Duden Richtiges und gutes Deutsch
Verbalabstraktum
Häufig gestellte Frage zu den VerbalabstraktaFrage Antwort unter
Heißt es Renovierung oder Renovation, Isolierung oder Isolation? dieser Artikel, Punkt (1.5)
1 Verbalabstrakta auf -ung
1.1 Gehäufte Anwendung
1.2 Stilistisch unauffällige Verwendung
1.3 Verwendung des substantivierten Infinitivs
1.4 Verwendung anderer Substantivformen
1.5 -ierung / -ation
2 Das Verbalabstraktum im Satz
Unter einem Verbalabstraktum versteht man ein Substantiv, das von einem Verb abgeleitet ist. In seiner Grundbedeutung bezeichnet es entsprechend der Verbbedeutung einen Vorgang oder eine Handlung (Nomen Actionis):
schlafen - Schlaf, werfen - Wurf, ablegen - Ablage, ernennen - Ernennung, schreiben - Schreiben.
Ein Verbalabstraktum kann auch das Ergebnis einer Verbalhandlung bezeichnen, sowohl abstrakt wie konkret (Nomen Acti):
der beste (Speer)wurf, ein Wurf junger Hunde; Ihr Schreiben vom 5. März.
Oder es kann zur Raum- oder (kollektiven) Personenbezeichnung werden:
eine Wohnung (zu: wohnen) mieten, in der Räucherei (zu: räuchern) arbeiten, eine Abordnung (zu: abordnen) von Schülern, die Bedienung (zu: bedienen) rufen.
Die produktivsten Typen des Verbalabstraktums sind der substantivierte Infinitiv und die Substantive auf -ung, bei den Fremdwörtern außerdem die Substantive auf -ion.
1 Verbalabstrakta auf -ung
Unter den Verbalabstrakta nehmen die Substantive auf -ung eine besondere Stellung ein. Da man mit dem Suffix -ung zu zahlreichen Verben, vor allem auch zu Präfixverben und Verben mit Verbzusatz, Substantive bilden kann, werden diese Bildungen so häufig gebraucht, dass manche Stilisten von einem die deutsche Sprache verunstaltenden »ung-Stil« sprechen. In der Tat ist die Zahl der Verbalabstrakta auf -ung überaus groß. Diese Bildungen haben seit Jahrhunderten einen festen Platz in der deutschen Sprache und gehören heute allen oben genannten Bedeutungsgruppen an, d. h., sie bezeichnen nicht nur Handlungen, sondern auch deren Ergebnis oder sind zu Sach-, Raum- oder Personenbezeichnungen geworden:
Erforschung, Läuterung, Zermürbung, Beschaffung, Wertung; Lähmung, Ordnung, Behauptung, Verlobung; Radierung, Zeichnung, Pflanzung, Kleidung; Wohnung, Siedlung; Bedienung, Abordnung, Innung.
1.
1 Gehäufte Anwendung
Gegenstand der Kritik sind in erster Linie die Handlungsbezeichnungen auf -ung, nicht die Sach-, Raum- oder Personenbezeichnungen. Die Kritik ist nicht grundsätzlicher Art, man sollte es aber aus stilistischen Gründen vermeiden, Verbalabstrakta auf -ung in einem Satz zu häufen. Also nicht:
Die Beobachtung und Erforschung der wirtschaftlichen Entwicklung sind die Voraussetzung für die Schaffung eines Hilfsprogramms.
Stilistisch unschön ist im Allgemeinen auch der Gebrauch eines Verbalabstraktums auf -ung in Verbindung mit einem Funktionsverb anstelle eines einfachen Verbs:
Die Verhaftung des Mannes erfolgte im Gerichtssaal. (Besser:) Der Mann wurde im Gerichtssaal verhaftet. Das Vorhaben wird bald zur Durchführung gelangen. (Besser:) Das Vorhaben wird bald durchgeführt werden. Die Waren können erst morgen zur Verteilung gelangen. (Besser:) Die Waren können erst morgen verteilt werden.
Ausgesprochen unschön und schwerfällig sind die Ableitungen auf -ung aus syntaktischen Fügungen:
Zurverfügungstellung, Inbetriebsetzung, Verantwortlichmachung, Nichtbeachtung usw. (Nicht:) Bei Nichtbefolgung der Anweisungen ... (Sondern:) Wenn die Anweisungen nicht befolgt werden ... (Nicht:) Unter Außerachtlassung aller Vorsichtsmaßregeln ... (Sondern:) Ohne die Vorsichtsmaßregeln zu beachten ...
Nominalstil, Papierdeutsch.
1.
2 Stilistisch unauffällige Verwendung
Sieht man von den in 1.1 genannten Fällen ab, so gibt es keinen Grund, den Gebrauch der Verbalabstrakta auf -ung zu tadeln und diese Bildungen durch substantivierte Infinitive oder durch andere Verbalabstrakta zu ersetzen. Häufig wirkt gerade der substantivierte Infinitiv anstelle eines -ung-Substantivs ungewöhnlich oder - wie bei den reflexiven Verben - umständlich:
die mechanische Bearbeitung / das mechanische Bearbeiten des Holzes; die chemische Behandlung / das chemische Behandeln der Faser; bei der Bestrahlung / beim Bestrahlen des Patienten; die Verständigung / das Sichverständigen; die Erholung / das Sicherholen.
Außerdem haben die Verbalabstrakta auf -ung gegenüber den substantivierten Infinitiven den Vorteil, dass sie einen Plural bilden können:
drei Peilungen, viele Ortungen, mehrere Behandlungen.
1.
3 Verwendung des substantivierten Infinitivs
Der substantivierte Infinitiv, der in engerer Beziehung zum entsprechenden Verb steht, ist jedoch dann vorzuziehen, wenn nur die Handlung oder der Vorgang selbst bezeichnet werden soll, das entsprechende Substantiv auf -ung aber auch das Ergebnis bezeichnet oder gleichzeitig Sachbezeichnung ist:
Bei der Isolierung des Drahtes darf der Strom nicht eingeschaltet sein. (Besser:) Beim Isolieren des Drahtes darf der Strom nicht eingeschaltet sein. Die Abstellung der Fahrräder an der Vorderfront ist verboten. (Besser:) Das Abstellen der Fahrräder an der Vorderfront ist verboten.
1.
4 Verwendung anderer Substantivformen
Außer durch den substantivierten Infinitiv können die Verbalabstrakta auf -ung gelegentlich auch durch andere Verbalabstrakta ersetzt werden. Das ist aber nur in einem sehr beschränkten Maße möglich, weil die Bildungen auf -ung häufig eine andere Bedeutung oder andere Anwendungsbereiche haben. So kann man heute nur sagen:
Das ist mein fester Entschluss (nicht: meine feste Entschließung). Die Versammlung brachte eine Entschließung (nicht: einen Entschluss) ein. Er warnte ihn vor der Ablegung (nicht: vor der Ablage) eines Gelübdes. Ich half ihr bei der Ablage (nicht: bei der Ablegung) der Akten. Der Bezug (nicht: Die Beziehung) der Zeitung durch die Post.
(Entsprechend:) Verstoßung (eines Menschen) - Verstoß (gegen ein Gesetz); Übergang (über einen Fluss) - Übergehung (eines Menschen bei der Beförderung); Übertritt (z. B. zu einer anderen Partei) - Übertretung (eines Gesetzes); Einzug (z. B. der Teilnehmer) - Einziehung (z. B. der Steuern); Eingabe (z. B. technischer Daten in eine Maschine) - Eingebung (plötzlich auftauchender Gedanke); Beilage (einer Zeitung, zu einem Fleischgericht) - Beilegung (eines Streites).
In einigen Fällen werden die Bildungen ohne (wesentlichen) Bedeutungsunterschied gebraucht:
Will hier jemand einen Einwand / eine Einwendung machen? Dieser Roman hat keinen Bezug / keine Beziehung zur Wirklichkeit.
Um den übermäßigen Gebrauch der Verbalabstrakta auf -ung einzuschränken, werden gelegentlich kürzere Formen verwendet. Aber auch diese Wörter können nur in sehr beschränktem Maße anstelle der Verbalabstrakta auf -ung gebraucht werden, weil sie eine andere Bedeutung oder einen anderen Anwendungsbereich haben. So kann man beispielsweise nur sagen:
Nach Erhalt (nicht: Erhaltung) des Briefes ... Die Erhaltung (nicht: Der Erhalt) des Friedens ... Ich erhielt einen negativen Entscheid (= Mitteilung einer Entscheidung; nicht: eine negative Entscheidung) auf mein Gesuch. Die Stunde der Entscheidung (nicht: des Entscheides; aber: Volksentscheid).
Einige dieser Bildungen werden nur sondersprachlich (Kaufmannssprache) oder regional (bes. in Süddeutschland und in der Schweiz) gebraucht und gelten nicht als standardsprachlich:
Auslad (statt: Ausladung), Ausscheid (statt: Ausscheidung), Untersuch (statt: Untersuchung), Verlad (statt: Verladung).
1.
5 -ierung / -ation
Das fremde Suffix -ion ist im gegenwärtigen Deutsch für fremde Stämme sehr produktiv und bildet mit einer Reihe von Varianten Verbalabstrakta, aber auch andere Typen von Substantiven:
Explosion, Korrosion, Prozession, Reaktion, Injektion, Produktion, Promotion.
Bei den Verben auf -ieren stehen häufig Bildungen auf -ierung und -ation nebeneinander, teils gleichbedeutend, teils in der Bedeutung differenziert. Im Allgemeinen bringen die Bildungen auf -ierung stärker das Geschehen zum Ausdruck als die Bildungen auf -ation:
Konzentrierung - Konzentration, Konfrontierung - Konfrontation, Koordinierung - Koordination, Isolierung - Isolation, Kanalisierung - Kanalisation, Realisierung - Realisation, Restaurierung - Restauration, Assoziierung - Assoziation.
In manchen Fällen kann das Ergebnis, die Sache oder Personengruppe nur mit der Endung -ation bezeichnet werden, das Geschehen aber mit beiden Endungen:
Delegation - Delegierung, Proklamation - Proklamierung.
Vgl. auch den Artikel Automation / Automatisierung.
2 Das Verbalabstraktum im Satz
Ist ein Verbalabstraktum vom Stamm eines transitiven Verbs abgeleitet, dann kann sowohl das Subjekt als auch das Akkusativobjekt des Verbs als Genitivattribut des Verbalabstraktums auftreten. Man spricht dann von Genitivus subiectivus bzw. Genitivus obiectivus (Genitivattribut (1.5)):
Die Behörde stellt alle Aufwendungen zusammen - die Zusammenstellung der Behörde - die Zusammenstellung aller Aufwendungen. Er erzieht seine Kinder - die Erziehung der Kinder. Sie schreibt einen Brief - das Schreiben des Briefes.
Ist aber die Ergänzung zu einem Verb ein Dativobjekt oder ein Präpositionalobjekt, dann wird das Attribut zum Verbalabstraktum nur mit einer Präposition angeschlossen. Der Genitiv ist in diesem Fall nicht korrekt:
einer entzündlichen Erkrankung vorbeugen - Vorbeugung gegen entzündliche Erkrankungen (nicht: Vorbeugung entzündlicher Erkrankungen); nach etwas forschen - die Forschung nach der Wahrheit (nicht: die Forschung der Wahrheit).
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