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substantivierter Infinitiv
Häufig gestellte Fragen zum substantivierten InfinitivFrage Antwort unter
Woran erkennt man, dass ein Infinitiv substantiviert ist und großgeschrieben werden muss? dieser Artikel, Punkt (1)
In welchen Fällen müssen bei einem mehrteiligen substantivierten Infinitiv Bindestriche gesetzt werden; welche Schreibung ist also korrekt: das Zuspätkommen oder das Zu-spät-Kommen? dieser Artikel, Punkt (1)
Substantivierte Infinitive sind in der Grundform formgleich mit dem verbalen Infinitiv (wandern - das Wandern, denken - das Denken). Substantivierte Infinitive sind Neutra. Sie haben in der Regel keinen Plural und folgen im Singular der starken Flexion, d. h., der Genitiv Singular wird mit -s gebildet (des Wanderns, des Denkens). Die substantivierten Infinitive gehören zu den Verbalabstrakta (Verbalabstraktum). Ein Plural kommt nur dann vor, wenn ein substantivierter Infinitiv neben der abstrakten auch eine konkrete Bedeutung erhalten hat und sich wie eine Gattungsbezeichnung verhält, z. B. Essen - ein Essen - 15 Kantinenessen; Leben - ein Leben - viele Menschenleben; alle Guthaben; zwei Klassentreffen; keine Kündigungsschreiben. Im Prinzip lässt sich zu jedem verbalen ein substantivierter Infinitiv bilden.
1.
Großschreibung:
Substantivierte Infinitive werden großgeschrieben:
das Spielen, das Lesen, das Geigen, das Zustandekommen, plötzliches Versagen.
Auch Infinitive, die für sich nach einer Präposition oder Verschmelzung stehen, gelten als Substantive:
auf Biegen oder Brechen, mit Heulen und Zähneklappern, im Fahren, zum Davonlaufen, am / beim Kochen sein.
Auch Infinitive, von denen ein Attribut im Genitiv oder mit von abhängt, sind dadurch als Substantive gekennzeichnet und müssen großgeschrieben werden:
Anwärmen und Schmieden einer Spitze, Verlegen von Rohren, Instandsetzen von 5 m Scheuerleiste.
Man muss unterscheiden zwischen dem Infinitiv mit zu und dem substantivierten Infinitiv mit zum (= zu dem):
Sie hat viel zu trinken eingepackt. (Aber:) Sie ist vor lauter Arbeit kaum zum Trinken gekommen.
Stehen die Infinitive ohne Artikel oder nähere Bestimmung, dann ist oft nicht klar, ob es sich um einen verbalen Infinitiv (mit Kleinschreibung) oder um einen substantivierten Infinitiv (mit Großschreibung) handelt. In solchen Fällen sind Groß- und Kleinschreibung gerechtfertigt:
Ich übte mit den Kindern rechnen / (das) Rechnen. Sie will Auto fahren / (das) Autofahren üben. Emma lernt schwimmen / (das) Schwimmen. ... weil Geben / geben seliger denn Nehmen / nehmen ist. ... weil Auto fahren / Autofahren Erfahrung verlangt. (Aber: ... weil sicher Auto fahren Erfahrung verlangt; weil sicheres Autofahren Erfahrung verlangt.) Radfahren / Rad fahren ist ein Beitrag zum Umweltschutz. Radfahren / Rad fahren ist gesund und spart Geld. Glücklichsein / glücklich sein ist eine Kunst. (Aber nur groß:) Hausarbeiten wie Putzen, Kochen und Waschen (substantivierte Infinitive als illustrierende Beispiele zu einem substantivischen Bezugswort).
Ein Infinitiv, der direkt von einem Modalverb abhängt, ist nicht substantiviert:
Sie will Auto fahren. Ich muss Briefe schreiben. Möchtest du Eis essen? Ebenso: Sie sind essen gegangen.
Substantivierte Infinitive können komplex sein, d. h. der Form des Infinitivs als letztem Bestandteil können andere Bestandteile eines Kompositums oder ähnlicher Bildungen vorausgehen. Auch hier gilt Großschreibung:
das Sichverlieben, das allmähliche Sichzusammenballen der Gruppenaggression, beim Billardspielen, am Zustandekommen, ein Rezept zum Reichwerden, zum Schlankwerden.
Substantivierte Infinitive mit mehreren Bestandteilen schreibt man mit Bindestrichen, wenn sonst unübersichtliche und schwer lesbare Aneinanderreihungen entstehen. Dabei werden dann immer das erste Wort der Gruppe und der am Schluss stehende substantivierte Infinitiv großgeschrieben, außerdem natürlich auch alle in der Fügung vorkommenden Substantive (Bindestrich (3.2)):
das Auf-die-lange-Bank-Schieben, das Für-sich-haben-Wollen, zum Aus-der-Haut-Fahren, das Nicht-loslassen-Können; Aber: das Außer-Acht-Lassen (oder: Außerachtlassen), das Außer-sich-Sein (oder: Außersichsein), das In-Kraft-Treten (oder: Inkrafttreten), das In-Gang-Setzen (oder: Ingangsetzen), das Zu-spät-Kommen (oder: Zuspätkommen).
Unübersichtliche Komposita und andere komplexe Bildungen mit substantiviertem Infinitiv sind manchmal stilistisch unschön; sie können durch eine Infinitivgruppe oder durch einen Nebensatz ersetzt werden:
Nicht: das Gefühl des Noch-nicht-über-die-Lippen-Bringens, sondern: das Gefühl, es noch nicht über die Lippen zu bringen.
2.
Zum Gebrauch des substantivierten Infinitivs:
Die Möglichkeit der deutschen Sprache, die verschiedenen nicht substantivischen Wortarten in die Wortart Substantiv überzuführen, eröffnet zahlreiche Ausdrucksmöglichkeiten, hat aber auch ihre Probleme. Sie zeigen sich etwa dann, wenn durch Substantivierungen eine abstrakte, unanschauliche Ausdrucksweise entsteht (Papierdeutsch). Besser als
Das Sprengen der Felswand erforderte sehr viel Vorbereitungen. Das Ankommen des Zuges wollte sie noch abwarten. Das Aufsätzeschreiben ist nicht seine starke Seite. Das Mit-der-Faust-auf-den-Tisch-Schlagen ist ein Zeichen von Unerzogenheit.
ist vielleicht:
Es erforderte sehr viel Vorbereitungen, die Felswand zu sprengen. Sie wollte noch warten, bis der Zug angekommen war. / Die Ankunft des Zuges wollte sie noch abwarten. Es ist nicht seine starke Seite, Aufsätze zu schreiben. Es ist ein Zeichen von Ungezogenheit, mit der Faust auf den Tisch zu schlagen.
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