Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
ab
indogermanische Präposition und Adverb (engl. of, griech. ápo/ apó, lat. ab), ahd. aba, mhd. ab(e). Die Form abe noch bei Luther, adverbial (2) im Sinne von ›hinab‹ altertümelnd noch bei A222 Friedrich Schiller (Abe, abe, weißer Schädel! mürbe Knochen, fahret in die Grube, Räuber 4,3) und A075 Johann Wolfgang von Goethe (Wasserstrom, der abestürzt, Faust II,11911; mit abegewendetem Blick, Pandora 762 u. 778).1 Als Präposition ist es durch vonverdrängt, welches seinerseits nicht als Adverb und in Zusammensetzungen gebraucht wird, so daß sich diese beiden gegenseitig ergänzen, während sonst die verschiedenen Funktionen durch das gleiche Wort besorgt werden, vgl. "an", "auf", "aus" usw. Erhalten ist ab als Präposition in südwestdeutschen Mundarten, v. a. in der Schweiz, und erscheint so auch noch bei neueren Schriftstellern, häufig bei Pestalozzi, vgl. das Vieh ab der Weide zu holen; dann betete der Rudeli ab Tische (sprach das Gebet nach dem Essen), ferner bei J.P.Hebel, noch bei Mörike ab dem Pfade. Ein Rest in der Schriftsprache steckt in ↑ "abhanden" (ursprünglich ›von den Händen‹) und in den ursprünglich südwestdeutschen kaufmännischen Ausdrücken Waren ab Lager (1822), ab Hamburg, ab heute usw. (vgl. L217 MuSpra 1950,51; ab der Post Lavater, J.P.Hebel; L060 2DWb); eingewirkt hat wohl lat. ab (vgl. "per").
2 Adverbiales abwird vor dem Verb (wie andere Adverbien, vgl. "an", "auf", "aus" usw.) mit diesem zusammengeschrieben; die Verbindung gilt als Zusammensetzung, obwohl die Elemente nach den allgemeinen Gesetzen der Wortstellung auch getrennt und umgestellt werden (abzubrechen, er bricht ab). Wir nennen derartige Verbindungen unfeste Zusammensetzungen. Es bleiben daher nur wenige Fälle, in denen abals selbständiges Wort aufgefaßt wird. So steht es seit dem 19. Jahrhundert ohne Verb in Aufforderungen: ab ins Bett usw., schon im 18. Jahrhundert in Bühnenanweisungen: Karl ab (›geht ab‹). Lockerer ist die Verbindung mit dem Verb, wenn abnoch eine nähere Bestimmung erhält: das Dorf liegt weitabvon der Stadt. Ferner steht abin enger Verbindung mit einem anderen Adverb:
⊚⊚ ab und zu (frühnhd. räumlich ›hinweg und herbei‹: die Leute gingen ab und zu), heute auf die Zeit übertragen ›zuweilen‹; die gleiche Übertragung bei ab und an. Endlich ist es selbständig in den Verbindungen von hier (da) ab, auf die Zeit übertragen von nun (jetzt usw.) ab (häufiger an). Dazu kommen Verwendungen, in denen abals Gegensatz zu "auf" eine Richtung nach unten bezeichnet. Früher konnte einfaches ab diesen Sinn haben: Hals ab, Kopf ab schon mhd. / frühnhd. (L060 2DWb); den Hut ab (Harsdörffer; L060 2DWb); ferner Gewehr ab; (im Leben geht es) auf und ab; veraltet auf oder abfrüher oder später‹ (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Werther 19,154,20). Dieses abwurde mittelhochdeutsch mit einem Akkusativ der Erstreckung verbunden: den Berg ab; A075 Johann Wolfgang von Goethe wagt noch: Es blitzen Waffenwogen / Den Hügel schwankend ab (Die glücklichen Gatten 66). Ohne Artikel in enger Verbindung allgemein üblich bergab, auch treppab als Gegensatz zu treppauf; poetisch sind andere Verbindungen, z. B. bei Goethe felsenab, fingerab, meerab, bei G.A.Bürger höllenab. Ferner ⇑ "herab", "hinab", "abwärts".
3 Über die unfesten Zusammensetzungen muß hier das Allgemeine zusammengefaßt werden. (Feste Verbzusammensetzungen kommen bei ab nicht vor.) Unter den Zusammensetzungen mit abbezeichnen die intransitiven gewöhnlich
3.1 eine Entfernung des Subjekts von dem Punkt, an dem es sich bis dahin befunden hat; meistens drückt dann das Verb an sich eine Bewegung aus, vgl. "abgehen", "abfahren", abreisen, "abfallen", abfließen usw., oder eine Trennung, vgl. "abbrechen", "abreißen", abplatzen, abbröckeln; doch gibt es auch andere Fälle, vgl. abfaulen, abrosten. Einige drücken
3.2 die Entfernung von einem anderen Gegenstand aus, der durch von angeknüpft werden kann, vgl. "absehen"(6), "abraten", oder durch den Dativ, vgl. "absagen"(1), "abschwören"(1). Unter den transitiven sind einige, bei denen
3.3 die Entfernung von dem Subjekt verstanden wird, vgl. "abgeben"(2), "ablegen", "abtun"(1), abliefern, "absenden", abschicken, "abfertigen", "abordnen", "abschießen", "abschlagen"(4), "absetzen"(2), ablagern, "ablassen", "abstoßen", "abwerfen", "abweisen", "ablehnen", "ableugnen", abbüßen. Die meisten beziehen sich auf
3.4 Entfernung von einem anderen Gegenstand; dieser kann, wenn er eine Person ist, durch den bloßen Dativ, sonst durch vonangeknüpft werden: jmdm. den Hut "abnehmen", aber den Rahm von der Milch abnehmen, jmdm. ein Ohr "abhauen", aber einen Zweig vom Baum abhauen. Hierher gehören abbekommen, abkriegen, "abbringen", abfangen, "abführen", "ableiten", ablenken, abholen, "abheben", abtrennen, "abscheiden", abbeißen, "abbrechen", "abreißen", "abschneiden", abhacken, "abhauen", "abessen", abfressen, abdrängen, "abdrücken", abdrehen, "abknöpfen", absatteln, abschnallen, abpressen, "abkaufen", abverdienen, "abzahlen", abborgen, abfordern, abverlangen, "abhören", abhorchen, "absehen"(3), ablernen, abmerken, "abmahnen", "abschrecken" u. a.; in einigen Zusammensetzungen ist nicht ein Entfernen, sondern nur ein
3.5 Trennen, Verhindern des Verkehrs ausgedrückt: "abschließen", absperren. Neben den genannten steht ein Objekt, welches auch neben dem einfachen Verb stehen könnte.
3.6 In anderen Fällen ist ein abhängiger Akkusativ erst durch die Zusammensetzung bedingt, während das einfache Verb intransitiv ist oder eine andere Art von Objekt neben sich hat; bei diesen Verben pflegt außerdem ein Dativ zu stehen; vgl. abbetteln, "abbitten", "abdingen", "abhandeln", abjagen, ablocken, abnötigen, abschmeicheln, abschwatzen, abtrotzen, abzwicken, abzwingen, abfragen, ablauern, abgucken, ablauschen, "abluchsen", "abstreiten", abdisputieren, abdarben, "abfahren" (jmdm. den Fuß), "ablaufen" (sich die Schuhsohlen, die Hacken), "abknapsen", "abgewöhnen".
3.7 Bei einer Anzahl von Verben kann nicht nur das, was beseitigt wird, als Objekt stehen, sondern auch das Bleibende, woran jenes ursprünglich haftet, vgl. abfegen (den Staub, den Tisch), abkehren, abputzen, "abreiben", abscheuern, abwischen, abwaschen (↑ "waschen"), abspülen (↑ "spülen"), abbürsten, abklopfen, "abkratzen", abschaben, abschälen, abschleifen, "abblasen", ablesen (vgl. lasen ab ihre Weinberge Luther), abpflücken (vgl. wenn ein Ölbaum abgepflücket ist Luther), abernten, abbrühen, absengen, abladen (die Last, den Wagen); abseifen meistens nur mit der zweiten Objektsart.
3.8 Das, wovon etwas fortgenommen wird, steht auch als Objekt bei einigen aus Substantiven abgeleiteten Verben, die meistens außerhalb der Zusammensetzung nicht vorkommen, wobei dann das Fortgenommene der durch das zugrunde liegende Substantiv bezeichnete Gegenstand ist, vgl. abbasten (einen Baum abbastenden Bast davon abschälen‹), abbeeren, abeisen (einen Teich), abgrasen, abhäuten, abholzen, abrahmen (die Milch), absahnen, abschuppen (einen Fisch), abstäuben.
3.9 Bei einigen intransitiven aus Nomina abgeleiteten Verben steht als Subjekt dasjenige, wovon sich etwas loslöst, vgl. abfärben, abblättern u. a. Verschiedene Modifikationen der Bedeutung von ab treten ein.
3.10 Die Vorstellung der Richtung nach unten kann hinzutreten, so daß es Gegensatz zu "auf" wird (s. oben [2]), vgl. absitzen (vom Reiter), "absteigen", "abspringen", "abwerfen" (vom Pferd), "abstürzen".
3.11 In einigen Zusammensetzungen besagt ab, daß das Muster von dem als Objekt stehenden Gegenstand genommen wird, vgl. "abschreiben", "abbilden", "abdrucken", abformen, abgießen, abgucken, abklatschen, abmalen, abschildern, "abschmieren", abspiegeln, abzeichnen.
3.12 Das Zurücknehmen einer früheren Nachricht oder Anordnung ist ausgedrückt in "absagen" (einen Besuch u.dgl.), abbestellen.
3.13 Ein Abweichen von einem früheren Zustand in abändern, "abwandeln", "abwechseln".
3.14 In vielen Fällen ist durch die Zusammensetzung mit ab der Sinn erzeugt, daß der Vorgang, den das Verb ausdrückt, sich vollständig, bis zu Ende vollzieht. Intransitiva, die hierher gehören, sind "ablaufen" (die Uhr, die Zeit ist abgelaufen), "abgehen" (ohne Schaden u.dgl.), "abrechnen", "aburteilen", "abstimmen", "abbrennen", abglimmen (Goethe), abblühen (die Wiesen haben abgeblühtdie Blüte ist vorüber‹ Gaiser; L097 GWb), "ableben".
3.15 Dagegen ist in "absterben", abbleichen, "abmagern", abtrocknen vielmehr ein allmähliches Schwinden ausgedrückt.
3.16 Häufig ist bei Transitiven das Zuendebringen durch ab ausgedrückt, vgl. "abmachen", "abtun"(3), "abhalten" (eine Versammlung), abbeten (z. B. die Litanei), "abblasen" (einen Marsch), absingen, ableiern, "abspielen", abschlachten, abwürgen, "abspeisen", abfüttern, "abkochen", "abwägen", "abmessen", abschätzen, "abzählen", abstempeln, "abstrafen", abhetzen, "abhärten", "abklären", abrunden, abplatten, abflachen, abschrägen, "abstumpfen", abweißen (Goethe), während
3.17 in abkühlen, "abkürzen", abmatten, abschwächen, abtöten eher ein allmähliches Vermindern ausgedrückt ist.
3.18 Der Sinn einer Beschädigung durch zu anhaltende Ausübung einer Tätigkeit liegt in abbrauchen, abnutzen, abgreifen (adjektivisch abgegriffen), absingen (eine abgesungene Stimme), abreiten (ein Pferd), "abtragen"(4), "abtreten"(4). Ähnlich verhält es sich mit den reflexiven sich "abarbeiten", abärgern, abgrämen, abhärmen, absorgen, abmühen, abplagen, abquälen, abschinden.
3.19 Auch das Vollständigkeit oder Übermaß bezeichnende ab ruft zuweilen Konstruktion mit einem Akkusativ hervor, wie er bei dem einfachen Verb nicht immer möglich ist, vgl. absitzen (eine Strafe), abdienen (sein Militärjahr), absuchen (ein Feld), abreiten (die Front), "ablaufen" (die Straßen), "abpassen" (die Gelegenheit), abwarten(2), abknutschen. Die verschiedenen Bedeutungen, welche manche Zusammensetzung hat, erklären sich z. T. aus verschiedener Bedeutung von ab, vgl. einen Pfeil abschießen (Richtung vom Subjekt weg) – den Vogel abschießen (von der Stange); etw. steuerlich abschreibenein Gedicht abschreiben jmdm. abschreiben (eine Zusage schriftlich zurücknehmen) – sich die Finger abschreiben; Beeren absuchenein Haus absuchen usw. In anderen Fällen liegt verschiedene Bedeutung des einfachen Verbs zugrunde, z. B. "abziehen" transitiv – intransitiv. Wieder in anderen hat erst die Zusammensetzung Bedeutungsentwicklungen nach verschiedenen Richtungen gehabt, z. B. "absetzen".
4 Nominale Zusammensetzungen mit ab können die sogenannten nomina actionis (Tätigkeitsbezeichnungen) eingehen, vgl. Abfahrt, "Abgang", Abreise, "Abbitte" usw., die in ihrer Bedeutung den jeweiligen unfesten verbalen Zusammensetzungen entsprechen. Dazu kommen noch einige andere: "Abgott", "Abgrund", "Abart", "Abweg", "Abschaum", "Abzeichen", "Abbild", "Abdruck", von denen sich einige auch an Verben anlehnen ("abbilden", "abdrucken"). Eine adjektivische Zusammensetzung ist abhold. Als Ableitungen aus nominalen Zusammensetzungen sind die mit ver- zusammengesetzten Verben "verabreden", verabscheuen, "verabschieden", "verabfolgen" aufzufassen, nach denen dann "verabsäumen", "verabreichen" gebildet sind. E.Wellander: Die Bedeutungsentwicklung der Partikel ab in der mittelhochdeutschen Verbalkomposition (1911); W.Henzen: Die Bezeichnungen von Richtung und Gegenrichtung im Deutschen (1969) 218ff.; R.Tippe: Untersuchungen zur Struktur der Partikelverben mit ab-in der deutschen Sprache der Gegenwart, (Diss.) 1976; L060 2DWb1,1337ff.
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