Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
an
indogermanische Präposition und Adverb (griech. aná), ahd. an(a).1 Als Adverb steht es in enger Verbindung mit einem Verb (s. unten). In selbständigerer Stellung stehen dafür die Verbindungen ↑ "heran", ↑ "hinan", letzteres ursprünglich dem ersteren entsprechend, vgl. Gorgias rückte bei Nacht heimlich hinan an der Juden Lager (Luther); bis daß wir alle hinan kommen zu einerlei Glauben (Luther). Bloßes an steht noch in verkürzten Aufforderungen oder Aussagen wie Schuhe an!, das Licht ist an, ferner in
ab und an (↑ "ab"). In der Bedeutung ›aufwärts‹ steht es in enger Verbindung mit einem Substantiv: bergan, entstanden aus Sätzen wie er geht den Berg (Akkusativ der Erstreckung) an; danach poetisch himmelan (zuerst bei Neumark), felsenan, wolkenan, sternenan u. a.; vgl. bergab usw. Den temporalen oder lokalen Ausgangspunkt bezeichnet es in der Verbindung von (jetzt, Köln usw.) an (frühnhd.). Verschmolzen mit anderen Adverbien erscheint es eine Ruhelage (wie ursprünglich) bezeichnend in anbei, obenan, untenan, vornean, hintenan, nebenan; eine Richtung bezeichnend, ohne daß noch an einen Ort gedacht wird, an den eine Annäherung stattfindet, in voran; den Beginn ausdrückend in fortan, ferner auffordernd in wohlan.
2 Als Präposition wird an(wie in, auf, über usw.) dann mit dem Dativ verbunden, wenn das durch an bezeichnete Verhältnis als schon bestehend, aber mit dem Akkusativ, wenn es als erst herbeigeführt gedacht wird: der Zug ist an der Grenzeder Zug kommt an die Grenze; aber früher auch: ließ er ihn an die Stätte begraben, die er sich erwählt hatte (heute: an der) (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Werther 19,191,19). Ursprünglich bezeichnet an räumliche Berührung. Eingeschränkt ist der Gebrauch von an durch auf da, wo die Berührung von oben her stattfindet; mittelhochdeutsch und noch frühneuhochdeutsch kann man sagen an dem Grase sitzen, sich an das Gras setzen; als Reste des älteren Gebrauchs sind zu betrachten an dem (das) Ufer, an der (die) Küste, an der (die) Stelle, an dem (den) Platz(e), Ort(e), ans Land (vom Wasser aus), anstatt, auch sagt man noch bis an den Boden neben bis auf; südostdt. am Landauf dem Land‹ (im Gegensatz zur Stadt). Bei der Übertragung auf die Zeit bleibt der ursprüngliche Sinn der Berührung mit etwas in bis anmit Akkusativ; unter den dativischen Bestimmungen es ist an der Zeit; am Mittag, Abend, Morgen zwar ursprünglich gedacht als ›in der Nähe des Mittags usw. als eines einzelnen Zeitpunktes‹, desgleichen am Anfang, am Ende, dies wird aber nicht mehr empfunden, und man sagt weiter auch am (dritten) Tage, dem in der Nacht entspricht (frühneuhochdeutsch auch an der andern Nacht, desgl. am dritten Monat u. a.); besonders süddeutsch ist an Ostern u.dgl. (schweizerisch auch an der Ostern, vgl. L066 Jürgen Eichhoff, Karte 3–58; ↑ "Ostern"), vgl. bei Goethe an Michael, an jenem Fest. Auf die Vorstellung der Berührung mit etwas geht auch zurück der Gebrauch bei ungefähren Quantitätsbestimmungen: es sind an die 100 Jahre (wie gegen 100 Jahre). Viele Verbindungen, in denen an lokal ist, werden übertragen gebraucht: es ist an ihm (zu reden oder dgl.); es (die Schuld) liegt an dir (am Wetter); er hat Helfer an der Hand; es ist am Platz; ans Werk, an die Arbeit gehen; an die Hand gehen usw. Hiervon zu unterscheiden sind solche Verbindungen, bei denen das lokale Verhältnis von vornherein nur übertragen verstanden werden kann: ich täte es an seiner Stelle; jmdm. etwas ans Herz legen; ich lobe, tadle, es gefällt mir an ihm; daran ist kein wahres Wort; er arbeitet an einem Drama. Der lokale Charakter von anschwindet schließlich ganz, und es wird zu einem allgemeinen Mittel, eine Beziehung zu etwas auszudrücken, woran sich dann Nebenvorstellungen verschiedener Art anschließen können. Vgl. am Leben sein; er hat daran zu tragen; ich habe viel an ihm; ich habe genug daran; ich habe wenig an ihm (daran) gewonnen, verloren; ähnlich sind Wendungen wie wir fanden einen alten, freundlichen Mann an dem Kapitän (Thümmel); ich lernte einen artigen und gefälligen Mann an ihm kennen (Thümmel).; A075 Johann Wolfgang von Goethe wagt sogar daß ich an dir ein schuldvoll Haupt beschütze (Iphigenie 285); an jmdm. schlecht handeln, sich vergehen, sich versündigen, zum Verräter werden; an etwas teilhaben, teilnehmen; Lust, Vergnügen, Freude, Gefallen an etwas; arm, reich an etwas; etwas an etwas erkennen, merken, fühlen, sehen usw.; es fehlt an, Mangel an; an etwas schuld sein; krank an etwas; an etwas leiden, sterben, zugrunde gehen; partitiv was ich an Erfreulichem habe, an Geld bieten kann usw.; neben dem Superlativ am ehesten, längsten usw. Die Verbindung an sichper se, eigentlich‹ (Anfang des 18. Jahrhunderts) ist wohl gekürzt aus den älteren an sich selbst, an und für sich. Hier mögen noch einige Beispiele von Verwendungen angeführt werden, die jetzt unüblich geworden sind: daß Stosch an einem zweiten Teile dieses Werkes gesammelt (Lessing) (vgl. an etwas arbeiten); woran ich wirklich angefangen habe (Goethe); wie an dem neulichen Vorschlag Danneckers erhellet (Goethe); an ihrem Vater erschrickt meine Tochter (Schiller); wie wir an der Unmittelbarkeit des Ausdrucks vermuten (Goethe); ob ich mich an ihm irre (Goethe); verbreitet ist im 18. Jahrhundert an etwas Ursache sein. Nicht so mannigfach entfaltet sich der Gebrauch von an mit Akkusativ: an etwas glauben, denken, (sich) erinnern, mahnen, sich an jmdn. wenden. Jetzt ungewöhnliche Verwendungen: Hoffnung an ein Wirken (Goethe, Briefe); die Franzosen scheinen an die Schweizer Händel zu suchen (Goethe, Briefe); seine Verachtung an meine Qual und meinen Scharlach zu tauschen (Schiller). Vielfach ist die Konstruktion mit anan die Stelle einer älteren mit einem Kasus ohne Präposition, namentlich dem Genitiv getreten. Ein Adverb ist von an abhängig in anheim; die Kanzleisprache liebte Verbindungen wie anhier, anwo, anjetzt, annoch. (L012 Otto Behaghel, Syntax 2,53). Zu am für an dem ↑ "der".
3 Den unfesten Zusammensetzungen liegt meist die ursprünglich lokale Bedeutung von an zugrunde, wenn auch das Ganze nicht selten übertragene Bedeutung hat. Intransitive Verben können in der Zusammensetzung mit anintransitiv bleiben; so die wenigen, in denen an eine Ruhelage bezeichnet, neben denen dann ein ursprünglich von an abhängiger Dativ zu stehen pflegt, wie anhaften, ankleben, anhangen, "anstehen"(1), "angehören"; ohne Dativ, außer in poetischer Sprache, angrenzen; ferner solche, in denen an eine Richtung bezeichnet, so anklopfen, anpochen, "anfahren", "angehen"(1), "ankommen"(1), "anlaufen"(1), anrennen, anrücken, "antanzen", anstürmen, andringen, "anstoßen"(4), anprallen, anrollen, anfluten, "antreten", "anstreben", ankämpfen, anwurzeln, "anwachsen", die nicht mit einem von an abhängigen Dativ verbunden werden, sondern eventuell mit Präpositionen (an, gegen u. a.), abgesehen von dem Partizip angewachsen (die Flügel sind ihm angewachsen, dagegen an die Mauer angewachsen). Transitive Verben behalten meist die gleiche Art des Objekts wie das einfache Wort; in wenigen bezeichnet an eine Ruhelage, und zwar in bezug auf das Subjekt in "anhaben" (ein Kleid), anbehalten, "anlassen"(1), "antragen"(1), in bezug auf eine andere Person, die durch den Dativ ausgedrückt wird, in "anmerken", "anfühlen", anhören, "ansehen", anriechen, anspüren (man spürt dir noch immer an, daß du ein Gelehrter bist Goethe); in den meisten drückt aneine Richtung aus, auf das Subjekt in "annehmen"(1), ankaufen, anlocken, anködern, "anziehen"(2), angelernt; bald auf das Subjekt, bald auf einen anderen Gegenstand in "antun"(1a), "anziehen"(3), "anlegen"(1), "anstecken"(1), "anhängen", angürten, anschnallen, "anbinden"; auf einen anderen Gegenstand, außer wo etwa die Richtung auf das Subjekt ausdrücklich durch das Reflexivpronomen angegeben ist, in "anbringen" (außer ich kann den Schuh usw. nicht anbringen), "anlegen"(2), "ansetzen", "anstellen", "anstecken"(3), "anhalten", "anlehnen", anstemmen, andrücken, anschmiegen, anranken, anschlingen, "anschlagen", anwerfen, annageln, anklammern, anschmieden, "anspannen"(2), "anknüpfen", anheften, ankleben, anheilen, anstricken, anfügen, anreihen, "anwenden", "annähern", "anfahren", anschieben, anrücken, "anstoßen"(1); anschwemmen, ansiedeln, "anschreiben", "anbauen" u. a. (teilweise reflexiv); wird der Gegenstand, auf den die Richtung geht, ausdrücklich bezeichnet, so steht er neben den angeführten Verben meist im Dativ, wenn er ein lebendes Wesen ist, sonst wird er mit anangeknüpft; nur mit Dativ erscheinen zunächst Verben, die schon ohne die Zusammensetzung mit an einen Dativ bei sich zu haben pflegen: "anbieten", anbefehlen, anempfehlen, "angeloben", "anvertrauen", ankünd(ig)en, anmelden (doch daneben bei jmdm. anmelden), "anzeigen", "anweisen"(3), anbequemen, "aneignen", "anpassen", "antun"(2), auch "ansagen", anpreisen, ferner einige, neben denen der Dativ erst durch an möglich wird: "anschaffen" (starkes Verb), "andichten"; andere, bei denen die Richtung auf eine Tätigkeit geht, werden mit zu verbunden: "anschicken", "anführen", "anleiten", "antreiben", anhetzen, "anregen", "anreizen", "anspornen", "anstacheln", "anlassen"(3), anmahnen. Bei einer anderen Gruppe von Zusammensetzungen mit transitiven Verben geht diese Richtung auf das Objekt, welches daher ebensowohl als von an abhängig gedacht werden kann, eine Auffassung, die vorzuziehen sein wird, wo die betreffenden Verben auch intransitiv gebraucht werden, vgl. "anbeißen", anfressen, annagen, anhauen, "anschneiden", "anstechen", "anschießen" (ein Wild), "anstoßen"(2), "anfassen", "angreifen", anpacken, "anfangen", "antreffen", anrauchen, anhören, "ansehen", "anschauen". Eine große Anzahl von intransitiven Verben nehmen in der Zusammensetzung mit an einen eigentlich von diesem abhängigen Akkusativ zu sich, vgl. "anfahren", "ankommen"(2), "angehen"(2), "antreten"(2), "anlaufen"(2), anrennen, "ansprengen"(1), "anwandeln", "anfallen", "anrühren"(1), anatmen, anblasen, anhauchen, anwehen, anschnauben, anrauchen, anstinken, anspeien, anspucken, angeifern, angähnen, angrinsen, anlachen, anlächeln, anschmunzeln, "anreden", "ansprechen"(1), "anrufen", anschreien, ansingen, anbrummen, anbellen, anblöken, anbrüllen, "anbeten", anbetteln, anflehen, anblicken, angucken, anstarren, anstaunen, angaffen, anglotzen, anäugeln, anblinzeln, anscheinen, anstrahlen, anglühen, andonnern, anspritzen, anwedeln, "anklagen", "anfechten", "anstreben", anzweifeln, "anwidern". Im Mittelhochdeutschen steht häufig ein von anabhängiger Akkusativ noch neben einem vom Verb regierten; Nachwirkungen davon im Neuhochdeutschen siehe unter "antun"(1), "anziehen", "annehmen"(1); meist ist der Dativ dafür eingetreten. Verschieden davon ist ein Akkusativ, wie ihn auch sonst mit Richtungsbezeichnungen verbundene intransitive oder eine andere Art von Akkusativ regierende Verben zu sich nehmen können, der nicht den Gegenstand bezeichnet, auf den die Richtung geht, vgl. etwas anflicken, jmdm. etwas anerziehen; reflexiv sich anbauen, ankaufen, ansaugen, anschmeicheln, wozu die Partizipien angetrunken, angezecht; mit reflexivem Dativ sich einen Rausch antrinken, sich einen Bauch anfressen u.dgl., damit zu vergleichen angeheiratetes Vermögen, angeheiratete Kinder. Subjektsvertauschung ist eingetreten bei angeboren sein. Von Bedeutungsmodifikationen, die an in Verbalzusammensetzungen zeigt, sind noch folgende hervorzuheben. Zuweilen bezeichnet es wie in berganeine aufwärtsgehende Richtung, vgl. ansteigen; daran schließt sich wohl auch an der Gebrauch in "anwachsen", anschwellen, anfüllen, anhäufen, ansammeln. Annäherung in bezug auf den Zustand bezeichnet es in angleichen, "anpassen". Zuweilen drückt es den Eintritt eines Zustands, das Beginnen mit einer Tätigkeit aus, vgl."anbrennen", anfaulen, anschimmeln, anblühen (Klopstock), "anstimmen", "angeben" (beim Kartenspiel), "anspielen", anwerfen (beim Würfeln), anschieben (beim Kegelspiel), anbrühen, anbraten, anräuchern, anbrüten, anfeuchten, ansäuern, "anschwärzen", anbräunen u. dgl. Die Fortdauer eines Zustands in andauern, "anhalten" (Regen). Zuweilen werden die Zusammensetzungen mit annicht getrennt, vgl. er anempfahl ihr (G.Keller); Anerkennst Du seine Macht? (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Prometheus 1,45); heute vielfach auch aus Rationalisierungs- und Systematisierungsstreben gebraucht (wie schon im 19. Jahrhundert – nach J.Grimm – von Kaufleuten und Rednern). L060 2DWb2,714ff. Zu den Bedeutungsgruppen der unfesten Zusammensetzungen vgl. noch W.Henzen, Die Bezeichnung von Richtung und Gegenrichtung im Deutschen (1969), 244ff.
4 Nominale Zusammensetzungen geht anmit Zustands- und Tätigkeitsbezeichnungen ein, die sich dann an die entsprechenden verbalen Zusammensetzungen anlehnen, vgl. "Anblick", "Anfall", "Angriff", "Angabe", "Annahme", "Ankunft" u. v. a. Auch "Anzahl", "Anzeichen" sind an Verben angelehnt. vereinzelt sind andere Zusammensetzungen: "Angesicht", "Anrecht". Vgl. auch "ähnlich", "ähneln".
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