Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
ander-
heute nur in flektierten Formen, ahd. / mhd. ander (so noch bei L200 Josua Maaler 1561), gemeingermanisch (engl. other), eine schon indogermanische Bildung aus an (vgl. lat. an ›etwa, ob‹) und einem Suffix -tero- (auch in altind. ántarah ›anderer‹);1 ursprünglich und noch frühneuhochdeutsch auch Ordinalzahl, in dieser Funktion nach und nach durch die junge Bildung der zweite (↑ "zweiter") verdrängt, vgl. da ward aus Abend und Morgen der andere Tag (Luther); das andere Buch Mose (Luther); daraus nach Analogie der übrigen Ordinalzahlen in der älteren Sprache neben andere die Form anderte, so noch in anderthalb (s. unten) neben drittehalb usw. (↑ "halb"); die alte Bedeutung liegt auch vor in selbander neben selbdritt usw. und in Wendungen wie ein andrer Orpheus (Schiller) (›ein Mann wie Orpheus‹), dafür heute zumeist ein zweiter;
2 in substantivischem und adjektivischem Gebrauch hat sich ander zum Ausdruck dafür erhalten, daß ein Gegenstand nicht derselbe ist wie einer, dem er gegenübergestellt wird, häufig als Gegensatz zu 1"ein": der eineder andere; ein jar umb das Ander (L200 Josua Maaler 1561); ein übers andere Mal, ein(er) und (oder) der andere (↑ 1"ein"), einer nach dem andern; oft mit Ellipse des Bezugsworts: ein Wort gab das andere; zusammengerückt ↑ "einander"; Flexionslosigkeit ist üblich in ein andermal;
3 in anderen Fällen ist die Verschiedenheit insbesondere auf die Qualität bezogen: er ist ein anderer Mensch geworden; es sind jetzt andere Zeiten; ich bin anderes Sinnes geworden; Von anderem wollte ich reden. Anderes ist nicht wichtig (A004 Ingeborg Bachmann, Gomorrha 210); das ist ganz etwas anderes; dazu anders(auch zu [2]) und ändern (s. unten); vgl. auch die eher euphemistischen Wendungen mir wird (ganz) anders (›schlecht, übel‹) und in andern Umständen sein (›schwanger‹);  
4 (veraltet) pleonastisch, neuhochdeutsch unter französischem Einfluß (sonst schon ahd. / mhd. : L012 Otto Behaghel, Syntax 1,350) zur Betonung von Gegensätzen, vgl. wir aber, wir andern Anfänger in der Dichtkunst (Lessing); ihr andern Fremden (Gegensatz: Einheimische) (Wieland; oft so bei ihm); wir Gelehrten achten euch andern Mädchen soso wie Monaden (Goethe); die fremden sehen die sache für allzuleicht an, wir andern nachbarn des berges sind schon zufrieden (Goethe; L059 DWb);
5 insbesondere in der philosophischen (Sozial-)Ontologie seit Hegel und Humboldt (zumeist mit Großschreibung) Gegensatz zu "etwas" oder im Sinne von ›alter ego‹, vgl. So ist das Andere, allein als solches gefaßt, nicht das Andere von Etwas, sondern das Andere an ihm selbst, d. h. das Andere seiner selbst.Solches seiner Bestimmung nach Andere ist die physische Natur; sie ist das Andere des Geistes (A113 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Wissenschaft der Logik 1.1.2.B.a); Der Mensch spricht, sogar in Gedanken, nur mit einem Andren, oder mit sich, wie mit einem Andren, und zieht danach die Kreise seiner geistigen Verwandtschaft, sondert die, wie er, Redenden, von den anders Redenden ab (1827 W.v.A137 Wilhelm von Humboldt, Dualis VI,27), aber schon bei L200 Josua Maaler: »Der ander / ich oder einer mir gleich«.
anders (ahd. ) ursprünglich adverbialer Genitiv zu ander, daneben früher (L200 Josua Maaler 1561) und noch mundartlich anderst (vgl. einseinst), zur landschaftlich sehr unterschiedlichen Aussprache (beim Auslaut und der mittleren Konsonantengruppe) vgl. L066 Jürgen Eichhoff, Karte 4–69; neben dem Verb im Anschluß an ander-(3): er spricht anders, auch prädikativ: es ist anders; Und er fügte noch, in der größeren Stille, leiser hinzu: »Weil es eigentlich ganz anders war. Alles war doch ganz anders « (A004 Ingeborg Bachmann, Wildermuth 219); bemerkenswert es kann nicht anders alses muß‹, vgl. kann es für den Verfasser nicht anders als schmeichelhaft sein (Wieland); sogar der Argwohn, welchen ein erlogener Umstand auf jeden andern Umstand nicht anders als werfen kann(Lessing); wodurch wir nicht anders als lebendigen Einfluß auf den fernen Westen zu gewinnen hatten (Goethe); ferner neben dem Indefinitpronomen, dann gewöhnlich im Anschluß an ander-(2): jemand, niemand, (irgend-)wer anders (zu unterscheiden von etwas, nichts anderes, wo anderes substantiviertes Adjektiv ist, flektiert mit nichts anderem; allerdings wird beides miteinander vermischt, indem neben anderes früher auch die synkopierte Form andersbestand, die als ursprünglicher Genitiv unverändert blieb, vgl. bei Lessing in nichts anders; bei Goethe von nichts anders; bei Klinger von was anders; umgekehrt bei Goethe jemand andern als Ihnen; so noch heute); neben Adverbien: irgendwo anders, anderswo, nirgend(s) anders; neben dem Fragepronomen und Frageadverb: wer, was, wo, wozu anders; frühneuhochdeutsch nähert es sich dem Charakter einer Konjunktion, indem es wie andernfalls, "sonst" gebraucht wird: laß mein Volk … Ich will anders alle meine Plagen über dich senden (Luther); man fasset nicht Most in alte Schläuche, anders die Schläuche zerreißen(Luther). Wie sonst wurde anders im hypothetischen Vordersatz verwendet, vgl. habe ich anders Gnade vor deinen Augen gefunden (Luther); stimmt Ihr anders ein (Wieland).
ander(er)seits meist in der Verbindung einerseits … andererseits, mhd. einersit … andersit; Genitiv-s seit dem 17. Jahrhundert: »Einerseits«, erwiderte Scheffelweis, »gewiß nicht.« … »Andererseits gewiß.« (H.A182 Heinrich Mann, Untertan 218); anderseits heute besonders schweizerisch/ österreichisch.
anderthalb (↑ "halb") mit spätmhd. sekundärem -t-wie in "meinethalben" usw.
anderwärts (L037 Petrus Dasypodius 1536) ↑ -{{link}}wärts{{/link}}, zunächst Richtungsbezeichnung, vgl. noch ihn ruft sein Schicksal anderwärts (Wieland), jetzt wie anderswo.
anderweit aus mhd. anderweidezum zweiten Mal‹ (zu 2"Weide"); im Neuhochdeutschen zunächst in der Kanzleisprache, in der Bedeutung ›anderwärts‹, ›sonst‹, wohl unter Anlehnung an "weit"; Lessing gebraucht anderweits, früher zuweilen mit adjektivischer Flexion ein anderweiter usw.; im Gegensatz zum kaum noch gebräuchlichen anderweit(s) ist das abgeleitete Adjektiv
anderweitig (1641; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt) als Adjektiv und Adverb durchaus noch üblich.
ändern (mhd. ) zu ander-(3); früher gelegentlich intransitiv, wie heute sich ändern öfters bei Haller, z. B. der Auslauf ändert nur; vgl. ferner ihr wechselt zwar, doch ändert nicht (L092 GoeWb); dies freundliche Verhältnis ändre nie (Tieck); wie rasch die Dinge ändern(G.Keller), ↑ "verändern".
Änderung mhd. anderunge, ›Veränderung, Wechsel‹, im aktivischen Sinn Gesetzesänderung, Änderungsschneiderei, zu intransitiv ändern z. B. Wetteränderung.
unabänderlich
1 Gottsched grammatisch für indeclinabilis, so im 19. Jahrhundert wieder veraltet;
2nicht zu ändern, feststehend‹, gewöhnlich mit Abstrakta: was eine unabänderliche Nothwendigkeit unwiderruflich zu fordern schien (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Wahlverwandtschaften 20,324,4).
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