute im wesentlichen ›Kleidung des Mannes, bestehend aus Jackett (Weste) und Hose‹; um 1800 noch »das Ganze, was dazu gehört um vollständig gekleidet zu sein, den Schmuck nicht ausgeschlossen« (L033 Joachim Heinrich Campe), früher auch für Frauen: alle kleineren Stücke des Anzugs … Schuhe, Strümpfe, Strumpfbänder mit Devisen, Handschuhe (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Wahlverwandtschaften II 18; 20,400,13), daher auch Zusammensetzungen wie Damenanzug, Frauenanzug bis ins 19. Jahrhundert (L264 Daniel Sanders).
2 Zu intransitiv anziehen in Verbindungen wie ein Gewitter, Gefahr ist im Anzug.
3 Nur frühneuhochdeutsch ›Vorwurf, Bezichtigung‹; hierzu
anzüglich
1.1 ›vorwurfsvoll, stichelnd‹ anzügliche Reden (L308 Kaspar Stieler), heute mehr
1.2 ›zweideutig, anstößig, auf (für den Hörer) Unangenehmes anspielend‹ anzüglicher Scherz (L004 Johann Christoph Adelung); anzügliche Witze; anzüglich werden.
2 ⇓ "S235" Frühneuhochdeutsch bis um 1900 auch wie anziehend (s. oben), das synonymes frühnhd. anzügig ablöste; vgl. Mdlle Amalia Joanna Louisa … so habe ich gute Hoffnung, daß Ihr anzüglicher Name noch mehr in mein Netz ziehen wird (A101 Johann Georg Hamann, Briefwechsel 2,180); Vieles von dem Anzüglichsten der Schönheit liegt ganz außer den Gränzen derselben [der Malkunst] (A177 Gotthold Ephraim Lessing, E.Galotti 1,4); so auch Wieland, J.M.R.Lenz, Goethe (L092 GoeWb). Zu anzüglich(1) heute
Anzüglichkeit(1619; L060 2DWb) Anzüglichkeiten und Stichelreden (A075 Johann Wolfgang von Goethe, W.Meisters Theatralische Sendung 52,203,23), früher auch zu anzüglich(2).